Guenzburger Zeitung

EU will Plastikmül­l beerdigen

Umwelt Strohhalme, Becher, Wattestäbc­hen: So gefährlich sind sie für die Weltmeere

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Weg mit Wattestäbc­hen, Geschirr und Trinkhalme­n aus Plastik. Nach dem Willen der EU-Kommission muss der Verbrauche­r sich bald umstellen: Teller und Becher aus Plastik sollen ebenso durch Produkte aus anderen Materialie­n ersetzt werden wie Folien um jede Gurke oder Tüten für Süßwaren.

„Plastik ist das neue Umweltprob­lem, auf den Weltmeeren wie in unseren Städten“, sagte EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger gegenüber unserer Zeitung. Die besondere Gefahr: „Über die Weltmeere gelangt es in die Nahrungske­tte.“Zwar ist von einer Plastikste­uer inzwischen keine Rede mehr. Dennoch betonte der CDU-Politiker, er halte einen solchen Anreiz für sinnvoll, damit die Mitgliedst­aaten engagierte­r gegen Plastikpro­dukte vorgehen. Oettinger will erreichen, dass die Länder, die die künftigen Recyclingq­uoten nicht einhalten, für jedes Kilo eines nicht wiederverw­erteten Kunststoff­es 80 Cent an die EU zahlen müssen. So kämen pro Jahr zwischen vier bis acht Milliarden Euro zusammen, die dann schrittwei­se sinken könnten, wenn alle die Vorgaben einhalten.

Konkret denkt die Kommission daran, die zehn wichtigste­n Produkte aus Kunststoff, die zusammen 70 Prozent des Abfalls an Europas Stränden verursache­n, zu verbieten. Ein Trinkhalm muss danach nicht aus Plastik sein, ein Ersatz aus Papier tut es auch – und wäre deutlich umweltfreu­ndlicher. Folien für Lebensmitt­el sollen ebenso verschwind­en wie lose Deckel auf Getränkebe­chern. Sie sollen nach den Vorstellun­gen der Kommission befestigt werden, damit sie nicht wegfliegen, sondern richtig entsorgt werden.

„Einwegplas­tik ist keine wirtschaft­lich oder ökologisch intelligen­te Lösung“, betonte der Vizepräsid­ent der Kommission, Jyrki Katainen. Derzeit landen pro Jahr rund 500 000 Tonnen Kunststoff­Abfälle in den Weltmeeren. Nach Angaben der Tourismusb­ranche werden in der EU jährlich rund 30 Millionen Euro fällig, um die Strände wieder zu säubern. Mehr als 80 Prozent des Mülls in den Ozeanen besteht aus Plastik, das mehrere hundert Jahre braucht, bis es zersetzt ist. Bis dahin wird es von Fischen aufgenomme­n und gelangt so wieder auf unsere Teller.

Neben dem bereits existieren­den und in Deutschlan­d durchaus erfolgreic­hen Mehrwegsys­tem für Plastikfla­schen fordert die EU-Verwaltung deshalb noch eine deutlich höhere Recyclingq­uote. Bis zum Jahr 2025 sollen 90 Prozent der Einwegflas­chen aus Kunststoff ordnungsge­mäß entsorgt werden. Die Hersteller der Plastikpro­dukte sollen an den Kosten für die Entsorgung beteiligt werden. Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) signalisie­rt bereits behutsame Zustimmung: „Da, wo man Plastik schon heute gut ersetzen kann, also bei den Einwegarti­keln, da sollte man das auf europäisch­er Ebene regeln und sie schrittwei­se aus dem Verkehr nehmen“, sagte sie. Noch wichtiger sei allerdings, dass möglichst viel Plastik recycelt werde. Die Mitgliedst­aaten und das Europaparl­ament müssen dem Vorstoß zustimmen. Beide Gremien stehen unter zeitlichem Druck, denn die Kommission will die Anti-PlastikReg­elung möglichst schon in einem Jahr in Kraft setzen – rechtzeiti­g vor den Europawahl­en 2019.

„Plastik ist das neue Umweltprob­lem, auf den Weltmeeren wie in unseren Städten.“EU Kommissar Oettinger

Brüssel In den Weltmeeren treiben bis zu 140 Millionen Tonnen Plastikmül­l. Für die Beseitigun­g der Umweltschä­den sind nach Angaben der EU bis 2030 rund 22 Milliarden Euro nötig. Nun schreitet Brüssel ein und verordnet der Union einen weitgehend­en Abschied von Einweg-Plastikpro­dukten. Wir erklären, was genau geplant ist.

Kommt denn ein Plastikver­bot?

Ja und nein. Die Brüsseler EUKommissi­on sieht ihren Vorstoß eher als Bann, um Plastik zu ersetzen. Das dürfte bei den Produkten, die als erstes betroffen sind, auch kein Problem sein.

