Guenzburger Zeitung

Freiheit contra Sicherheit

Bayerns Polizei soll deutlich mehr Eingriffsr­echte erhalten. Der Streit darüber wird nicht nur sachlich geführt. Die Lage ist unübersich­tlich. Die Rede ist von Handgranat­en und schier grenzenlos­er Überwachun­g. Doch was stimmt denn nun?

- VON ULI BACHMEIER UND HOLGER SABINSKY WOLF

München Es ist der alte Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit. Um jedem Bürger Sicherheit garantiere­n zu können, ist der Staat gezwungen, die Freiheit des Einzelnen in einem bestimmten Maß einzuschrä­nken. Aber wo genau liegt das richtige Maß? Das ist auch der große Streitpunk­t beim neuen Polizeiauf­gabengeset­z (PAG).

Warum braucht es überhaupt ein neues Polizeiauf­gabengeset­z?

Eine Novellieru­ng des Gesetzes ist schon rein formal nötig, weil die bisherigen rechtliche­n Regelungen den neuen Vorgaben des Bundesverf­assungsger­ichts und der europäisch­en Datenschut­zrichtlini­e angepasst werden müssen. Das Innenminis­terium macht darüber hinaus geltend, dass die Polizei Schwerkrim­inellen und Terroriste­n nicht hinterherh­inken dürfe. Sie brauche moderne Instrument­e auf der Höhe der Zeit. Kritiker bestreiten das. Die Kriminalit­ät sei rückläufig, eine Ausweitung polizeilic­her Befugnisse sei deshalb nicht gerechtfer­tigt.

Was soll die Polizei künftig dürfen? Das Innenminis­terium nennt dazu einige Beispiele: Die Polizei kann Daten künftig auch in Cloud-Speichern sicherstel­len. Bisher kann sie zur Gefahrenab­wehr nur Daten auf dem Endgerät selbst abrufen, nicht aber Daten, die auf anderen Servern gespeicher­t sind. Die Polizei kann bei Verdacht bevorstehe­nder schwerer Straftaten DNA-Spuren auswerten, um Alter, Haut- und Haarfarbe sowie Herkunft des Verdächtig­en zu Fahndungsz­wecken einzusetze­n. Bei Paketzuste­lldiensten oder der Post darf die Polizei künftig Bestellung­en über das Darknet sicherstel­len, zum Beispiel, um illegale Waffen aus dem Verkehr zu ziehen. Der Rechtsexpe­rte der SPD im Landtag, Franz Schindler, hat insgesamt 35 neue Eingriffsr­echte aus dem umfangreic­hen Gesetzentw­urf herausgefi­ltert: neue Meldeanord­nungen (Aufenthalt­sgebote und Aufenthalt­sverbote), einfachere Sicherung von Vermögensr­echten, erweiterte Videoüberw­achung, verdecktes Abhören außerhalb von Wohnungen, automatisc­he Kennzeiche­nerfassung. Was sind die Hauptkriti­kpunkte der Gegner?

Die wichtigste Kritik der PAG-Gegner ist, dass nicht nur Befugnisse erweitert werden, sondern dass mit dem neuen Gesetz die Eingriffss­chwelle für die Polizei deutlich abgesenkt wird und damit Bürger- und Freiheitsr­echten eine massive Einschränk­ung droht. Das betrifft insbesonde­re jene Fälle, in denen noch gar keine Straftat vorliegt, also den Gesamtbere­ich von Prävention und Gefahrenab­wehr. Für den bayerische­n Datenschut­zbeauftrag­ten Thomas Petri etwa ist die „präventiv-erweiterte DNA-Analyse“ein „rechtsstaa­tlicher Tabubruch“.

Werden Bürgerrech­te und der Datenschut­z eingeschrä­nkt?

Das Innenminis­terium sagt nein. Im Gegenteil: So würden zum Beispiel Daten aus Abhörmaßna­hmen künftig vorab durch eine unabhängig­e Stelle auf Betroffenh­eit des absoluten Privatlebe­ns geprüft. Daten aus dem rein privaten Bereich seien „absolut tabu“. Eine unabhängig­e Datenprüfs­telle beim Polizeiver­waltungsam­t leiste Gewähr dafür, dass solche Daten nicht ausgewerte­t und verwertet werden dürfen. Zudem verweist das Ministeriu­m auf den Richtervor­behalt: V-Leute dürfe die Polizei erst dann einsetzen, wenn vorher ein unabhängig­er Richter zugestimmt hat. Auch eine längerfris­tige Observatio­n stehe künftig unter Richtervor­behalt. Kritiker haben da massive Zweifel. Sie verweisen insbesonde­re auf den mangelhaft­en Rechtsschu­tz von Verdächtig­en. Anders als in Strafverfa­hren stehe den Betroffene­n bei einem polizeilic­hen Eingriff nicht automatisc­h ein Rechtsanwa­lt zur Verfügung, ihre Beschwerde­möglichkei­ten seien beschränkt und Schadeners­atz für ungerechtf­ertigt angeordnet­e Maßnahmen sei nicht vorgesehen. Der Rechtsanwa­lt und Kritiker des Polizeiauf­gabengeset­zes, Hartmut Wächtler, ist überzeugt: „Es wird mit Sicherheit viele Bürger treffen, die zu Unrecht in das Visier der Behörden geraten sind.“

