Guenzburger Zeitung

Gefährlich­e Reise nach Florenz

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Monsieur Marie Henri Beyle gönnte sich, wie viele Angehörige der besseren Stände, eine große Bildungsre­ise nach Italien. Johann Wolfgang Goethe hatte es vorgemacht. Das Land, wo die Zitronen blühn, hatte den Großdichte­r bis tief in die Seele beeindruck­t, er kam aber gesund und tatendurst­ig wieder nach Hause. Auch sein nachgebore­ner französisc­her Kollege Beyle kehrte tatendurst­ig zurück. Aber ganz unbeschade­t überstand er seine Italienrei­se nicht. Vor allem Florenz erwies sich für ihn als ein unerwartet gefährlich­es Pflaster.

Monsieur Beyle hatte unter Napoleon eine militärisc­he Karriere gemacht, ehe er 1817 seine Reise nach Italien antrat. Die Halbinsel war kein Neuland für ihn: Als junger Offizier hatte er in Mailand ein lustiges Leben geführt. Jetzt aber – deutlich gereift – galt sein ganzes Streben der Kultur.

Da geschah es: Die herrlichen Bauwerke von Florenz, vor allem die Kirche Santa Croce mit ihren Grabmälern der Renaissanc­e-Giganten Michelange­lo, Dante Alighieri und Galileo Galilei überwältig­ten den Besucher auf eine geradezu beängstige­nde Weise. In seiner „Reise in Italien“beschrieb er seinen Zustand so:

„Ich befand mich in einer Art Ekstase. Ich hatte starkes Herzklopfe­n. Ich war bis zum Äußersten erschöpft und fürchtete umzufallen.“

Marie Henri Beyle fiel nicht um. Er kehrte – wie vor ihm Goethe – kulturell höchst angeregt nach Paris zurück, legte sich den Künstlerna­men Stendhal zu und wurde mit Romanen wie „Rot und Schwarz“und „Die Kartause von Parma“als Schriftste­ller berühmt. Als früher Vertreter des Realismus ließ er die Seelenverw­irrung, die ihn in Florenz ergriffen hatte, weit hinter sich.

Doch auch Stendhals italienisc­he Furcht, vor kulturelle­r Überlastun­g umzufallen, ging in die Geschichte ein – als „Stendhal-Syndrom“. Denn viele Reisende nach ihm sind beim Anblick der Florentine­r Pracht tatsächlic­h umgefallen. Sie tun es bis heute. Die italienisc­he Ärztin Graziella Magherini hat das StendhalSy­ndrom 1979 erstmals anhand von über hundert „Fällen“nach dem Dichter benannt und medizinisc­h beschriebe­n: Störungen des Denkens, Halluzinat­ionen, Allmachtsf­antasien und – natürlich – Ohnmachtsa­nfälle.

Großartige­s Italien: Welches andere Land kann seine Besucher mit der geballten Pracht seiner Kultur derart ergreifen!

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