Guenzburger Zeitung

Manche spüren nichts vom Boom

Auf 57 Berufstäti­ge kommt im Landkreis nur ein Arbeitslos­er. Doch für Betroffene macht es das nicht besser. Wie Ehrenamtli­che helfen wollen und das Jobcenter die Lage beurteilt

- VON PHILIPP WEHRMANN

Günzburg Die Arbeitslos­enquote hat im Landkreis Günzburg mit 1,7 Prozent ein Rekordtief erreicht. Doch diese 1,7 Prozent bleiben vorerst, und hinter dieser Zahl stehen Menschen. Dass jedermann von Fachkräfte­mangel, vollen Auftragsbü­chern der Unternehme­n oder gar Vollbeschä­ftigung spricht, führt dazu, dass Betroffene bei jeder Absage umso mehr an sich zweifeln.

Die ehrenamtli­che Jobmentori­n Elvira Jaitner sitzt mit ihrem Schützling in den Räumen des Freiwillig­enzentrums Stellwerk in Günzburg. Ihre Mentee, ihr Schützling sozusagen, kommt aus dem nördlichen Landkreis Günzburg und ist 33 Jahre alt. Sie hat zwei abgeschlos­sene Ausbildung­en als Modeschnei­derin und Bürokauffr­au und ist derzeit arbeitslos. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, weil sie dadurch Nachteile bei Bewerbunge­n befürchtet. Vergangene­s Jahr arbeitete sie noch im Büro, dann kam im Sommer die Kündigung, seitdem sucht sie vergeblich einen Job in ihrem gelernten Beruf. Weil ihr letztes Arbeitsver­hältnis zu kurz war, rutschte sie sofort in Hartz IV, sagt sie. „Ich hasse diesen Namen.“

Menschen behandelte­n sie anders, seit sie arbeitslos ist, sagt sie. Die meiste Zeit des Tages verbringt der Mensch bei der Arbeit – falle die weg, fehle ein großer Teil des Lebens, auch des sozialen. Sie hat aufgehört zu zählen, wie viele Bewerbunge­n sie geschriebe­n hat. „Oft dauert es drei bis vier Monate, bis eine Antwort kommt, wenn sie überhaupt kommt.“Hin und wieder ein Bewerbungs­gespräch, ohne Erfolg. Dabei sei Bürokauffr­au ja ein gefragter Beruf, meint sie. Sie ist ledig und kinderlos, das kommt bei Personaler­n gut an. „Ich kann mir vorstellen, dass einige befürchten, in meinem Alter würden Frauen oft Kinder bekommen und ausfallen.“

Jaitner steht ihr seit einigen Monaten zur Seite. Ursprüngli­ch wollte sie einen sozialen Beruf ergreifen, landete doch bei einer Bank, und begann deshalb schon früh, sich in ihrer Freizeit ehrenamtli­ch zu engagieren. Seit zwei Jahren steht sie nun Arbeitslos­en zur Seite. „Man trägt eine sehr große Verantwort­ung für seinen Mentee“, sagt sie. Als „Mentee“wird die betreute Person der Mentorin bezeichnet.

Maria Granz arbeitet beim Freiwillig­enzentrum Stellwerk und ist Leiterin des Projekts Jobmentore­n, das es seit 2014 gibt. Es soll eine Er- gänzung zu der Beratung und den Leistungen des Amtes bieten, erklärt sie. Ehrenamtli­che hätten die Möglichkei­t, ein persönlich­es Verhältnis zu den Betreuten aufzubauen. Eine persönlich­e Beziehung sei wichtig, um den Schützling­en auch über die Jobsuche hinaus zu helfen.

In der Diskussion über Tafeln in Deutschlan­d werfen Kritiker der Politik vor, Aufgaben an Ehrenamtli­che zu delegieren, für die eigentlich der Staat Sorge tragen müsse. Sollten also öffentlich­e Einrichtun­gen den Arbeitssuc­henden helfend zur Seite stehen und sie bei persönlich­en Problemen unterstütz­en? Die arbeitslos­e junge Frau antwortet mit einem klaren „Ja“. Im Amt fühle man sich sehr unter Druck gesetzt.

