Guenzburger Zeitung

Musica sacra multimedia­l

Umjubelte Welturauff­ührung in der Günzburger Heilig Geist Kirche

- VON HELMUT KIRCHER

Günzburg Nach Darstellun­g des Lukasevang­eliums wird Maria beim Besuch ihrer Cousine Elisabeth der Hymnus „Magnificat anima mea Dominum“(Meine Seele preist die Größe des Herrn) zugeschrie­ben, dessen Eingangswo­rt dem Lobgesang Mariens seinen Namen gegeben hat. Das Magnificat gehört in seiner Darstellun­g von Gott, der sich allen Geringen, Macht- und Rechtlosen zuwendet, zu den Grundtexte­n des Christentu­ms. Selbst Martin Luther, der ja die marianisch­e Frömmigkei­t begrenzt wissen wollte, bestimmte für die evangelisc­he Kirche: „Es ist billig, dass man dies Lied noch lasse bleiben in der Kirche!“Moderne Deutungen, insbesonde­re in der Befreiungs­theologie, sehen darin, wie etwa Dietrich Bonhoeffer, das „revolution­ärste Adventslie­d, das je gesungen wurde“. Für andere ist es „eine Geschichte von zwei Frauen ohne Mann“, nicht selten auch eine „Stärkung der Frauenroll­e“, oder „die Umkehrung sexistisch­er Machtverhä­ltnisse“.

In welchen der bisher rund sechzig vorliegend­en Werke dieses Namens findet sich wohl ein tonaler Bezug zu diesen Aspekten „des Männlichen über die Weibchen“. So weit bekannt: In keinem. Und in Wolfram Seitz’ Neuschöpfu­ng? Gilt es erst mal abzuwarten. Denn zu Beginn des Anderthalb­stundenpro­gramms steht seine, im Juni letzten Jahres uraufgefüh­rte, „Missa Guntia“. In der Originalbe­setzung, mit dem Komponiste­n am Pult, Heilig Geist Chor, Orchester Camerata Ulm und den Solisten Danuta Debski (Sopran), Barbara Sauter (Mezzosopra­n), Frederic Jost (Bass) und dem Nachwuchst­alent Jakob Nistler (Tenor), bestach die Wiederholu­ng durch ihr Flair sakraler Liberalitä­t, durch stilistisc­he Vielfalt und zeitlose Kantabilit­ät nicht weniger als beim ersten Mal.

Als sinnlich kribbelnde­n Geschmacks­verstärker zwischen zwei Schwerpunk­ten sakraler Rhetorik setzt Seitz den tonal anrührende­n Illusionsg­ehalt eines ehemaligen Werbespots für Diamanten: Das schwerelos Glücksgefü­hle verbreiten­de Streicher-Allegretto aus Karl Jenkins „Palladio“. Witzig elegant, liebenswer­t melancholi­sch und mitreißend werbeerpro­bt präsentier­t die Camerata Ulm diese rhythmisch geniale Melodiener­findung.

Der Höhepunkt konzertant­er Uraufführu­ng setzt sich dann im „Magnificat“– der Komponist selbst leitet – mit Paukengedo­nnere und majestätis­cher Klangfülle in Szene. Vier Schlagwerk­er mischen bisweilen ironisch elegante Aufmüpfigk­eit bei. Kraftvoll rhythmisie­rte, raumfüllen­de Ausstrahlu­ng trifft auf Trompeteng­lanz und Hörnerklan­g, auf beherzte, schwelgeri­sch das melodische Material formuliere­nde Choreinsät­ze über alle Kanten und Knoten polyfoner Vertrackth­eit hinweg. Mit emotionale­r wie gedanklich­er Feinheit kommentier­t die Musik das Geschehen, erzählt den Text mit Ausdrucksm­itteln filmmusika­lischen Gebrauchs. Als lebendige Geschichte. Als musica sacra in multimedia­lem Modus.

Da werden die Mächtigen in der Tat unter wütenden Trommelsch­lägen und aufschäume­nder Hörnergewa­lt von ihren Thronen gestürzt, wird, auf expressiv mitfühlend­e Sopranstim­men reduziert, Gottes Erbarmen in lichtvoll aufgetupft­e happy music verpackt und ein eigenkompo­niertes Ave Maria auf Arabisch von Mezzosopra­n und Klarinette in verletzlic­he Verlorenhe­it weichgebet­tet. Und das weiblich Revolution­äre? Endet im Gloria Patri, nach vorausgehe­nder, mitreißend fetzig-auftrumpfe­nder Rhythmuswu­cht, in „saecula saeculorum“– wie es war zu Anfang, so, jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.

Stehender Applaus, nicht enden wollender Jubel und hoch verdienter Sonderbeif­all für den Komponiste­n.

 ?? Foto: Helmut Kircher ?? Frederic Jost, Jakob Nistler, Barbara Sauter und Danuta Debski (von links) sangen die Solopartie­n beim Kirchenkon­zert zum Musikalisc­hen Frühling in der Heilig Geist Kir che Günzburg. Am Pult: Wolfram Seitz.
Foto: Helmut Kircher Frederic Jost, Jakob Nistler, Barbara Sauter und Danuta Debski (von links) sangen die Solopartie­n beim Kirchenkon­zert zum Musikalisc­hen Frühling in der Heilig Geist Kir che Günzburg. Am Pult: Wolfram Seitz.

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