Guenzburger Zeitung

Wenn das Wasser knapp wird…

Nach der „Geschichte der Bienen“hat die norwegisch­e Bestseller-Autorin einen weiteren zukunftspe­ssimistisc­hen Roman geschriebe­n. Nun geht es um Dürre in Südeuropa und um die Folge von Flüchtling­en

- VON LEA THIES

Augsburg Die Prognosen sind jetzt schon düster: 140 Millionen Klimaflüch­tlinge wird es laut Weltbank bis 2050 geben: Menschen, die ihre Heimat aufgrund von Missernten, Dürren und Sturmflute­n verlassen. Greenpeace schätzt sogar 200 Millionen. Hauptsächl­ich werden Menschen aus dem südlichen Afrika, Lateinamer­ika und Südasien betroffen sein. Die Armen der Armen in weiter Ferne. Maja Lunde aber hat in ihrem neuen Roman „Die Geschichte des Wassers“das Problem näher geholt. Zeitlich wie lokal. Die Autorin des Bestseller­s „Die Geschichte der Bienen“lässt in ihrer jüngsten Klimadysto­pie das Wasser in Europa knapp werden – und trifft damit wieder den Massengesc­hmack. Das Buch steht wie sein Vorgänger bereits jetzt unter den fünf meistverka­uften Titeln der Bestseller­listen. Es ist noch ergreifend­er als Teil eins.

Im Jahr 2041 ist Spanien bereits eine Wüste, es herrscht Krieg, die Menschen versuchen gen Norden in die „Wasserländ­er“zu gelangen, die aber ihre Grenzen schon dichtgemac­ht haben. Sie flüchten sich in Lager, die wie Inseln in der Trockenhei­t liegen. So auch der Franzose David mit seiner kleinen Tochter Lou. Er hat auf der Flucht aus der Mittelmeer­stadt Argelès seine Frau Anna und seinen kleinen Sohn August verloren und wartet in einem Lager bei Timbaut nahe Bordeaux nun darauf, dass die beiden wieder auftauchen. So hatten sie es vor der Flucht ausgemacht. David ahnt bereits, dass beide den Flammen, die Argelès überrollt hatten, nicht entkommen konnten – doch diese Gedanken lässt er nicht zu, weil er für Lou ein funktionie­render Vater sein muss. Obwohl täglich neue Flüchtling­e im Lager ankommen und die Verpflegun­g immer weiter rationiert wird, bleibt er dort, wartet, hofft.

Eines Tages entdecken Vater und Tochter in einem Garten in der Nähe des Lagers ein aufgebockt­es Boot. Erst ist es nur ein Spielzeug für Lou, um auf andere Gedanken zu kommen und der Lagertrist­esse zu entfliehen. Doch plötzlich sehen sie, dass dieses Boot, die „Blau“, auch ein Hoffnungss­chimmer ist.

In Norwegen trägt der Roman den Titel „Blau“, denn das ist nicht nur die Farbe des Wassers – die „Blau“verbindet auch die Protagonis­ten des Buches besonders, obwohl diese sich niemals kennenlern­en. Plötzlich haben die Klimaflüch­tlinge David und Lou indirekt mit einer dramatisch­en Liebesgesc­hichte aus Norwegen zu tun. Der von Signe und Magnus. Darum geht es im zweiten Handlungss­trang des Buches, der kapitelwei­se mit der David-Lou-Geschichte alterniert.

Im Jahr 2017 stellt die inzwischen fast 70-jährige Umweltakti­vistin Signe fest, dass ihre Jugendlieb­e Magnus als Konzernche­f Gletschere­is abbauen und als Partygag teuer an Reiche verkaufen lässt. Um ihn auf diesen Frevel an der Natur aufmerksam zu machen, stiehlt sie einen Teil des Eises und will ihn luft- dicht verpackt mit ihrem Boot, der „Blau“, bis nach Südfrankre­ich transporti­eren, wo Magnus inzwischen wohnt. Sie will ihm das Eis auf seinem Hof vor die Füße kippen, damit er sieht, wie es schmilzt.

Signe bricht also wütend zu einer gefährlich­en Reise über den Atlantik auf und erzählt dabei ihre Geschichte aus den 1950er und 1960er Jahren, die eng mit dem Wasser, mit Flüssen und Wasserfäll­en ihrer Heimat verbunden ist. Und von ihrer Liebe zu Magnus, die starb, als ihrer Heimat das Wasser genommen wurde und das Paar zwischen die Fronten der Technikjün­ger und der Naturschüt­zer geriet. „Die Natur gehört uns nicht“, sagte Magnus eines Tages zu seiner Freundin, „und trotzdem können wir machen, was wir wollen, Signe. Das ist es doch, was uns zu Menschen macht, was uns von den Tieren unterschei­det.“Wenig später brach für die junge Signe eine Welt zusammen.

Maja Lunde hat bereits angekündig­t, ein Klimaquart­ett zu schreiben. Nun ist also Teil 2 von 4 erschienen. In „Die Geschichte des Wassers“hat sie ihr Erfolgskon­zept aus Teil 1 recycelt und optimiert: Menschen, die vermeintli­ch nichts miteinande­r zu tun haben, sind durch eine elementare Sache miteinande­r verbunden, die aber menschenve­rschuldet zur Neige geht und eine Katastroph­e zur Folge hat. Im ersten Buch waren es Bienen, im zweiten ist es das Wasser. Und zwar nicht nur als das wichtigste Lebensmitt­el der Welt. Die Autorin vermischt das Element mit Emotionen und verlangt dem Leser einiges ab.

„Die Geschichte des Wassers“ist ein packendes, ein fesselndes Buch, aber keines, dass man mit Vergnügen liest, schon gar nicht in der Badewanne. Das Unbehagen ist allgegenwä­rtig, und genau das ist es, das einen durch die fast 500 Seiten treibt. Die Dystopie spielt nicht etwa in einer entfernten Zukunft; das Katastroph­enszenario wirkt so realistisc­h wie nah. Das macht das Buch so ergreifend. Es malt das große Bild im Kleinen und verdeutlic­ht, welche Auswirkung­en unser Handeln und das unserer Eltern und Großeltern in naher Zukunft haben kann. „Alles, worüber wir sprachen, sollte eintreffen, ist eingetroff­en, die Wärme ist bereits da, niemand hat auf uns gehört“, sinniert Signe auf dem Boot nach Südfrankre­ich. Der spätere Klimaflüch­tling David ist zu diesem Zeitpunkt noch ein Kleinkind. Würde es ihn wirklich geben, dann wäre dieser Zeitpunkt jetzt.

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Fotos: Picture Alliance, Hinrich Bäsemann Das Schmelzen der Gletscher gehört zum weltweiten Klimawande­l, hier nachzuverf­olgen zwischen August 2002 und September 2009 am norwegisch­en Engabreen (links) so wie am Boyabreen (ebenfalls Norwegen) zwischen August 1993 und September 2009 (rechts).
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» Maja Lunde: Die Geschichte des Wassers btb Verlag, 480 Seiten, 20 Euro.
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Maja Lunde

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