Granz ist etwas anderer Meinung, ihr zufolge fehlten der Behörde die Möglichkei­ten, um die Arbeitslos­en außerhalb der Regularien zu betreuen. Außerdem unterlägen sie strikten Vorgaben, an die sie sich zu halten haben. Bei Ehrenamtli­chen und gemeinnütz­igen Organisati­onen sei das anders. Zudem seien die MentoDisku­ssion ren Menschen, die fest im Leben stehen und gut in Firmen vernetzt sind. Jaitner sagt, es sei besonders wichtig, die Betroffene­n aufzumunte­rn und ihnen etwas Halt zu geben: „Geb nicht auf!“

Ralf Schreyer, Leiter des Jobcenters des Landkreise­s Günzburg, beschreibt die Aufgabenve­rteilung ähnlich wie Granz: „Wir unterstütz­en Menschen bei der Jobsuche und geben ihnen Geld zum Leben, bis sie in Arbeit kommen“, sagt er. Die Ehrenamtli­chen könnten auf einer persönlich­eren Basis und mit mehr Freiheiten helfen – wobei er sich manchmal etwas mehr profession­elle Distanz zwischen Helfern und ihren betreuten Personen wünsche, sagt Schreyer. Zwar könne auch das Jobcenter in bestimmten Fällen, zum Beispiel bei Problemen mit Schulden, an Berater vermitteln. Doch grundsätzl­ich sei es für ihn so, erklärt der Chef des Jobcenters: „Der Mensch interessie­rt mich nur, insoweit er in Bezug ist“.

Den Vorwurf sozialer Kälte, der den Einrichtun­gen oft gemacht wird, weist er zurück. Man halte sich an Gesetze. Zurzeit sei es eben so, dass der Bezug von Leistungen nach dem Sozialgese­tzbuch II, also Hartz IV, an Bedingunge­n geknüpft sei. Lasse ein „Kunde“– so nennt Schreyer Arbeitslos­e, die das Jobcenter betreut – einen Termin verstreich­en oder schlage er eine Arbeitsste­lle aus, werde ihm Geld von den Leistungen abgezogen, bis zu 30 Prozent. „Es gibt ja eine politische darüber, ob man das ändern sollte“, sagt er. Derzeit sei das nun mal die Vorgabe. „Natürlich ist es manchmal hart, wenn jemand etwas Gutes gelernt hat und dann eine Arbeit mit einem Stundenloh­n von 8,84 Euro annehmen muss.“Aber seine Aufgabe und die seiner Mitarbeite­r sei es schlichtwe­g, zu gewährleis­ten, dass „ein arbeitsfäh­iger Mensch so viel selbst verdient, wie er verdienen kann“, sagt er.

Knapp 500 Menschen beziehen im Landkreis derzeit Hartz IV. Davon sind etwa die Hälfte langzeitar­beitslos, haben also seit mindestens einem Jahr keine feste Arbeitsste­lle, sagt Schreyer. Von Oktober 2015 bis Oktober 2017 sei ihre Zahl von 315 auf 238 Personen um knapp 27 Prozent gesunken. Die gute Wirtschaft­slage habe sich demnach auch auf die Gruppe der Langzeitar­beitslosen ausgewirkt. Er verweist darauf, dass im selben Zeitraum viele Flüchtling­e kamen, die nun teilweise in die Zuständigk­eit des Jobcenters fallen. Derzeit mache diese Gruppe etwa 150 der 500 Bezieher aus, schätzt Schreyer. Trotz Sprachbarr­iere könne man erstaunlic­h viele in Arbeit vermitteln. „Man fragt sich schon, wieso Flüchtling­e teilweise einfacher zu vermitteln sind als Langzeitar­beitslose.“

„Ehrenamtli­che kön nen eine per sönliche Bezie hung zu den Mentees auf bauen.“Maria Granz, Projektlei­terin

OKontakt Interessie­rte, die sich als eh renamtlich­e Jobmentore­n engagieren oder Beratung in Anspruch nehmen möchten, erreichten Projektlei­terin Maria Granz unter 08221/9301326.

 ?? Foto: Philipp Wehrmann ?? Elvira Jaitner (links) berät als Mentorin ihre Mentee, die seit Sommer vergangene­n Jahres eine Stelle als Bürokauffr­au sucht. Die ehrenamtli­chen Jobmentore­n des Stellwerks Günzburg sollen Arbeitslos­en neben dem Amt unterstütz­en.
Foto: Philipp Wehrmann Elvira Jaitner (links) berät als Mentorin ihre Mentee, die seit Sommer vergangene­n Jahres eine Stelle als Bürokauffr­au sucht. Die ehrenamtli­chen Jobmentore­n des Stellwerks Günzburg sollen Arbeitslos­en neben dem Amt unterstütz­en.
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