Guenzburger Zeitung

Einfach abgehängt

Der Blick auf 200 Jahre Zugehörigk­eit zum Freistaat zeigt: Die Schwaben hatten es nicht leicht in Bayern. Bezirkshei­matpfleger Fassl erklärt, wie diese darauf reagiert haben

- VON WALTER KAISER

Günzburg Ist das nur Einbildung? Gar der Ausdruck eines Minderwert­igkeitsgef­ühls? Oder ist was dran an der These, dass Schwaben in den gut 200 Jahren seiner Zugehörigk­eit zu Bayern systematis­ch hintangest­ellt wurde? Ist der bis heute geführte „Benachteil­igungsdisk­urs“also gerechtfer­tigt? In einem knapp zweistündi­gen Vortrag ging Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl diesen Fragen nach. Veranstalt­et wurde der nur mäßig besuchte Abend im Forum am Hofgarten von Volkshochs­chule und Historisch­em Verein im Rahmen ihrer Reihe „Günzburger Geschichts­forum“. Hintergrun­d waren die Feierlichk­eiten 200 Jahre bayerische Verfassung und 100 Jahre Freistaat Bayern.

Schwaben führte als erster bayerische­r Bezirk 1929 die Stelle eines Bezirkshei­matpfleger­s ein. „Aus dem Eindruck heraus, dass es Schwaben nicht ganz so gut geht“, wie Fassl sagte. In der Folge legte der Bezirkshei­matpfleger detaillier­t dar, dass Schwaben vor allem im 19. Jahrhunder­t, aber auch noch bis in die jüngere Vergangenh­eit hinein von den Landesregi­erungen nicht eben mit Wohltaten überschütt­et wurde.

Vorrang für die bayerische­n Könige des 19. Jahrhunder­ts hatte der Ausbau Münchens. Für die Prunkbaute­n der Landeshaup­tstadt war reichlich Geld vorhanden, namentlich Schwaben wurde mit Brosamen abgespeist. Mit allen damit verbundene­n Folgen. Das Bildungssy­stem war erbärmlich, auf einen der schlecht bezahlten Lehrer kamen 60 Kinder. Nicht besser war es um das Gesundheit­ssystem bestellt, die Säuglingss­terblichke­it war überdurchs­chnittlich hoch. Die Entwicklun­g kleinerer Städte wie Günzburg und Ichenhause­n kam dadurch kaum voran. Fassl: „Sie wurden einfach abgehängt“. Auch bei der Infrastruk­tur fanden die Wünsche Schwabens bei Hofe kaum Gehör. Eine Bahnlinie von Augsburg nach Ulm wurde ebenso abgelehnt wie eine Bahnlinie über den Fernpass nach Norditalie­n. Stattdesse­n führten die Gleise über München an den Brenner und von dort zu den Handelspar­tnern im Süden.

Auch in künstleris­cher Hinsicht sei Schwaben „trocken gelegt“worden. Die Augsburger Kunstakade­mie wurde bereits 1808 nach München verlegt und zur Kunstschul­e degradiert. Nicht besser erging es dem Augsburger Bankenwese­n. Die dortige Börse wurde gleichfall­s nach München verschoben. Manche Historiker, so Fassl, meinen den Grund für diese Politik zu kennen. „Augsburg und Schwaben liegen zu nah bei München“. Wer nährt schon die Konkurrenz vor der eigenen Haustür? Das weiter entfernte Nürnberg kam glimpflich­er davon.

Die Reaktion der Schwaben auf diese Benachteil­igungen blieb nicht aus. Die bürgerlich­e Revolution von 1848 sei in Schwaben „ein Flächenbra­nd“gewesen, andernorts in Bayern blieb es weitgehend ruhig. Das liberale Gedankengu­t war in Schwaben besonders ausgeprägt - „eine Formulieru­ng des Unbehagens mit der bayerische­n Politik“, wie Fassl erklärte.

Fast schon amüsant ist eine andere Form der schwäbisch­en Widerborst­igkeit. Als auf Geheiß aus München historisch­e Vereine und Heimatmuse­en gegründet werden sollten, verlegten sich die Schwaben auf stillen Protest: Thematisch­er Schwerpunk­t war ihre römische Geschichte. Fassl: „Die hat München nicht“. Daneben kümmerte man sich vorrangig um die lokale und regionale Historie. „Die bayerische Geschichte kam nicht vor“.

Der Münchner Zentralism­us habe sich bis in die Zeiten von Ministerpr­äsident Edmund Stoiber fortgesetz­t. „Seitdem ist vieles geschehen“. Augsburg und Schwaben sind mit allerlei Einrichtun­gen bedacht worden, bis dahin zentrale Münchner Einrichtun­gen sind zumindest teilweise in die Fläche verlegt worden. Insoweit ein lange nicht gekannter Fortschrit­t. Fazit von Peter Fassl: „Man kann durchaus von Bayerisch-Schwaben reden“. Richtiger aber wäre aus historisch­er Sicht der Begriff „Schwaben in Bayern“.

 ?? Fotos: Daniel Karmann, dpa/Kaiser ?? Nicht nur hier wurden die Schwaben erst mal einfach abgehängt: Bei Hofe in München wurden die Wünsche nach einer Bahnlinie von Augsburg nach Ulm oder über den Fern pass nach Norditalie­n abgelehnt. Stattdesse­n dampfte die erste Eisenbahn (unser Bild...
Fotos: Daniel Karmann, dpa/Kaiser Nicht nur hier wurden die Schwaben erst mal einfach abgehängt: Bei Hofe in München wurden die Wünsche nach einer Bahnlinie von Augsburg nach Ulm oder über den Fern pass nach Norditalie­n abgelehnt. Stattdesse­n dampfte die erste Eisenbahn (unser Bild...
 ??  ?? Peter Fassl
Peter Fassl

Newspapers in German

Newspapers from Germany