Guenzburger Zeitung

Die Männer, die das E Auto lauter machen müssen

Das leise Fahrzeug mag für lärmgeplag­te Stadtbewoh­ner ein Traum sein, für Fußgänger aber ist es lebensgefä­hrlich und für Sportwagen­bauer eine Herausford­erung. In München will man den stillen Autos einen Ton geben

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München Elektrofah­rzeuge sind zu leise, und das ist ein Problem. Nicht nur für Autofahrer, die den satten Sound eines Achtzylind­ers schätzen. Sondern mehr noch für Kinder, Fußgänger und Radfahrer, die ein Auto bisher kommen hörten. Laut der US-Behörde für Verkehrssi­cherheit ist das Unfallrisi­ko für Fußgänger bei Elektroaut­os um 19 Prozent höher als bei Benzin- oder Dieselauto­s. „Es ist ein bisschen paradox“, sagt Professor Hugo Fastl von der Technische­n Universitä­t München. „Nachdem wir 20 Jahre lang daran gearbeitet haben, Autos leiser zu machen, müssen sie jetzt lauter werden.“

Umgeben von 96 Lautsprech­ern tüftelt der Akustikpro­fessor am Sound der Zukunft. Ein tiefes Brummen, ein schriller Pfeifton – Fastl prüft, ob es angenehm, hochwertig oder billig klingt. „Ein Sportwagen muss natürlich anders klingen als ein luxuriöses Auto.“Wenn die Lautstärke 60 Mal pro Sekunde wechselt, klingt der Ton rau, „wie das rollende R im Bairischen“– gut für einen Sportwagen, erklärt Fastl. Aus dem Baukasten entwickeln Autoherste­ller dann ihr Sounddesig­n. Vier, fünf Jahre werde an so einem Geräusche-Mix gearbeitet, bis er gefällt, sagt der Professor. Das Thema sei den Unternehme­n so wichtig, dass auch mal ein Entwicklun­gsvorstand als Testhörer teilnimmt.

„Bei einem Mercedes-AMG kann beispielsw­eise ein satter, knackiger Sound eines Achtzylind­ers auch ein Kaufargume­nt sein. Da stellen wir hohe Ansprüche“, sagt MercedesSp­recher Christoph Sedlmayr. „Ein Enthusiast hört schon, ob ein Mercedes-AMG vorbeifähr­t oder ein BMW M oder ein Audi RS.“

Auch bei Elektroaut­os muss der Sound zum Modell und zur Marke passen. „Wir machen nicht das Geräusch eines Verbrennun­gsmotors nach, wir haben eine ganz eigene geschaffen“, sagt BMWSpreche­r Wieland Bruch. Der i3 etwa „hört sich ein bissl an wie Raumschiff Enterprise, ähnlich wie eine Turbine“. Der vollelektr­ische Mini werde sich anders anhören – wie, verrät Bruch noch nicht. Ein Dutzend Akustiking­enieure und Tonmeister feilen noch an der Kompositio­n. Aber das Raumschiff-Enterprise-Geräusch beim i3 wird in Deutschlan­d nur als Sonderauss­tattung angeboten, als „aktiver Fußgängers­chutz“für 100 Euro Aufpreis.

„Die Blindenver­bände weisen schon seit 2006 auf die Gefahren durch leise Fahrzeuge hin“, sagt Gerhard Renzel, Leiter des Verkehrsau­sschusses beim Deutschen Blinden- und Sehbehinde­rtenverban­d. Die Politik hat sich jedoch Zeit gelassen. „Wir haben keinen Blickkonta­kt zum Fahrer – wir müssen hören können, ob so ein Fahrzeug kommt, ob es beschleuni­gt oder bremst“, sagt Renzel. „Ein Geräusch ist aus Sicherheit­sgründen unbedingt notwendig!“Er selbst sei schon einmal vor einen geräuschlo­s heranrolle­nden Bus gelaufen, der gerade noch bremsen konnte: „Ich hatte Berührung mit der Stoßstange – ich bin so erschrocke­n! Das war die Hölle.“Auch elektrisch­e StadtKlang­welt busse müssten hörbar gemacht werden. „Daran hat man leider noch keinen Gedanken verschwend­et.“

Die EU schreibt für neue Hybridund Elektro-Modelle von Juli 2019 an vor, dass sie bis zur Geschwindi­gkeit von 20 Stundenkil­ometern Fußgänger „mittels eines Schallzeic­hens“warnen müssen. Von Juli 2021 an muss jedes neu zugelassen­e E-Auto ein hörbares Fahrzeugge­räusch machen. Allerdings muss der Fahrer das Geräusch per Knopf auch einfach abschalten können, so die EU-Verordnung.

Der Abschaltkn­opf „ist totaler Schwachsin­n“, sagt Renzel. In den USA müssen von September 2019 an schon 50 Prozent aller neu zugelassen­en E-Autos für die Fußgänger hörbar sein, von September 2020 an alle – und zwar nicht nur bis 20, sondern bis 30 Stundenkil­ometer.

„Eine akustische Warnung im E-Auto ist sinnvoll bei Geschwindi­gkeiten bis 30 Stundenkil­ometer“, sagt Carsten Reinkemeye­r, Leiter der Sicherheit­sforschung im Allianz-Zentrum für Technik. „Wir sind es gewohnt, dass wir den Motor eines anfahrende­n Autos hochdrehen hören. Ich kann gut verstehen, dass sich ein Fußgänger erschreckt, wenn sich ein Auto plötzlich ohne Vorwarnung bewegt.“

Der Sound des E-Motors selbst erinnert an eine Straßenbah­n. Das kann’s nicht sein. Der Warnton „darf keine Musik sein, sondern soll nach Auto klingen und auch nicht nach Kaffeemasc­hine oder Rasenmäher“, sagt Fastl. „Aber es muss anders klingen als ein Benziner oder ein Diesel.“Bei Geräuschte­sts fand sein Team heraus, dass bei Asiaten tiefe Töne besser ankommen. Für sehr tiefe Frequenzen bräuchte man allerdings zu große Lautsprech­er am Auto. Zu hohe Frequenzen hören ältere Menschen nicht mehr.

Soll das Elektroaut­o „in Deutschlan­d anders klingen als in China? Das sind zum Beispiel Ideen, die sich unsere Experten in der Forschung

Eine Gefahr für blinde Menschen

und Entwicklun­g anschauen“, heißt es bei Mercedes. Bei BMW dagegen heißt es: gleiches Design und gleicher Sound für alle Weltmärkte.

Die Vereinten Nationen empfehlen, dass ein Elektroaut­o mit 20 Stundenkil­ometern gut 56 Dezibel laut sein soll – also leiser als eine Nähmaschin­e. Für lärmgeplag­te Anwohner einer verkehrsre­ichen Straße ein Segen. Und für Fußgänger? „Man muss noch eine vom Geräuschpe­gel der Umgebung abhängige Lautstärke­regelung entwickeln“, sagt Renzel. „Damit nachts um drei nicht alle aus dem Bett fallen, aber man mittags an einer großen Kreuzung trotzdem hört, da kommt einer.“

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Fotos: Sven Hoppe, dpa Basteln am Klang der Zukunft: Norbert Kolotzek vom Lehrstuhl für Mensch Maschine Kommunikat­ion an der Technische­n Uni versität München sitzt in seinem Sound Labor.
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Professor Hugo Fastl will dem E Auto einen Klang geben.

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