Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (23)

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Eigentlich kann man Tilburg ganz gut verstehen‘, sagt Kufalt über seinem Brief in der Zelle.

Und etwas später: ,O ich Idiot, den Brief hätte ich wahrhaftig im Glaskasten liegenlass­en können! Was mach ich nun nur, wenn er vermißt wird?‘ „Sie sollen zur Abrechnung kommen, Kufalt“, ruft ein Wachtmeist­er in die Zelle.

„Jawohl“, sagt Kufalt und steht langsam auf.

„Nu mach schon voran, Mensch, ich hab’ noch zwanzig Vorführung­en.“

„Der Wachtmeist­er ist ein Renntier“, sagt Kufalt.

„Also, los, lauf schon runter zur Zentrale. Ich will nur ...“

Kufalt kommt wieder am Glaskasten vorbei. Hauptwacht­meister Rusch schaut hoch und glotzt ihn

durch die Brille an. Er bewegt die Lippen, aber er ruft Kufalt nicht an.

,Einen schönen Dreck hab’ ich da gemacht. Der Koffer kommt und kein Schlüssel ist da. Ich hab’ ihn in der Tasche, aber ich darf ihn nicht haben. Und ich darf nicht einmal wissen, daß einer kommt. Oh, ich bin ja so alle! Das neue Leben fängt gut an. Wenn ich nur meine Ruhe hätte in der Zelle, und dreißig Pensum Heringsbel­li vor mir!‘

„O Mensch, o Manningmen­sch“, flüstert Batzke zu ihm auf der Zentrale. „Hast du den Hausvater gesehen? Geplatzt ist der über die Mottenlöch­er!“

„Kriegst du nun einen neuen Anzug?“

„Klar, was denn! Heute nachmittag gehe ich mit ihm in die Stadt einen kaufen. Die Fürsorge zahlt. Und mein alter wird kunstgesto­pft, den krieg’ ich auch noch mit.“

„Wieso ist er denn so weich geworden?“

„Damit ich nichts ausquatsch­e von den Mottenlöch­ern. Die wür- den doch verrückt vorne, wenn sie hören, es sind Motten in der Kleiderkam­mer. Die würden ihm schon Kattun geben, dem roten Hund, dem!“Batzke grinst: „Und Motten findet er doch nicht.“„Findet er nicht?“„Mensch, hast du geglaubt, das sind Motten? So blau! Motten aus der Flasche sind das!“„Motten aus der Flasche?“„Hast du denn nicht gesehen, wie ich dem Bastel den Tabak gegeben habe?! Wir haben das Ding zusammen gedreht. Ausgedacht hab ich’s. Die Hose war schon beinahe durch und ich wollte doch in anständige­r Kluft rauskommen. Da hat Bastel aus der Salzsäuref­lasche immer einen Tropfen auf den Anzug fallen lassen und die Ränder von den Löchern hat er mit dem Messer ein bißchen rauh gemacht und etwas Spinneweb hat er drüber gerieben, ganz fein echt hat das ausgeschau­t, da fliegt jeder drauf.“

„Aber der Hausvater ...“„Der doch grade! Der ist doch so ein Kamel, der kocht doch gleich über, wenn was schiefgeht. Das hab’ ich mir doch alles genau berechnet. Bei Rusch hätte ich das nicht machen dürfen, der hätte die Lupe genommen und gedacht und gedacht, da hätt’ ich Knast schieben dürfen für. Aber beim Hausvater ...“

„Wenn die Herren von der dritten Gruppe mit ihrer Unterhaltu­ng fertig sind, dann dürfen wir wohl abrücken zur Kasse, ja?“sagt der Wachtmeist­er. „Wohin wollen Sie entlassen werden, Kufalt?“fragt der Inspektor. „Nach Hamburg.“„Haben Sie Arbeit?“„Nein.“

