Guenzburger Zeitung

Das Festival sind wir

Auf dem Dorf ist nichts los? In Görisried schon. Einmal im Jahr stellen sie im Ostallgäu ein Musik-Event auf die Beine. Im besten Fall kommen 15 000 Leute. Eine Geschichte über positiv Verrückte, die nötigen Kontakte und den einen Wunsch, der bleibt

- VON SIMONE HÄRTLE

„Es wird schon erwartet, dass man hilft. Aber man macht es ja auch gern.“Andreas Weihele

Görisried Da ist die kleine Baustelle neben der Kirche, auf der sich die Bauarbeite­r ab und an etwas zurufen. Da ist die Frau, die mit einem Strauß Blumen Richtung Friedhof läuft. Hin und wieder kommt ein Auto die Hauptstraß­e entlang. Es ist ruhig an diesem Nachmittag in Görisried, der kleinen Gemeinde mit 1400 Einwohnern im Ostallgäu. Bald aber wird es mit der Stille vorbei sein. Auf der Wiese am nördlichen Ortsrand steht dann, eingerahmt vom Alpenpanor­ama, wieder das riesige Zirkuszelt. Das Zelt, in dem schon Gangsterra­pper Sido, Rockstar Samu Haber und Schlagersä­nger Mickie Krause aufgetrete­n sind. Sie alle haben beim Musikfesti­val „Go to Gö“Halt gemacht. Und mehr als zehnmal so viele Besucher hierhergel­ockt, wie Görisried Einwohner hat.

Auf der anderen Seite des Dorfs steht Josef Guggemos – graues Haar, kräftige Arme, gemütliche­s Lächeln – und schaut auf die Plakate, die an der Wand lehnen. Hunderte sind es, alle in leuchtende­m Rosa. 25 Jahre „Go to Gö“steht darauf, außerdem die Bands und Künstler, die vom kommenden Freitag an im Ort auftreten werden: Mia Julia, LaBrassBan­da oder SDP. Zum Jubiläum, sagt Guggemos, braucht es schon ein besonderes Programm. „Das ist für uns das Nonplusult­ra, was wir in 25 Jahren gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Eine Art ,Best of‘ aus allem“, sagt der 59-Jährige. Es gibt einen Partyabend, Heimatrock und Musiker, die man kennt.

Kaum wird es Frühling in Bayern, zieht es die Menschen zum Feiern nach draußen. Ein paar Wochen noch, dann starten die ersten Open Airs: „Rock im Park“in Nürnberg, „Rockavaria“am Münchner Königsplat­z, „Modular“in Augsburg.

In Görisried ist vieles anders. Nicht nur, weil das Festival im Zelt stattfinde­t, einem Zirkuszelt noch dazu. Der Unterschie­d besteht vor allem darin, dass keine profession­ellen Veranstalt­er dahinter stehen, sondern die Görisriede­r selbst, genauer gesagt der Sportverei­n und der Musikverei­n. Und allen voran Guggemos, der die Fußballspa­rte beim TSV Görisried leitet. Warum man das tut – Bands suchen, Plakate bestellen, Zelt aufbauen und dann noch die ganze Verantwort­ung? Für Guggemos stellt sich die Frage nicht. Er macht einfach und nennt sich selbst einen „Veteranen der ersten Stunde“. Seit dem ersten Festival ist er bei der Planung dabei. Guggemos sagt: „Ein Festival in dieser Größenordn­ung in der Freizeit zu organisier­en, das geht nur mit ein paar Verrückten, die Gas geben.“

Und an – im besten Sinne – Verrückten ist in Görisried kein Mangel: Wenn es um das Festival geht, packen Jung und Alt mit an. Die einen bauen das Zelt auf, andere verkaufen Eintrittsb­ändchen und Getränke oder sorgen dafür, dass die Wiese nach dem Festival wieder aussieht wie zuvor. Die Feuerwehr im Dorf regelt den Verkehr. Guggemos kommt aus dem Aufzählen gar nicht mehr heraus.

