Guenzburger Zeitung

Der geplante Tabubruch

Wie Alexander Gauland die letzten Reste des Anscheins bürgerlich­er Anständigk­eit verspielt

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Es dürfte kein Zufall sein, dass AfD-Chefstrate­ge Alexander Gauland gerade jetzt wieder einmal einen Eklat provoziert. Sondern kalte Absicht. Die Rechtspopu­listen brauchen dringend Aufmerksam­keit. Doch die Hürde der Provokatio­n, die übersprung­en werden muss, um noch Schlagzeil­en zu machen, haben Gauland und Konsorten selbst immer höher gelegt. Seit dem Einzug in den Bundestag jagt ein unerträgli­cher Ausfall gegen Migranten, Muslime, Behinderte oder die „Systempart­eien“den nächsten. Und so wichtig es ist, jede einzelne hetzerisch­e Aussage als eben solche zu entlarven, der Verlauf der Auseinande­rsetzungen folgt längst einer vorhersehb­aren Dramaturgi­e: Auf schmutzeln­de AfDPolemik nach dem Motto „man wird ja wohl noch sagen dürfen ...“, folgt die empörte Reaktion im Rest-Parlament. Die wiederum die AfD zum Anlass nimmt, sich als unschuldig­es Opfer fieser Attacken mit der „Nazi-Keule“zu stilisiere­n. Man habe doch schließlic­h alles ganz anders gemeint …

Irgendwann verliert der Beobachter das Interesse an dem wiederkehr­enden Ritual. So bedarf es mittlerwei­le schon eines ganz gezielten und eindeutige­n Tabubruchs, um wieder einmal die Aufmerksam­keit zu bekommen, von der die AfD glaubt, dass sie ihr zusteht. „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschis­s in über 1000 Jahren erfolgreic­her deutscher Geschichte“, sagte Gauland. Zu Recht wird diese zynische, geschichts­vergessene Relativier­ung des größten Menschheit­sverbreche­ns entspreche­nd scharf verurteilt. Gauland bekommt die gewünschte Aufmerksam­keit. Aber er bezahlt dafür einen hohen Preis: Galt der Jurist und Historiker noch vor kurzem als Leitfigur der enttäuscht­en Konservati­ven, verspielt er nun die allerletzt­en Reste des An- scheins bürgerlich­er Anständigk­eit, den gerade er so sorgsam gepflegt hat. Der frühere CDUMann und Publizist hat die AfD zum Sammelbeck­en radikaler Kräfte gemacht.

Den Aufstieg der AfD ermöglicht hat nicht nur die Aufmerksam­keit, die ihr durch ihre Ausfälle zuteilwird, sondern weit mehr noch jene, die sie anderen gegeben hat – den Menschen, die sich von der etablierte­n Politik nicht ausreichen­d wahrgenomm­en fühlen. Etwa den Bewohnern abgehängte­r Regionen, die es in Ostdeutsch­land und anderswo gibt. In denen die Beteuerung­en der Politiker, wie gut es dem Land doch gehe, schlichtwe­g nicht mit der Lebenswirk­lichkeit der Menschen übereinsti­mmen. Die Flüchtling­skrise ab 2015 hat die wirtschaft­liche wie die kulturelle Verunsiche­rung vieler Bürger noch potenziert, die AfD sammelte die Stimmen dankbar ein. Alexander Gauland, der ein gewiefter Polit-Taktiker ist, kennt die Gründe für den Erfolg sehr genau. Wir gegen die anderen – die Erzählung von der AfD als verfolgter Unschuld lebt auch von den Angriffen von außen. Also werden diese provoziert. Auf immer abstoßende­re Art. Obwohl die AfD im Moment in den Umfragen zur Wählerguns­t ja hervorrage­nd dasteht – auch weil der Bremer Asylskanda­l den Rechtspopu­listen fast täglich neue Munition liefert.

Doch Gauland denkt über den Moment hinaus. Er weiß, dass für seine Partei, die in Sachfragen schwach aufgestell­t oder – wie in der Rentenpoli­tik – zerstritte­n ist, die Fundamenta­lkritik an der Flüchtling­spolitik wichtigste­s „Verkaufsar­gument“bleibt. Die Bundesregi­erung aber schickt sich an, dafür zu sorgen, dass es auch bei der Zuwanderun­g so geordnet zugeht wie in anderen Bereichen staatliche­n Handelns. Und was wäre, wenn die Integratio­n der Flüchtling­e gelänge? Wenn die sozialpoli­tischen Milliarden­programme der Koalition zu wirken beginnen? Dann könnte es mit den AfDErfolge­n schnell vorbei sein – zumindest bei enttäuscht­en Bürgerlich­en und Protestwäh­lern aus abgehängte­n Regionen. Gauland bliebe nur noch der äußerste rechte Rand, an dem völkische Parolen und Geschichts­revisionis­mus gedeihen. Dem biedert er sich schamlos an.

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Foto: dpa Alexander Gauland

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