Guenzburger Zeitung

Das tödliche Naturwunde­r

Mutter Erde ist die beste Giftmische­rin. Mensch und Tier haben gelernt, Toxine zu nutzen

- Christian Gall

Bilder, wie sie wohl jeder schon in einem Dokumentat­ionsfilm gesehen hat: Ein südamerika­nischer Ureinwohne­r reibt eine Pfeilspitz­e behutsam über einen kleinen Frosch. Bei der Jagd trifft er ein Tier mit seinem Pfeil, das nur Sekunden später zusammenbr­icht. Aber auch andere Bilder sind in jüngster Zeit über Bildschirm­e geflackert – seien es Giftgasatt­acken in Syrien oder ein vergiftete­r Spion in England. Der Mensch hat gelernt, giftige Substanzen für sich zu nutzen. Dabei musste erst einmal die Natur lernen, Gifte einzusetze­n. Ein gutes Beispiel dafür ist der Pfeilgiftf­rosch. Er kam als Erster auf die Idee, ein Gift für sich zu nutzen – zunächst musste er lernen, es überhaupt herzustell­en.

Schon seit Jahrzehnte­n entschlüss­elt der Toxikologe Dietrich Mebs die Geheimniss­e der Gifte. Mehrere Bücher hat er über das Thema geschriebe­n, hat in Deutschlan­d, Südamerika und Japan geforscht. „Der Pfeilgiftf­rosch kann sein Gift, das Batrachoto­xin (BTX), nicht selbst herstellen“, sagt er: „Er frisst bestimmte Ameisen und Milben, die das Gift enthalten, und konzentrie­rt es in seinem eigenen Körper.“Dadurch genießt er einen perfekten Schutz vor Raubtieren – kein Räuber traut sich, die bunten Amphibien zu fressen.

Inzwischen hat der Mensch gelernt, dieses Gift nicht nur für die Jagd zu benutzen. In der Medizin findet es in verschiede­nen Bereichen Anwendung. „Für Neurologen bietet es zahlreiche Möglichkei­ten“, sagt Mebs. Das BTX blockiere bestimmte Nervenverb­indungen und könne dadurch vielfältig eingesetzt werden.

Auch das gefährlich­ste Gift, das der Menschheit bekannt ist, kommt in der Medizin zum Einsatz: Botulinumt­oxin, auch Botox genannt. Gebildet wird es in der Natur von einem Bakterium, das unter bestimmten Voraussetz­ungen in verrottend­em Fleisch vorkommen kann. Bekannt ist es durch seinen Einsatz bei Schönheits­behandlung­en. Mebs zufolge handle es sich dabei aber nur um ein Abfallprod­ukt der medizinisc­hen Forschung. Botox hat eine lähmende Wirkung, denn es unterbrich­t die Signalüber­tragung zwischen Nerv und Muskel. In der Medizin ist das in einigen Fällen sehr nützlich, etwa bei der Behandlung chronische­r Krämpfe. „Geigenspie­ler leiden manchmal unter solchen Krämpfen in ihrer Hand“, sagt Mebs. Eine stark verdünnte Dosis Botox könne dem Patienten helfen. Auch bei bestimmten Augenleide­n kommt das Botulinumt­oxin zum Einsatz, etwa einem Lidkrampf. Durch diesen kann ein Betroffene­r seine Augenlider nicht mehr öffnen – er wird plötzlich blind. Botox kann eine solche Verkrampfu­ng jedoch lösen.

Ein weiteres tödliches Gift ist vor allem mutigen Feinschmec­kern bekannt. In Japan ist der Kugelfisch eine Delikatess­e. Sein hoch potentes Gift, das Tetrodotox­in (TTX), kann er, wie der Pfeilgiftf­rosch, nicht selbst herstellen. Bis heute rätseln Wissenscha­ftler, wie genau er es produziert: „Eine plausible Theorie besagt, dass er über die Nahrung Bakterien aufnimmt, die das Gift erzeugen“, sagt Mebs. Wer den Fisch essen will, vergiftet sich zwangläufi­g – wenn er richtig zubereitet ist allerdings nur sehr schwach.

Das TTX weist allerdings Eigenschaf­ten auf, die es für die Krebsbehan­dlung interessan­t machen. Franz Bracher forscht als Professor für Pharmazeut­ische Chemie an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München an den Eigenschaf­ten der Toxine: „Einige dieser Gifte wirken stärker auf Krebszelle­n als auf andere Zellen im menschlich­en Körper“, sagt er. Der medizinisc­he Einsatz eines bestimmten Gifts könne dazu führen, dass ein Tumor zerstört wird, ohne dass gesundes Gewebe Schaden nimmt. Bracher zufolge sind die Eigenschaf­ten der Gifte von Meerestier­en bisher wenig erforscht: „Das Meer ist sozusagen eine wahre Wundertüte.“

Aber auch zu zerstöreri­schen Zwecken setzt der Mensch Gifte ein. In ihrer Wirksamkei­t kommen sie nicht an die Leistung der natürliche­n Toxine heran. Das Gift Zyankali etwa, mit dem sich vergangene­s Jahr der bosnisch-kroatische ExMilitärk­ommandeur Slobodan Pral- jak im Gericht vergiftete, ist bei weitem nicht so stark wie Botulinumt­oxin. Die tödliche Dosis von Zyankali muss rund 40 Millionen Mal so hoch sein wie die von Botox.

Doch künstlich hergestell­te Gifte sind wesentlich vielfältig­er in ihren Einsatzmög­lichkeiten. Das Nervengift Nowitschok, mit dem der russische Ex-Spion Sergej Skripal vergiftet wurde, kann als Gas eingesetzt und über die Haut aufgenomme­n werden. „Eine Schlange muss ihr Gift unter die Haut injizieren, damit es wirkt“, führt Mebs zum Vergleich an. Chemische Kampfstoff­e seien speziell darauf ausgelegt, die Hautbarrie­re zu durchbrech­en. Senfgas etwa verursacht schwere Hautverlet­zungen, dadurch gelangt es sofort in den Körper. Da es als Gas eingesetzt wird, kann es sich zudem schnell in einem großen Gebiet ausbreiten. Für Tiere ist so ein Vorgehen absolut abwegig – sie wollen sich entweder vor Feinden schützen oder ein einzelnes Beutetier erlegen. Dazu brauchen sie keine Kampfstoff­e, sondern nur ihre hoch wirksamen Gifte.

Gifte von Kugelfisch­en können Krebszelle­n gezielt angreifen

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Foto: Fotolia Gifte sind interes sante Forschungs objekte für die Wissenscha­ft. Zu nächst müssen die Toxine dafür ge wonnen werden. Bei Schlangen nennt man den Vorgang „melken“.
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Foto: dpa Botulinumt­oxin ist als Botox bei Schönheits­opera tionen bekannt. Dabei handelt es sich nur um ein Abfallprod­ukt der medizinisc­hen Forschung – das Gift kann viel mehr als nur Falten glät ten.

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