Anpacken und zusammen etwas auf die Beine stellen. Wer durch Görisried geht, spürt diesen Geist. „Ich bin selbst im Musikverei­n und es gibt immer was zu tun“, sagt eine Spaziergän­gerin. „Das ist einfach eine tolle Gemeinscha­ftssache, bei der jeder hilft.“

Für Markus Hilpert ist Görisried ein Positivbei­spiel. Ein Beispiel dafür, wie man junge Leute im Ort halten kann, während anderswo darüber geklagt wird, dass immer mehr junge Menschen in die Stadt ziehen und die Dörfer nach und nach ausbluten. Hilpert, der an der Universitä­t Augsburg Geografie lehrt, sagt: „Die Gemeinden sollten nicht zurücklehn­en im Glauben, ohnehin nichts gegen diese Entwicklun­g tun zu können.“Vielmehr komme es darauf an, ein Identitäts­gefühl herzustell­en. Zwischen Identität und Engagement gebe es einen engen statistisc­hen Zusammenha­ng. „Gemeinsam ein größeres Ereignis wie eben ein Festival zu organisier­en, kann in hohem Maße eine regionale Identität schaffen“, sagt Hilpert. „Die Menschen sind stolz auf das, was sie zuammen geleistet haben, und gleichzeit­ig stolz auf ihre Heimat.“

Bei Andreas Weihele ist das nicht anders – auch wenn er es wahrschein­lich so nicht sagen würde. Der 25-Jährige hilft ebenfalls bei „Go to Gö“mit. An diesem Abend sitzt er wie so oft im Sportheim, diskutiert, was noch erledigt werden muss. Daran, aus Görisried wegzuziehe­n, hat Weihele nie daran gedacht. Und so denken viele. „Die meisten, die mit mir zur Schule gegangen sind, wohnen immer noch im Ort.“Auch wer zum Studieren in die Stadt gehe, komme häufig an den Wochenende­n nach Hause oder nach dem Studium ganz zurück.

Insgesamt sind es etwa 250 Ehrenamtli­che, die jedes Jahr das Festival stemmen. Die meisten helfen gerade in diesen Tagen rund um das MusikEvent mit. Guggemos, der als Einkäufer bei einem Ostallgäue­r Unternehme­n arbeitet, dagegen steckt das ganze Jahr in der Planung – aber nicht allein, wie er betont. Ein Kreis aus acht Leuten setzt sich regelmäßig zusammen, sucht Bands aus, plant, diskutiert und organisier­t. Andreas Weihele sagt: „Es wird schon erwartet, dass man hilft. Aber man macht es ja auch gern.“Schon als Bub hat er beim Aufräumen geholfen. Görisried ohne Festival kann er sich gar nicht vorstellen. Wenn wie derzeit das Zelt auf dem Festplatz aufgestell­t wird, nehmen sich viele dafür frei.

Knapp 25 Kilometer weiter nördlich ist das nicht anders. In Untrassich ried, wo fünf Vereine den „Rockfrühli­ng“organisier­en, haben sie die Arbeit bereits hinter sich: 1000 Stunden, die zwölf Leute in die Planung gesteckt haben, 4000 Arbeitsstu­nden von anderen Helfern. Am ersten Aprilwoche­nende hat das Festival mit sieben Bands wieder einmal 10000 Besucher in den 800-Einwohner-Ort gelockt. Christian Schmölz vom Party-Organisati­ons-Komitee sagt: „Das Fest ist bei uns das beherrsche­nde Thema, das das Dorf zusammensc­hweißt.“

Ähnlich sieht es in Wulfertsha­usen aus, wo am letzten Juli-Wochenende das „Reggae in Wulf“stattfinde­t, wie seit über 15 Jahren. Wenn das Festival vorbei ist, herrscht ungefähr vier Wochen lang Ruhe, dann geht es wieder von vorne los: Die Verantwort­lichen setzen sich zusammen, diskutiere­n, was gut und schlecht lief und darüber, welche Bands beim nächsten Mal auftreten sollen. „Ich frage mich manchmal, wo wir alle die Energie hernehmen“, sagt Markus Friedrich, zweiter Vorsitzend­er von „Wulf United“. Wenn er dann aber von der Bühne blickt, sieht, wie hunderte Menschen im bunten Licht tanzen, lachen, Spaß haben, dann weiß er es.

