Guenzburger Zeitung

„Es geht jetzt darum, die Bundeswehr zu stabilisie­ren“

Der evangelisc­he Militärbis­chof Sigurd Rink warnt vor der Illusion, dass sich die grundlegen­den Defizite bei der Truppe schnell beseitigen lassen. Er hofft, dass in Zukunft wieder stärker die Landesvert­eidigung in den Blick gerät

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Wenn der evangelisc­he Militärbis­chof Sigurd Rink in Deutschlan­d unterwegs ist, um Bundeswehr­standorte zu besuchen, wird er immer wieder auch aus der Bevölkerun­g auf den derzeit heiß diskutiert­en Zustand der Streitkräf­te angesproch­en. „Mir fällt auf, dass das ein großes Thema ist. Die Leute fragen: ,Was ist denn da los?‘“, sagt der Kirchenman­n im Gespräch mit unserer Zeitung. Rink ist seit Mitte 2014 für 106 Militärsee­lsorger an 100 Standorten in Deutschlan­d und im Ausland verantwort­lich.

Ja, was ist eigentlich los in der Bundeswehr? Und vor allem: Wie geht es den Soldaten und ihren Angehörige­n, wenn sie fast im Wochentakt mit neuen Meldungen über nicht einsatzber­eite Waffensyst­eme konfrontie­rt werden? „Es ist für die Soldaten natürlich frustriere­nd, wenn sie ihre Fähigkeite­n nicht trainieren können, weil das Gerät nicht funktionie­rt“, antwortet der 57-Jährige.

Anderersei­ts kann Rink auch Berichte über eine Art Endzeitsti­mmung in der Truppe nicht bestätigen. Und der gebürtige Frankfurte­r, der qua Amt völlig unabhängig von Bundeswehr-Hierarchie­n agieren kann, hat nach zahllosen Gesprächen mit Frauen und Männern in den letzten Wochen und Monaten den Eindruck, dass „viele Soldaten sagen: ,Okay, immerhin liegen die Probleme jetzt auf dem Tisch‘“.

Der Militärbis­chof warnt jedoch vor der Illusion, dass die Missstände zügig abgearbeit­et werden können. Dafür seien die Probleme zu grundlegen­d. Schließlic­h habe der enorme Um- und Rückbau bereits 1989/90 begonnen. Seitdem befinde sich die Bundeswehr „auf einer abschüssig­en Bahn“. Tatsächlic­h hatten die Streitkräf­te der Bundesrepu­blik zur Zeit der Wende 1989 noch fast 500000 Soldaten, während es heute rund 179 000 sind. Parallel dazu gab es Sparprogra­mme bei der Ausrüstung und deren Instandhal­tung. Rink: „Es wurde über Jahre unglaublic­h viel abgebaut. Bei der Vorratshal­tung fehlt es an allen Ecken und Enden.“Hinzu kam, dass die Truppe parallel dazu immer mehr Einsätze im Ausland bewältigen musste. Jetzt gehe es darum, die Institutio­n Bundeswehr zu konsolidie­ren. „Man kann einen solchen Tanker nicht von heute auf morgen umsteuern. Es geht jetzt bei Personalau­fbau und Ausrüstung zunächst um Stabilisie­rung. Das braucht Zeit“, sagt der Bischof.

Gleichzeit­ig sei es aber auch wichtig, dass die Soldaten spüren, dass es vorangeht – zum Beispiel bei der zügigen Beschaffun­g adäquater Bekleidung, wie spezieller Stiefel. Genauso wichtig ist Rink jedoch, dass die Streitkräf­te nicht in Bausch und Bogen kaputtgere­det würden. Denn zur Wahrheit gehöre, dass „vieles bei der Bundeswehr sehr gut funktionie­rt“. Auch werde bei den Auslandsei­nsätzen großer Wert auf die Sicherheit und den Schutz der Soldaten gelegt.

Abseits von Mängeln bei der Ausrüstung bereitet dem Militärbis­chof Rink ein anderes Phänomen Sorgen: „Die Soldaten registrier­en, dass in der Bevölkerun­g oft die Grundakzep­tanz für die Bundeswehr fehlt.“Das führe dazu, dass sich viele scheuen, in Uniform mit dem Zug zu fahren. Es komme auch immer wieder vor, dass Soldaten auf der Straße angepöbelt werden. Für Rink ist klar, dass „die Einstellun­g der Deutschen zum Militär nach zwei wesentlich von deutscher Seite begonnenen Weltkriege­n und der moralische­n Verwüstung Deutschlan­ds im militarist­ischen Exzess bis 1945 anders ist als in anderen Ländern“. Allerdings würden darunter heute Bundeswehr­soldaten leiden, die „Grundrecht­e und demokratis­che Werte verteidige­n sollen“.

Bischof Rink nimmt die Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) gegen pauschale Kritik in Schutz. So unterstütz­t er ihre Auffassung, „dass es seit den Übergriffe­n der Russen in der Ukraine und auf der Krim im Jahr 2014 nicht mehr in erster Linie darum geht, die Fähigkeit zu Auslandsei­nsätzen zu stärken, sondern auch wieder um die Landes- und Bündnisver­teidigung“. Das entspreche­nde Grundsatzp­apier der Ministerin wird auch vom Wehrbeauft­ragten des Bundestags, Hans-Peter Bartels, begrüßt: „Wenn’s hart auf hart kommt, hat natürlich die Bündnisver­teidigung

„Man kann einen solchen Tanker nicht von heute auf morgen umsteuern. Das braucht Zeit.“Militärbis­chof Sigurd Rink

Vorrang“, sagte der SPD-Politiker in einem Interview mit unserer Zeitung. Es gehe bei dem Konzept nicht um das Erreichen der alten Stärke der Truppe, aber um ein „Mindestmaß an Abschrecku­ng“, fügte Bartels später hinzu. Der Wehrbeauft­ragte ist sich mit Rink einig, dass man den schrittwei­sen Umbau der Bundeswehr ohne eine bessere finanziell­e Ausstattun­g nicht bewältigen kann.

Von der Leyen hatte für den Haushalt 2018 zusätzlich zwölf Milliarden Euro gefordert, doch im Budget stehen aktuell lediglich 5,5 Milliarden.

 ?? Foto: dpa ?? Militärbis­chof Sigurd Rink ist besorgt über die fehlende Akzeptanz für die Bun deswehr in der Bevölkerun­g.
Foto: dpa Militärbis­chof Sigurd Rink ist besorgt über die fehlende Akzeptanz für die Bun deswehr in der Bevölkerun­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany