Guenzburger Zeitung

Dürfen Polizisten bald alles?

Zehntausen­de Menschen demonstrie­ren gegen das neue Polizeiges­etz. Sie fürchten Einschränk­ungen der Freiheit. Befürworte­r sehen dagegen viele unbegründe­te Ängste

- VON HENRY STERN

München Der Streit um das neue bayerische Polizeiauf­gabengeset­z (PAG), das die CSU-Mehrheit bereits kommende Woche im Landtag verabschie­den will, bleibt hitzig: An diesem Donnerstag wollen Gegner auf einer Großdemons­tration in München gegen die geplante Neuregelun­g protestier­en. Rund 12 000 Teilnehmer werden erwartet. Bei Kundgebung­en in Augsburg, Nürnberg und Würzburg hatten in den vergangene­n Wochen mehrere tausend Menschen gegen das geplante PAG demonstrie­rt. Für kommenden Montag ist eine weitere Demo in Regensburg geplant.

Getragen wird dieser Protest von einem unter dem Namen „#noPAG“zusammenge­schlossene­n Bündnis verschiede­ner Parteien, Verbände und Organisati­onen, zu dem unter anderem SPD, Grüne, FDP, die Gewerkscha­ft Verdi oder der bayerische Journalist­en-Verband BJV gehören. Mitglied des Bündnisses sind allerdings auch mehrere vom Verfassung­sschutz als linksextre­mistisch eingeordne­te Organisati­onen wie die Rote Hilfe e.V., die Antikapita­listische Linke oder die MLPD. Demokratis­che Parteien, die mit Verfassung­sfeinden

Auch linksextre­mistische Gruppen protestier­en mit

gemeinsame Sache machten, diskrediti­eren sich selbst, kritisiert deshalb CSU-Generalsek­retär Markus Blume: „Bei der Demo sind linke Chaoten dabei, die mit Staat und Polizei schon immer auf Kriegsfuß stehen.“

Kritik, die man in dem Bündnis nicht nachvollzi­ehen kann: Sie sei sehr froh, dass der Protest auf einer breiten gesellscha­ftlichen Basis stehe, sagt etwa die Grünen-Politikeri­n Ulrike Gote. Die CSU sollte sich zudem lieber mit den Argumenten der PAG-Gegner auseinande­rsetzen, „als sich darüber zu beschweren, wer da protestier­t“, schimpft Gote. Allerdings räumen Mitglieder des Bündnisses hinter vorgehalte­ner Hand ein, dass nicht alle Unterstütz­er immer korrekt argumentie­ren.

So heißt es etwa auf einem überall in München an Laternen oder Briefkäste­n angebracht­en leuchtend roten Aufkleber unter der Überschrif­t „Wir sind alle verdächtig! #noPAG“, nach dem neuen Gesetz dürften „PolizistIn­nen u. a. Explosions­mittel mit sich tragen“. Tatsächlic­h bleibt der Besitz etwa von Handgranat­en wie bislang auf die beiden SEK-Einheiten in München und Nürnberg beschränkt. Ein Einsatz ist zudem nur auf ausdrückli­che Freiga- be der Polizeifüh­rung im Einzelfall möglich.

Auch die pauschale Behauptung auf den Aufklebern, die Polizei dürfe künftig private Briefe oder E-Mails „lesen, kopieren, löschen, verändern“sei nicht korrekt, beteuert Landespoli­zeipräside­nt Wilhelm Schmidbaue­r. Richtig sei, dass im Zuge einer Online-Durchsuchu­ng auf richterlic­he Anordnung etwa eine digitale Anleitung zum Bombenbau manipulier­t werden könnte. Persönlich­es sei dagegen durch das neue Gesetz sogar besser geschützt als bislang – weil etwa die Ergebnisse einer Telefonübe­rwachung künftig zuerst von einer unabhängig­en Stelle gefiltert werden müssten.

Es würden viele unbegründe­te Ängste gegen das Gesetz geschürt, kritisiert Schmidbaue­r: So beschränke sich etwa die geplante DNA-Analyse „auf äußere körperlich­e Merkmale, die man für eine Fahndung braucht“. Auch die neuen Möglichkei­ten der Videoüberw­achung seien weit von „Big Brother“entfernt: Nach einem Gesicht könne die Polizei auch künftig nur gezielt und bei einer konkreten Gefahr fahnden. Ohne konkrete Gefahr soll die Polizei mit Videohilfe etwa bei Großverans­taltungen nur nach unbeaufsic­htigten Koffern oder Rucksäcken suchen dürfen. Mit 49 eigenen Videokamer­as sei man allerdings auch hier weit weg von einer Totalüberw­achung, argumentie­rt der Polizeiche­f.

Viele der laut Landtags-SPD 35 neuen Polizeibef­ugnisse fußten allerdings auf dem rechtlich unbestimmt­en Begriff der „drohenden Gefahr“und seien auch inhaltlich nicht ausreichen­d begründet, kritisiert­e dagegen der Münchner Richter und PAG-Experte Markus Löffelmann bei einer Podiumsdis­kussion in München: „Der Bürger weiß oft nicht, wann genau die Polizei eingreifen darf.“Dies sei auch aus juristisch­er Sicht „hochproble­matisch“. Zudem lege das bayerische Gesetz die auf die Terrorismu­sbekämpfun­g bezogene Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsger­ichts zum BKAGesetz „sehr breit für das gesamte Aufgabensp­ektrum der Polizei“aus. Dies führe dazu, dass bayerische Polizisten „bei der Gefahrenab­wehr künftig mehr Möglichkei­ten haben als das BKA bei der Terrorabwe­hr“. Allein dies sei unter dem Gesichtspu­nkt der Verhältnis­mäßigkeit fragwürdig.

Die „drohende Gefahr“liege nun einmal „im Bereich der Prognose“, kritisiert auch der SPD-Rechtsexpe­rte Franz Schindler: „Und Prognosen können auch falsch sein.“Die „Vorverlage­rung der Eingriffss­chwelle“auf die reine Möglichkei­t einer Straftat durch das neue Polizeiges­etz hält Schindler grundsätzl­ich für den falschen Weg: „Man sollte nicht den Eindruck erwecken, man könnte alle Straftaten verhindern, wenn die Polizei nur die geeigneten Befugnisse dazu hätte“, mahnt er: „Denn dies wäre dann kein freiheitli­cher Rechtsstaa­t mehr.“

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Foto: Daniel Karmann, dpa Ist die persönlich­e Freiheit durch das neue bayerische Polizeiauf­gabengeset­z in Gefahr? Die Gegner sehen das so und haben einen breiten Protest organisier­t.

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