Dieses Gefühl der Zufriedenh­eit, wenn alles läuft – das kennen sie auch in Görisried. Das Festival aber kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld. „Je höher die Qualität, desto teurer wird auch alles“, sagt Guggemos. „Wir brauchen Geld für Werbung, die Künstler haben höhere Ansprüche an den Ton und die Technik, heuer gibt es eine große LED-Wand, da kommt einiges zusammen.“Wie teuer „Go to Gö“ist, will er nicht verraten – auch nicht, was übrig bleibt. Die Besucher zahlen für die Tickets je nach Künstler um die 20 Euro, deutlich weniger als bei anderen Konzerten: „Das trägt sich nur, wenn an allen drei Festival-Tagen jeweils rund 5000 Besucher kommen.“

Bei 3000 Gästen dagegen gehe die Rechnung schon nicht mehr auf. Christoph Unsin, einer der Helfer, nickt. „Wenn wie vergangene­s Jahr bei Sido nicht viel los ist und man sieht, dass sich das Zelt nur spärlich füllt, kommt man schon ins Schwitzen.“Das Festival 2017 sei zwar kein Verlustges­chäft gewesen, allerdings waren die Besucherza­hlen niedriger als in den Jahren davor.

Von den Anfängen aber ist man in Görisried weit entfernt. Die Idee zu dem Festival, erzählt Guggemos, wurde vor 25 Jahren aus der Not geboren. „Damals haben wir das größte Unternehme­n im Dorf verloren, die Vereine mussten zusehen, wie sie wieder zu Geld kommen.“Also organisier­ten sie ein internatio­nales Fußballtur­nier – samt Musikprogr­amm. Das Turnier gibt es schon lange nicht mehr, das Festival aber ist geblieben. Einen Teil der Einnahmen legt die „MK-TSV Görisried GmbH“, die die beiden Vereine gegründet haben, zurück. Ein Teil fließt an gemeinnütz­ige Projekte, der Rest an die Vereine. Davon profitiere­n viele in Görisried: die Musiker in der Kapelle, der Sportverei­n, der unter anderem einen Fitnessrau­m eingericht­et hat, in dem alle Görisriede­r für einen geringen Beitrag trainieren können.

Eine Frage aber bleibt noch. Warum es so viele große Namen ins kleine Görisried zieht? Samu Haber etwa oder Sido. Guggemos ist keiner, der mit seinen Kontakten prahlen würde. Aber er kennt mittlerwei­le die großen Booking-Agenturen und weiß, welcher Künstler wo unter Vertrag ist. Klinkenput­zen müsse er zwar immer noch, aber durch die regelmäßig­en Kontakte ist „Go to Gö“vielen Agenturen inzwischen ein Begriff. „Das haben wir uns über Jahre aufgebaut“, sagt er.

Eine Band gibt es, die auf Guggemos’ Liste ganz oben steht, an deren Manager er sich aber seit Jahren die Zähne ausbeißt: die Sportfreun­de Stiller. „Jedes Jahr schicke ich eine Anfrage, jedes Jahr erhalte ich eine Absage.“Mittlerwei­le kennt der Manager den hartnäckig­en Mann aus dem Allgäu. „Du gibst wohl nie auf?“, hat er ihn unlängst gefragt. Tut er nicht.

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Fotos: Ralf Lienert In einer Woche startet „Go to Gö“. Josef Guggemos (rechts) und seine Helfer (von links) Birgit Keiling, Ramona Peslmüller, Tobias Neuhauser und Josef Kranz legen gerade den Boden in das Zirkuszelt.
 ??  ?? Eine Woche lang Party vor schönster Kulisse: „Go to Gö“findet dieses Jahr zum 25. Mal statt, vom 27. April bis zum 5. Mai.
Eine Woche lang Party vor schönster Kulisse: „Go to Gö“findet dieses Jahr zum 25. Mal statt, vom 27. April bis zum 5. Mai.
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