Panflötenbrillanz trifft Leistungssport
Beim Auftaktkonzert zum Günzburger Kultursommer hat Matthias Schlubeck bewiesen, dass man auch mit körperlicher Behinderung zum unbestrittenen Meister seines Faches werden kann
Günzburg Zwar gehört er nicht zu den euphorisierenden Statussymbolen herrschender Promibesessenheit und Staromanie. Eine Ausnahmeerscheinung aber ist er dennoch, in mehrfacher Hinsicht – eine, die mehr aus dem Verborgenen leuchtet. Matthias Schlubeck, 1973 in Wuppertal geboren, kam ohne Füße, Unterarme und Hände auf die Welt. Was ihm aber mitgegeben wurde, war ausgeprägte Durchhalteund Willenskraft, ein gesundes Maß an Trotzköpfigkeit, gepaart mit einem ungemein widerstandsfähigen Glauben an sich selbst. Jetzt war er in Günzburg zu erleben.
Als Schwimmer gehörte er zur Elite im Behinderten-Leistungssport. Er war über mehrere Strecken Weltrekordinhaber, holte bei Weltmeisterschaften und den Paralympics in Seoul, Barcelona und Atlanta Gold, Silber und Bronze für Deutschland, bis er 1996 im Alter von 23 Jahren den Leistungssport zugunsten der Musik aufgab. Als Sechsjähriger bereits machte er Bekanntschaft mit der Panflöte, die fortan zu seiner ständigen Begleiterin avancierte. An der Musikhochschule Köln begann er das Studium im Fach Panflöte, absolvierte es sechs Jahre später mit Auszeichnung und der Konzertreife.
Damit war er der erste Musiker mit Hochschulabschluss in seinem Fach. Heute gilt Schlubeck als einer der führenden Panflötisten der Welt, hat sich mit seinem Instrument im Bereich der Interpretation klassischer Musik einen Namen gemacht, ist Inhaber einer eigenen Musikakademie und Lehrbeauftragter für den bundesweit ersten Bachelor-Studiengang für Panflöte an der Musikhochschule Osnabrück. Damit hat er seinem Instrument quasi die „Hochschulreife“verliehen. Weit mehr als 1000 Konzerte führten den 45-Jährigen in alle Teile der Welt. Oft als Solist innerhalb eines Orchesters, meist in Begleitung von Harfe, Orgel oder Klavier.
Zum Konzert für die Freunde der Hofkirche brachte er die Harfenistin Isabel Moretón Achsel mit. Die Lei- einer Harfenklasse an der Musikhochschule Hannover hat die eher seltene Gabe einer Klangdenkerin, die im musikalischen Dialog das Führungsinstrument nicht einfach begleitet, sondern mitatmend verinnerlicht und ergänzt. Wie in dem einführenden, wiegenliedweichen, tränenbenetzt meditativen und barockbeschwerten Klangritual des englischen Songwriters John Dowland. Wie in der Rasanz von Telemanns Blockflöten-Sonate, transponiert in springlebendig übermütigen Panflötensound, in wildgewordene, punktgenau auf die Lip- übertragene Fingerartistik. Traumhaft intonationssicher, ohne Kiekser, ohne Kratzer. Welch subtiles Klanggewebe eine Bachsche Violinpartita auf Saiten zuwege bringen kann, demonstrierte die Harfenistin solo.
Schwelgerisch, schönheitsversunken und ohne weihrauchschwülstige, Bach-asketische Leib- und Seelenverdammnis. Zu Mozarts Zeiten war die Panflöte auf fünf Töne, die der Zauberflöte, reduziert. Sein Laudate dominum hat er für Singstimme geschrieben. Schlubeck ließ es seine Altflöte singen. Weich, filiterin gran, zwischen Zartheit und Tristesse. Ließ Jean Sichlers Vögelchen, Jubel trillierend, durch gelebte Sehnsüchte schweben. Auf der kleineren Tenorflöte, im traumverloren perfekten Zusammenspiel mit der Harfe, brachte er ein artistisches, mit stilistischen Finessen gespicktes Panflöten-Feuerwerk zum Explodieren. Oder setzte, in purem Serenadenzauber, die wuchernde Fülle tonaler Farben in spektakuläres Hochfrequenz-Stakkato. Über allen irdischen Dingen schwebend, natürlich Jules Massenets Méditation aus „Thais“. Ein glanzvoll beraupen schender Ohrenschmeichler, mit Herzblut aufgeschönt, mit Noblesse versehnsüchtelt und einem belkantischen Schönklang, der sich in flammender Hingabe in alle Nuancen sinnlicher Verlockung drängte und als geschliffener Silberton auf langem Atem in die Unendlichkeit verflüchtigte. Getoppt nur von der Zugabe, dem Csárdás von Monti. Fulminant virtuose Panflötenbrillanz, von einem Ausnahmekünstler zum Spektrum aus anderem Klangstern geerdet. Auch Flötentöne können Blut in Wallung bringen. Jubelnder Beifall, stehender Applaus.