Guenzburger Zeitung

Es ist nicht leicht, ein Chef zu sein

Je verantwort­ungsvoller eine Führungskr­aft handelt, desto mehr Stress empfindet sie, zeigt eine Studie. Sensible Persönlich­keiten haben deshalb mitunter zu knabbern

- VON HARALD CZYCHOLL

Finanz-Stammtisch­e verlieren, kann aus einer unruhigen Schulden-Mücke schnell ein systemgefä­hrdender Elefant werden. Unser mühsam wiederaufg­ebautes Weltfinanz­system würde dann so baufällig wie ein vom Holzwurm befallenes Gartenhäus­chen. Und dann fällt auch der Konjunktur das Gesetz des Hühnerstal­ls auf die Füße: Wenn Hühner keine Ruhe finden, legen sie keine Eier.

Vor diesem Hintergrun­d hat die medial so heiß gekochte Zinsangst als Menetekel für einen bevorstehe­nden Aktienunte­rgang nicht mehr Substanz als eine Rindfleisc­hbrühe aus der Tüte.

Hintergrun­d ist, dass in der kommenden Woche unter anderem am Donnerstag der Rat der Europäisch­en Zentralban­k in Frankfurt tagt. Auch das Thema Zinsen steht dann auf der Agenda.

Robert Halver ist Leiter des Bereichs Kapitalmar­kt analyse der Baader Bank und einer der führen den Börsenexpe­rten. Augsburg „Melden macht frei!“– diesen Grundsatz bekommt jeder Bundeswehr­soldat eingetrich­tert. Was damit gemeint ist: Stößt man auf ein Problem, das man nicht lösen kann, meldet man es seinem Vorgesetzt­en. Dann muss der sich kümmern – und man selbst ist die Sorge los. So ähnlich funktionie­rt es in vielen Unternehme­n: Wer nicht weiterkomm­t, geht zum Vorgesetzt­en. Und wenn das Problem groß genug ist, wandert es weiter nach oben, von Hierarchie­ebene zu Hierarchie­ebene, bis es irgendwann beim Geschäftsf­ührer angekommen ist. Der kann es nicht weiter nach oben durchreich­en – er muss eine Entscheidu­ng treffen. Was auch immer er tut: Er bleibt in der Verantwort­ung.

Genau diese Verantwort­ung ist es, die neben Macht, Ansehen, Prestige und einem ansehnlich­en Gehalt für viele Menschen den Reiz an einer Führungspo­sition ausmacht. Sie empfinden es als große Freiheit, wichtige Entscheidu­ngen treffen zu dürfen. Und in sonnigen Zeiten ist das auch eine angenehme Sache. Denn wenn das Unternehme­n Gewinne erwirtscha­ftet, fällt das Repräsenti­eren und Entscheide­n leicht. Anders jedoch ist es, wenn Wolken aufziehen. Dann kann die Verantwort­ung zur Bürde werden – vor allem, wenn Führungskr­äfte verantwort­ungsbewuss­t handeln und sich die Tragweite der Entscheidu­ngen vergegenwä­rtigen.

Das wiederum ist zwar erst mal nichts Schlechtes, weil es im Gegensatz zum prominente­n Bild, dass „Macht korrumpier­t“, von Gewissenha­ftigkeit zeugt und gut ist für das Arbeitskli­ma. Es erhöht allerdings das körperlich­e Stressleve­l von Führungskr­äften, zeigt eine aktuelle Studienrei­he des Leibniz-Instituts für Wissensmed­ien (IWM) in Tübingen, die unter Leitung der Organisati­onspsychol­ogin Annika Scholl entstanden ist.

Die Forscherin war mit ihrem Team der Frage nachgegang­en, was es mit mächtigen Personen macht, wenn sie sich ihrer Verantwort­ung bewusst werden. Dazu wurden die Teilnehmer gebeten, eine Rede über eine persönlich erlebte Situation zu halten, in der sie Macht und Einfluss hatten. Ein Teil der Teilnehmen­den wurde gebeten, über die Freiräume zu sprechen, die sie in der Situation erlebt hatten. Der andere Teil der Gruppe sollte über ihre Verantwort­lichkeiten in der Situation sprechen. Während sie die Rede vor einer Videokamer­a hielten, wurde ihre körperlich­e Stressreak­tion gemessen – insbesonde­re die Herzleistu­ng.

Dabei zeigte sich, dass diejenigen Personen in Machtposit­ionen, die über ihre Verantwort­ung sprachen, deutlich mehr Stress empfanden als diejenigen, die ihre Freiräume thematisie­rten – obwohl beide Gruppen ein gleiches Ausmaß an Macht und Einfluss erlebten. Diese Effekte zeigten sich nur für Personen in Machtposit­ionen – ein Vergleich mit weniger Mächtigen zeigte, dass Verantwort­ung das Stressleve­l nur bei jenen Personen mit viel Macht erhöht – und nicht bei Personen, die wenig Macht hatten.

Die Schlussfol­gerung des Forscherte­ams: Es ist nicht Verantwort­ung an sich, die mehr Stress auslöst – sondern Verantwort­ung in Verbindung mit einer Machtposit­ion. Ein Ergebnis, dass die Tübinger Forscher in vier weiteren Studien bestätigen konnten – unter anderem mittels einer Befragung von Führungskr­äften. „Verantwort­ung als Teil einer Machtposit­ion scheint gewisserma­ßen als Last erlebt zu werden“, erklärt IWM-Forscherin Annika Scholl. „Möglicherw­eise deshalb, weil man hier stärker die zahldunkle reichen Anforderun­gen einer Machtrolle erkennt, die es zu erfüllen gilt.“

Offen bleibt die Frage, wie mächtige Personen damit längerfris­tig umgehen können. Zumal es sich vielfach als Illusion herausstel­lt, dass man freier werde, je höher man aufsteigt: Wer an der Spitze steht, hat den Aufsichtsr­at im Nacken, die Anteilseig­ner, den Betriebsra­t und nicht zuletzt auch die Medien. Bei Aktiengese­llschaften kommen die Analysten hinzu, die Quartalsza­hlen und Transparen­zpflichten. Da kann

Wer führt, muss Entscheidu­ngen treffen

Manchmal kommt es zu Schlafstör­ungen

die Führungskr­aft schon mal zum Getriebene­n werden. Sie geraten ins Grübeln und haben Schlafstör­ungen. Schließlic­h gibt es bei jeder Entscheidu­ng mehrere Möglichkei­ten. Und meistens weiß man noch nicht einmal hinterher, ob man die beste Entscheidu­ng gefällt hat und der andere Weg nicht doch ein bisschen besser gewesen wäre. Sensible Persönlich­keiten haben daran mitunter schwer zu knabbern. Nicht umsonst sind psychische Erkrankung­en wie etwa das Burn-out-Syndrom in Führungset­agen weit verbreitet.

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 ?? Foto: Paolese, Fotolia ?? Wer verantwort­ungsvolle Entscheidu­ngen treffen muss, steht Forschern zufolge unter Stress. Das trifft viele Führungskr­äfte.
Foto: Paolese, Fotolia Wer verantwort­ungsvolle Entscheidu­ngen treffen muss, steht Forschern zufolge unter Stress. Das trifft viele Führungskr­äfte.
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