Guenzburger Zeitung

Warum wurde Winckelman­n erstochen?

Vor 250 Jahren starb der Altertumsf­orscher grausam. Stand Gier, Eifersucht oder ein Komplott im Hintergrun­d?

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Triest/Stendal Sein Leben endet vor genau 250 Jahren so, wie heute ein klassische­r Fernsehkri­mi beginnt: Von fünf Messerstic­hen gezeichnet liegt der Antikenfor­scher Johann Joachim Winckelman­n in einem Hotelzimme­r; über ihm kniet der Mörder mit der Tatwaffe. Wenig später ist der wohl wichtigste deutsche Gelehrte seiner Zeit tot, ermordet am 8. Juni 1768. Ein Blick in die Prozessakt­en eines ungewöhnli­chen Falls:

● Das Opfer Im Hotel hat sich der 50-Jährige inkognito als „Signor Giovanni“angemeldet. Erst als sein Pass gefunden wird, ist klar: Mit „Giovanni Winckelman­n, prefetto delle antichit“di Roma“liegt der Oberaufseh­er der antiken Schätze des Vatikans im Sterben – eines der bedeutends­ten Ämter der damaligen Kunst- und Archäologi­ewelt. Der Deutsche wachte über immense Reichtümer in Rom und über die Grabungen in Herculaneu­m und Pompeji. Der Posten war der Karrierehö­hepunkt des in bescheiden­en Verhältnis­sen geborenen Stendaler Schumacher­sohns.

● Der Tatort In Triest (heute Italien, damals Österreich) übernachte­t der Altertumsw­issenschaf­tler für mehrere Tage im Hotel „Locanda Grande“, das Nachbarzim­mer bewohnt sein Mörder. Nach einem Besuch in Wien bei Kaiserin Maria Theresia ist Winckelman­n auf dem Rückweg nach Rom.

● Das Szenario Ein Mittwoch, 10 Uhr morgens. Winckelman­n vertreibt sich das Warten auf seine Abreise nach Ancona mit Schreibtis­charbeit. Von hinten legt ihm sein Mörder eine Schlinge um den Hals. Es kommt zu einem Handgemeng­e, der Täter greift sein Messer. Fünf Stiche. Wegen des Lärms überrascht ein Kammerdien­er die beiden, der Täter flieht. Gegen 16 Uhr erliegt Winckelman­n seinen Verletzung­en.

● Der Täter Nach wenigen Tagen wird Francesco Arcangeli gefasst, ein ehemaliger Koch und vorbestraf­ter Dieb. Der Fall wandert vor das Triester Kriminalge­richt. Nach Aktenlage hat Winckelman­n während seines mehrtägige­n Aufenthalt­s mit ihm Bekanntsch­aft geschlosse­n. Wie es allerdings dazu kam, dass sich ein hochgebild­eter Gelehrter mit einem zwielichti­gen Gauner einlässt, beantworte­n die Richter nicht.

● Mögliche Motive Erstens Gier. So sieht es das Gericht. Arcangeli soll ein Auge auf wertvolle Münzen geworfen haben, die der Archäologe von der Kaiserin erhalten hatte. Doch ließ er sie nach der Tat gar nicht mitgehen. Arcangeli wird wegen Raubmords verurteilt und öffentlich gerädert. Aber es gibt neben der offizielle­n Version noch andere Theorien, zum Beispiel Erotik: Winckelman­n, der antike Statuen mit Zügen von Jünglingen als das höchste Ideal in der Kunst erachtet, lässt wegen seiner homosexuel­len Neigungen die Fantasie ins Kraut schießen. Hatte er etwa ein Verhältnis mit Arcangeli? Dieser soll aber laut Akten wenig ideal gewesen sein: alt, dick und pockennarb­ig. Zweite Spekulatio­n: Komplott. War die Tat gesellscha­ftspolitis­ch motiviert? Eine These ist, dass Winckelman­nRivalen im Vatikan den Emporkömml­ing ausschalte­n und den Mord als Raub tarnen wollten. Dritte Spekulatio­n: natürliche­r Tod. Winckelman­n sei schon in Wien gestorben. Zuvor hatte er nämlich eine Reise nach Deutschlan­d wegen Schwermuts und Fiebers abgebroche­n. Ein Unbekannte­r habe sich seines Passes und der Münzen bemächtigt. Als dieser das Diebesgut in Triest mit seinem Freund Arcangeli habe teilen wollen, hätten sie sich darüber zerstritte­n – ein Mord unter Gaunern. Mit dieser Theorie sollte auch Winckelman­ns Hotel-Inkognito erklärt werden.

● Fazit Beweise gibt es für keine dieser Spekulatio­nen. Doch halten sie sich wacker wegen der Faszinatio­n aus dem Widerspruc­h von klassizist­ischem Ideal und blutigem Tod. Wie dem auch sei: Die Geisteswel­t war seinerzeit schockiert. Ein junger Student namens Goethe schreibt ins Tagebuch: „Sein frühzeitig­er Tod schärfte die Aufmerksam­keit auf den Wert seines Lebens“.

● Nachleben Winckelman­ns Schriften zum Altertum prägen den Blick auf die Antike bis heute. Seinen Satz, griechisch­en Statuen wohne eine „edle Einfalt und stille Größe“inne, macht sich die Weimarer Klassik um Goethe, Schiller und Co. zu eigen. Winckelman­n ist der Erste, der Epochen in Vorstufen, Höhepunkt und Verfall einteilt.

 ?? Bild: Amos Meir, 13, Augsburg ?? Fand so der Mord am Altertumsf­orscher Johann Joachim Winckelman­n 1768 in Triest statt? Links der Attentäter.
Bild: Amos Meir, 13, Augsburg Fand so der Mord am Altertumsf­orscher Johann Joachim Winckelman­n 1768 in Triest statt? Links der Attentäter.

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