Das unterschätzte Arbeiterkind
Michael Ludwig wollte schon lange Wiener Bürgermeister werden. Jetzt ist er gewählt. Das erste Versprechen gilt seiner Verlobten
Wer von einem Bürgermeister vor allem Showtalent erwartet, den wird Michael Ludwig enttäuschen. Er ist weder Rampensau und noch Entertainer, sondern ein behäbiger und umgänglicher Pragmatiker. Seit elf Jahren ist er im rot regierten Wien aktiv. 2007 löste er den späteren SPÖKanzler Werner Faymann als Wohnbaustadtrat ab und wurde 2009 Vizebürgermeister.
Damals hielten ihn viele für zu nett und nicht durchsetzungsfähig genug. Sie wurden eines Besseren belehrt. Mit strategischem Talent hat er sich schon vor Jahren als Nachfolger des barocken Stadtoberhaupts Michael Häupl in Stellung gebracht und die SPÖ in den Arbeiterbezirken hinter sich vereint.
Als Kind half Ludwig abends seiner alleinerziehenden Mutter, die als Hilfsarbeiterin in einer Siphonfabrik arbeitete, in Heimarbeit beim Zusammenschrauben der Siphonkapseln. „Wenn man Arbeiter ist, kann man nur die SPÖ wählen, hat sie immer gesagt“, erinnert sich Ludwig. Er trat früh in die Partei ein, studierte, promovierte und machte bei den Volkshochschulen Karriere. „Bildung legte den Grundstein zum Aufstieg der Arbeiterklasse“, so der enge Freund von Ex-Bundespräsident Heinz Fischer. In seiner Rede vor der Wahl zum neuen Bürgermeister von Wien bekannte der 57-Jährige: „Mein Herz schlägt für die soziale Gerechtigkeit.“
Als Wohnbaustadtrat verantwortete Ludwig 220 000 gemeindliche Wohnungen. In denen liegt bis heute vieles im Argen, wovon vor allem die FPÖ profitiert. Sie hat die Sozialdemokratie in manchen Außenbezirken und Kleingartensiedlungen deutlich abgehängt. Als Ludwig das Gespräch und „die Suche nach gemeinsamen Schnittmengen“mit den Freiheitlichen ankündigte, löste er in der Wiener SPÖ erbitterte Flügelkämpfe aus und hätte sich fast um die Häupl-Nachfolge gebracht.
Vor der Wahl zum Chef der Wiener SPÖ 2018 stellte er aber klar, dass eine Koalition mit der FPÖ für ihn nicht infrage komme. Schließlich sei er durch die Arbeit im „Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen“geprägt. So wurde der Weg ins Bürgermeisteramt frei.
Wien wächst rasant und Ludwig will verhindern, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung davon profitiert. „Ich habe eine Schutzfunktion für die in Wien lebende Bevölkerung“, betont er. Am Praterstern hat er zum Ärger des grünen Koalitionspartners ein Alkoholverbot durchgesetzt. Im Gemeindebau werden langjährig Ansässige bevorzugt und bei der Mindestsicherung (Sozialhilfe) will er Wartezeiten für Neuankömmlinge einführen. Der „Sicherheit“in Wien will er sich selbst annehmen – eine Kampfansage an die FPÖ.
Sein erstes Versprechen nach der klaren Wahl zum Bürgermeister galt seiner Verlobten Irmi: „Ich werde ja jetzt mehr Zeit haben und eine Hochzeit sollte endlich möglich sein.“