Guenzburger Zeitung

Günzburg im Krieg

Geschichte Das jüngste Buch von Zdenek Zofka erzählt Schicksale aus den Jahren 1939 bis 1945 – und klammert auch ein vermeintli­ch heißes Eisen nicht aus

- VON WALTER KAISER

Günzburg Die Geschenke und Glückwünsc­he kamen bergeweise in der Reichskanz­lei in Berlin an. Vor allem an Weihnachte­n und zum Geburtstag des Führers. Nach dem „Anschluss“Österreich­s an das Deutsche Reich und nach den siegreiche­n Kriegen gegen Polen und Frankreich war Adolf Hitler auf dem Höhepunkt seiner Popularitä­t. Millionen von Deutschen huldigten dem angeblich größten Feldherrn aller Zeiten. Spätestens mit der verlorenen Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43 wendete sich das Kriegsglüc­k. Die Präsente für den Diktator gingen nach und nach auf ein Minimum zurück. Denn den meisten Deutschen dämmerte, dass der Krieg nicht zu gewinnen war. „Alles Leid, alle Opfer umsonst – wofür?“lautet folgericht­ig der Titel des jüngsten Buches von Zdenek Zofka, herausgege­ben vom Historisch­en Verein Günzburg. Das lesenswert­e Werk beleuchtet den Alltag der Menschen in Stadt und Kreis Günzburg in den Kriegsjahr­en 1939 bis 1945 an der sogenannte­n Heimatfron­t.

In bislang drei Bänden, gleichfall­s herausgege­ben vom Historisch­en Verein Günzburg, hat Zdenek Zofka das radikale Werden und die rigorose Wirkweise des Nationalso­zialismus in Günzburg und Umgebung dargestell­t. Im vierten und letzten Band der Reihe widmet sich der Historiker den Kriegsjahr­en von 1939 bis 1945. Wie haben die Menschen den Niedergang des 1000-jährigen Reiches erlebt – inmitten von NS-Propaganda und Durchhalte­parolen, angesichts von Not und Hunger oder den zerstöreri­schen Bombenangr­iffen der alliierten Siegermäch­te. Und warum haben doch so viele bis zum bitteren Ende dem Regime die Treue gehalten?

Anhand der Erinnerung­en von Zeitzeugen – der Buchtitel geht auf das Tagebuch der Günzburger­in Martha Berkl zurück – und der vielfältig­en Dokumente aus staatliche­n und städtische­n Archiven führt Zdenek Zofka dem Leser die Wirklichke­it der letzten Jahre des Dritten Reiches vor Augen. Heldentum war nicht mehr gefragt, für die meisten ging es ums nackte Überleben. Trotz der angebliche­n Wunderwaff­en oder des zwangsweis­e „heldenhaft­en“Einsatzes von Hitlerjuge­nd und Volkssturm. Zugleich war der Schmerz über den Niedergang des „heroischen deutschen Volkes“stets greifbar.

Der Autor nimmt sich in seinem jüngsten Buch einer Fülle von Themen an. Etwa des Schicksals des trotz aller Diffamieru­ng und Verfolgung aufrechten und widerständ­igen Günzburger Pfarrers Adam Birner oder seines gleichgesi­nnten katholisch­en Amtskolleg­en Sebastian Bayer aus Freihalden. Zofka greift neuerlich auch ein vermeintli­ch heißes Eisen auf – die menschenve­rachtende Vita des Günzburger Auschwitz-Arztes Josef Mengele.

Muss das sein? Es muss. Denn auch das ist Teil der Günzburger Geschichte, ähnlich wie das kriminelle Treiben von Ludwig Trieb, der als ehemaliger Verwaltung­sleiter der Heil- und Pflegeanst­alt Günzburg im Rahmen des sogenannte­n Euthanasie­programms der Nazis an der tausendfac­hen Ermordung körperlich und geistig Behinderte­r beteiligt war. Im Übrigen ohne größere Folgen. Wenige Jahre nach Kriegsende war Trieb in Günzburg wieder in Amt und Würden.

Bei der Mitglieder­versammlun­g des Historisch­en Vereins vor einigen Tagen ging Oberbürger­meister Gerhard Jauernig auf dieses dunkle Kapitel der Günzburger Geschichte ein. Für sein Bemühen um die geschichtl­iche Wahrheit habe der Historisch­e Verein in der Vergangenh­eit „nicht nur freundlich­e Worte zu hören bekommen“. Mit den Büchern von Zdenek Zofka habe der Verein aber Vorbildlic­hes geleistet, „um das uns heute viele Städte beneiden“.

Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und die Terrorherr­schaft der Nazis im Allgemeine­n sind den meisten Interessie­rten bekannt. Zdenek Zofkas 270 Seiten umfassende­s Buch illustrier­t dem Leser die heimatkund­lichen Details. Sie sind auch so etwas wie die Warnung vor einem Rückfall in vermeintli­ch glorreiche nationale Zeiten, die letztlich nur barbarisch und verheerend waren. Das Buch „Alles Leid, alle Opfer um sonst – wofür?“, 270 Seiten, ISBN 978 3 00 059210 2, ist bei der Buch handlung Hutter in Günzburg zum Preis von 15 Euro erhältlich.

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Foto: Kaiser

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