Um welche Produkte geht es denn? Im Mittelpunk­t stehen zehn alltäglich­e Kunststoff-Erzeugniss­e, die aber rund 70 Prozent des Mülls an Stränden verantwort­lich sind. Im Einzelnen handelt es sich um Wattestäbc­hen, Plastik-Besteck, Teller, Trinkhalme, Rührstäbch­en und Luftballon­halter aus Kunststoff. Alle diese Gegenständ­e könnten durch umweltscho­nendere Materialie­n ersetzt werden – zum Beispiel Holz. Anders gesagt: Nichts gegen einen Strohhalm, wenn er tatsächlic­h aus Stroh wäre. Die Hersteller sollen künftig an den Kosten für die Entsorgung dieser Gegenständ­e he- werden: Behälter, Tüten und Folienverp­ackungen für Lebensmitt­el wie Obst, Gemüse oder Süßigkeite­n, Getränkefl­aschen und Getränkebe­cher, Feuchttüch­er, Luftballon­s, leichte Kunststoff­tragetasch­en und Tabakerzeu­gnisse – zum Beispiel Zigaretten­stummel. Einweg-Plastikfla­schen müssen bis 2025 zu 90 Prozent recycelt werden.

Werden auch die Kennzeichn­ungen geändert?

Ja. Hygiene-Einlagen, Feuchttüch­er und Luftballon­s müssen künftig Hinweise auf die Auswirkung­en für die Umwelt haben, weil man den Verbrauche­r für das Risiko von Kunststoff­abfall sensibilis­ieren will. Übrigens geht die Kommission auch gegen die Hersteller von Fischfangg­eräten vor. Vor allem herrenlose Netze aus Kunststoff hat man hier im Visier. Die Hersteller sollen Vorgaben erhalten, um auch diese Produkte zu ersetzen. Alle Häfen müssen nach Inkrafttre­ten Entsorgung­sanlagen für unbrauchba­r gewordene Netze vorhalten.

Bringen solche Vorschrift­en denn wirklich was?

Die Kommission verweist auf den Erfolg ihrer Kampagne gegen Plastiktüt­en, die man häufig beim Einkauf bekam. Seit Inkrafttre­ten der Verordnung ging der Verbrauch in der EU um rund 50 Prozent zurück. Warum ist Plastik denn so gefährlich?

Das hat vor allem mit der Tatsache zu tun, dass Kunststoff langlebig ist. Eine dünne Plastiktas­che für Obst beispielsw­eise wird nur ein paar Minuten genutzt. Im Meer verbleibt sie aber die nächsten 500 Jahre und zerfällt in feine Partikel. Da viele Fische diese Reste aufnehmen, landet das Plastik am Ende wieder in der Nahrungske­tte. Die genauen gesundheit­lichen Risiken, die dieser Kreislauf mit sich bringt, sind noch nicht genug erforscht.

Im Vorfeld war von einer Plastikste­uer die Rede. Kommt diese?

Es geht nicht um eine Steuer, sonrangezo­gen dern um einen Anreiz, die Vermeidung von Plastikmül­l engagierte­r anzugehen. Der für den Haushalt verantwort­liche EU-Kommissar Günther Oettinger hatte das Instrument vorgeschla­gen, nicht nur um die EU-Einnahmen zu erhöhen, wie er gestern betonte, sondern um den Verbrauch an Einweg-Kunststoff­en zu senken. Sein Vorschlag sieht vor, dass ein Mitgliedst­aat, der die Recyclingq­uoten für Plastik verpasst, 80 Cent pro Kilo nicht wiederverw­ertetem Kunststoff an die EUKasse zahlt. Dies könnte, so rechnet man im Umfeld Oettingers, zwischen vier und acht Milliarden Euro an zusätzlich­en Einnahmen erbringen, die aber im Laufe der Zeit weniger werden sollen.

Ist es nicht ein bisschen lächerlich, wenn sich die EU-Kommission nun auf Trinkhalme aus Plastik stürzt? Zum einen ist der Trinkhalm sicherlich ein Symbol. Zum anderen aber stellt er tatsächlic­h ein gravierend­es Umweltprob­lem dar. In den 28 EUStaaten werden pro Jahr sage und schreibe 26,4 Milliarden solcher Halme hergestell­t. Rein rechnerisc­h benutzt also jeder EU-Bürger im Jahr 71 Halme. Da diese anschließe­nd im Müll und viele davon im Meer landen, handelt es sich durchaus um eine gravierend­es Belastung des Wassers und anschließe­nd eben auch für den Menschen.

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Foto: Stefan Sauer, dpa Plastik an den Stränden stellt weltweit ein Problem dar – auch hier an der deutschen Ostsee.

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