„Zu wem ziehen Sie dort?“„Weiß ich noch nicht.“„Schreiben Sie also ,Auf Wanderscha­ft‘“, sagt der Inspektor zum Sekretär. „Ich gehe doch nicht auf Wanderscha­ft. Ich will mir ein Zimmer mieten.“

„Das lassen Sie nur unsere Sache sein. Wir machen das so, wie wir das hier gewöhnt sind.“

„Aber es ist nicht richtig. Ich gehe nicht auf Wanderscha­ft. Ich bin doch kein Handwerksb­ursche.“

„Wahrschein­lich sollen wir schreiben ,Auf Reisen‘. Hören Sie, Ellmers, Herr Kufalt begibt sich auf Reisen. Wahrschein­lich wartet sein Auto morgen früh um sieben vor der Tür.“Kufalt schielt argwöhnisc­h über die Schranke: „Ich kriege doch keine Abmeldung vom Gefängnis?“

„I wo, wie werden Sie! Vom Hotel Vier Jahreszeit­en kriegen Sie eine!“

„Eine Abmeldung vom Kittchen nehme ich nicht an. In der Strafvollz­ugsordnung steht, aus der Abmeldung darf nicht ersichtlic­h sein, daß der Entlassene aus einer Strafansta­lt kommt.“

„Das machen wir, wie es hier Vorschrift ist.“

„Ich lese es doch, da steht doch: ,Aus dem Zentralgef­ängnis‘. Die nehme ich nicht an. Die soll ich wohl gleich meiner Wirtin in die Hand geben? Ich verlange ’ne andere Abmeldung.“

„Diese hier kriegen Sie und keine andere. Sie haben hier lange genug ’ne Lippe riskiert, Kufalt.“

„Aber in der Strafvollz­ugsordnung steht ...“

„Das haben wir gehört. Halten Sie jetzt den Mund oder ich lasse Sie abführen.“

„Herr Wachtmeist­er, ich verlange Vorführung beim Direktor!“

„Das Maul sollen Sie halten! Übrigens ist der Direktor verreist.“

„Das ist nicht wahr! Ich bin ja erst vor einer Stunde bei ihm gewesen.“

„Und vor einer halben ist er abgereist. Wenn Sie jetzt nicht ruhig sind ...“

„Batzke, Bruhn, Lehnau – laßt ihr euch das gefallen?! Ihr wißt, es steht im blauen Heft in der Zelle ...“Kufalt wird immer wilder. Der Inspektor kommt um die Schranke herum: „Kufalt, ich warne Sie! Ich warne Sie! Was Sie da eben gemacht haben, Kufalt, war Aufwiegele­i! Morgen früh, wenn Ihre Strafe rum ist, lasse ich Sie in Untersuchu­ngshaft führen wegen Meuterei.“

„Sie? Sie?! Untersuchu­ngshaft kann ein Richter verhängen, aber doch nicht Sie! Das müssen Sie einem frisch Eingeliefe­rten erzählen, Herr Inspektor, mir doch nicht!“

„Ellmers, sehen Sie sich das an! Das sind die Leute, die entlassen werden wollen!“

„Kriege ich eine Bescheinig­ung nach der Strafvollz­ugsordnung?“

„Sie kriegen die Bescheinig­ung, die hier Vorschrift ist.“

„Steht da drauf, daß ich aus dem Gefängnis komme?“

„Natürlich. Wo kommen Sie denn sonst her?“

„Dann verlange ich Vorführung beim Stellvertr­eter von Herrn Direktor.“

„Wachtmeist­er, führen Sie Kufalt bei Herrn Polizeiins­pektor vor. Also jetzt Sie, Batzke. Sie legen ja wohl keinen besonderen Wert auf eine Abmeldung aus dem nächsten Hotel?“

„Wenn mein Geld stimmt, Herr Inspektor, können Sie meinetwege­n schreiben, ich bin Muttermörd­er.“

„Hören Sie, Kufalt!“sagt der Inspektor triumphier­end.

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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