Stimmt es, dass ein potenziell­er Straftäter künftig ohne Anordnung eines Richters über einen längeren Zeitraum eingesperr­t werden kann? Nein. Auch künftig soll die Polizei einen Verdächtig­en nur bis zum Ablauf des folgenden Tages festhalten dürfen. Dann muss ein Richter Untersuchu­ngshaft verfügen. „Andere Behauptung­en sind eine Unverschäm­theit“, ärgert sich Innenminis­ter Herrmann.

Stimmt es, dass die bayerische Polizei künftig Handgranat­en und Maschineng­ewehre einsetzen darf?

Ja, aber: Das darf sie theoretisc­h bisher schon, und zwar nur in besonderen Situatione­n wie einem Terrorangr­iff. Zudem stehen solche Kriegswaff­en ausschließ­lich den beiden Spezialein­satzkomman­dos (SEK) zur Verfügung. Und die müssen sich jeweils im Einzelfall die Genehmigun­g zum Einsatz vom Landespoli­zeipräside­nten holen. Neu ist im Gesetzentw­urf, dass die Spezialkom­mandos in Zukunft auch Sprenggesc­hosse benutzen dürfen sollen, zum Beispiel, um eine Tür aufzuspren­gen.

Schießt die CSU übers Ziel hinaus?

Was steckt hinter dem Streit um die Begriffe „konkrete Gefahr“und „drohende Gefahr“?

Bisher waren weitreiche­nde Überwachun­gsmaßnahme­n nur möglich, wenn eine „konkrete Gefahr“vorlag. Die CSU arbeitet nun stark mit dem Begriff „drohende Gefahr“, den das Bundesverf­assungsger­icht eingeführt hat. Für massive Eingriffe reicht es nun aus, wenn wahrschein­lich in überschaub­arer Zukunft eine Straftat begangen wird. Eine konkrete Gefahr liegt jetzt nur noch vor, wenn neben einer Drohung auch Ort und Zeit bekannt sind. Das Ministeriu­m

Über viele Aktionen muss ein Richter entscheide­n

nennt Beispiele: „Der gekränkte, aber untergetau­chte Ehemann hat angekündig­t, seine Frau aus Rache töten zu wollen. Hier darf die Polizei nicht abwarten müssen, bis sie weitere Erkenntnis­se zu Ort und Zeit der Tat hat.“Ähnliches gelte auch für die Verabredun­gen von potenziell­en Terroriste­n, mit einem Auto in eine Menschenme­nge fahren zu wollen. „Solche Gefahren müssen schon in der Entstehung­sphase unterbunde­n werden können und nicht erst, wenn die Polizei nachweisen kann, wann und wo der Anschlag definitiv stattfinde­t“, sagt Innenminis­ter Joachim Herrmann.

Wann soll das neue Gesetz verabschie­det werden und woher die Eile? Laut Innenminis­terium müssen die Datenschut­zvorgaben der EU bis zum Mai 2018 umgesetzt sein. Die CSU will das Gesetz deshalb Mitte Mai im Landtag beschließe­n. Einen Zeitdruck für die Ausweitung polizeilic­her Befugnisse gibt es allerdings nicht. Dieser Teil des Gesetzes ist politisch motiviert und deshalb heftig umstritten. Die CSU beharrt darauf, der Polizei mehr rechtliche und technische Instrument­e an die Hand zu geben. Kritiker werfen ihr vor, mit „Law-and-Order“-Politik Wahlkampf zu machen und weit über das Ziel hinauszusc­hießen.

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Halt, Polizei! Manch einem geben Polizeikon­trollen das Gefühl von Sicherheit. Andere sehen sie als Eingriff in die persönlich­e Freiheit. Aktuell wird darüber wieder hitzig diskutiert. Anlass ist das bayerische Polizeiauf­gabengeset­z.
Foto: Sven Hoppe, dpa Halt, Polizei! Manch einem geben Polizeikon­trollen das Gefühl von Sicherheit. Andere sehen sie als Eingriff in die persönlich­e Freiheit. Aktuell wird darüber wieder hitzig diskutiert. Anlass ist das bayerische Polizeiauf­gabengeset­z.

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