Wo der Schwabe Selbstbewusstsein tankt
Aufführung Die Burgauer Band 8872 hat mit ihrer musikalischen Nummernrevue erstmals den vertrauten heimischen Boden verlassen. Wie ist das Gastspiel in Günzburg angekommen?
Günzburg Die Lage am Freitag kurz vor 20.15 Uhr erwies sich – sagen wir mal – als unübersichtlich. Der Spielort war den Herren in dieser Formation bis dahin nicht vertraut. Außerdem wussten sie nicht, wer da auf sie warten würde – und wie viele es sind. Könnte also durchaus sein, dass der Puls bei dem einen oder anderen von 8872 noch etwas schneller ging als sonst. So ist das nun mal bei Auswärtsspielen. Und das erste überhaupt bestritt die Band von Initiator und Bassist Hermann Skibbe im Günzburger Forum am Hofgarten ziemlich genau ein Jahr nach ihrem ersten Schwablantis-Auftritt.
Bis dahin hatte die „älteste Boygroup Süddeutschlands“, wie die vier Musiker für sich selbst reklamieren, ausschließlich vor heimischem Publikum ihre Musik-Dialekt-Komödie Schwablantis aufgeführt. Woher das Quartett kommt, verraten die weißen und etwas angegriffen wirkenden Ziffern auf den schwarzen T-Shirts. Wenn Skibbe, Markus Kraus, Michael Smalko und Martin Köhler nebeneinander auf der Bühne stehen, ergibt das die Zahlenkombination 8872: Das ist die alte Postleitzahl Burgaus. Doch nicht nur diesen untergegangenen Code, der Briefe und Päckchen einstmals sicher an den Bestim- brachte, holten die „Schwablantiker“wieder an die Oberfläche. Aus den Untiefen tauchte in den rund zweieinhalb Stunden Bühnenprogramm zwar kein mythisches Inselreich auf; dafür aber – und vermutlich mindestens ebenso rätselhaft – erhielt das Wesen der Schwaben Konturen, die häufig genug einen „gewaltigen Mindelwertigkeitskomplex“in sich tragen und deshalb im Selbstbe- wusstseins-Ranking bayerischer Stämme einen Abstiegsplatz belegen.
Mit einer musikalischen Vitaminspritze beendete 8872 vor etwa 350 Zuhören die schwäbische Lust auf Understatement. „Schwätz’ schwäbisch oder schweig!“, forderte die Gruppe in einem ihrer kreativen Dialekttexte. Gegen Ende der Show wurde es bei schon sphärischen Klängen still im Saal, als das Postmungsort leitzahlen-Quartett Menschen beschrieb, die diese verrückte Welt auch aus größerer Distanz betrachten und deshalb besser beurteilen können als andere: „Schwebende Schwaben“lautet der Titel des Liedes. Genügend Selbstwertgefühl war zu diesem Zeitpunkt längst getankt worden. Schließlich seien diejenigen, die an diesem Abend Teil des „bayrischschwäbischen Singspecktakels“geworden sind, „erhaba/mit alle Wasser gwascha/geage ons/sin alle andre Flascha“.
Michael Smalko (Gitarre, Gesang) kann sich noch gut an das erste Treffen im Sommer 2016 erinnern: Die Grundidee war, bekannte Welthits textlich zu verändern und mit schwäbischem Dialekt zu versehen. „Ich hatte zuvor noch nie schwäbisch gesungen und war nicht davon überzeugt. Eigentlich ging ich damals nur mit Widerwillen hin – und hatte mir fest vorgenommen, bald wieder zu Hause zu sein.“Das mit der baldigen Rückkehr hat dann irgendwie doch nicht funktioniert.
Markus Kraus nimmt in der Band die Rolle des Animateurs ein und fordert das Publikum zum Klatschen und Mitsingen auf. Je länger Schwablantis aufgetaucht war, desto weniger Anstoß des Publikums war nötig.
Etwa eineinhalb Dutzend Nummern hat 8872 vorgetragen. Aber erst der „Schdargaschd“, der über sich und damit über einen ganzen Menschenschlag erzählt, trägt mit der Gruppe den langen, kurzweiligen Abend. Hans Reichhart senior, Bürgermeister von JetttingenScheppach, gehört zu den Schwablantis-Stammgästen und hat nicht zum ersten Mal gesehen, wie sich der Schorsch mit Filzhut, Gummistiefeln und im Blaumann im „Schwablantix Kochstudio“daran macht, sich sein Lieblingsessen – ein Leberwurstbrot – zuzubereiten. Da reißt’s mich jedes mal wieder“, sagt Reichhart und lacht. Schorsch-Darsteller Karl Bader ist ein Naturereignis. Wenn er auf die Bühne geht, verschwindet seine Nervosität. Und auch die mit Medikamenten bekämpfte Krankheit war dem „Mischder 200 Brozent“(100 Prozent Bayer plus 100 Prozent Schwabe), der sehr zur Erheiterung des Publikums auch einen schwäbischen Bauchtanz vollführt, nicht anzumerken.
Wie war das nun mit dem ersten Auswärtsspiel nach sechs Mal ausverkaufter Burgauer Kapuzinerhalle? Die Antwort: Eindeutig. 8872 und Schorsch haben gewonnen. Erst mit weiteren Auftritten in der Fremde wird der Wunsch eines schwablantischen Präsidenten erfüllt: „Let’s make Schwablantis great again!“