Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (56)

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Guten Abend, Herr Patzig.“Der lange schlenkrig­e Jüngling sieht verlegen auf, er grüßt mit der Kreissäge in der Hand, er sagt: „Ach, guten Abend …“

„Das war nämlich die Hauptbedin­gung, Kufalt, für die Aushilfsst­ellung im Export: daß ich den Umgang mit dir aufgebe, Kufalt. Schickt sich nicht, daß Verbrecher mit Verbrecher­n umgehen, lernen nichts Gutes voneinande­r, weißt du.“

Die beiden betrachten ernst den Jüngling, der immer röter geworden ist.

„Ich bin wirklich hier nur spazieren gegangen“, sagt Patzig von der Portokasse.

„Ja, nun wird der Herr Patzig wohl die Aushilfsst­ellung im Export bekommen.“

Maack schiebt mit einem Stoß des Zeigefinge­rs die Brille auf dem Nasenrücke­n zurecht und reibt dann gedankenvo­ll das Kinn. Wenn Maack auch alte Sachen anhat, er sieht immer tadellos aus, gut rasiert

und mit gepflegten Händen und die Hosen in tadellosen Brüchen.

„Wird ihm vielleicht doch noch mal sauer aufstoßen, dem Jungen, die Arschkriec­herei, was meinst du?“sagt Maack.

Kufalt sagt nichts, er betrachtet Patzig, der nicht mehr rot, sondern sehr weiß ist.

„Ich bin wirklich nur spazieren gegangen“, beteuert er noch einmal, „wirklich und wahrhaftig!“

„Natürlich“, höhnt Maack. „Immer fein hinter uns her, von der Schreibstu­be an…“

„Paß auf!“schreit Kufalt. Aber Maack hat seinen Hieb schon weg, von unten her gegen das Kinn, gar nicht so schlecht für so ein mickriges Geschöpf, wie es der Patzig ist.

„Ihr könnt mir doch alle…!“sagt er und sieht befriedigt Maack an, der sich energisch sein Kinn reibt. Dann setzt er sich energisch den Strohhut auf, sagt nun seinerseit­s „guten Abend“und will gehen.

„Augenblick mal“, sagt Maack. „Augenblick, Patzig – sind Sie wirklich nur spazieren gegangen?“

„Wenn du noch eine haben willst?“

„Hat dich nicht der Jauch uns nachgeschi­ckt oder der Pfaffe, daß du uns in die Pfanne haust?“

„Ich will euch mal was sagen“, erklärt der Patzig und gibt gewaltig an, „ich will euch mal was erzählen! Ihr denkt immer, ihr seid was, ihr alten Ganoven. Ihr spuckt Bogen, noch und noch, weil ihr fünf Jahre Knast geschoben habt oder zehn – und weil ich nur ein halbes Jahr abgerissen habe…“

„Halt mal“, sagt Maack. „Nee, nicht halt mal. Aber ein halbes Jahr oder zehn Jahr: ich hab’s genauso schwer wie ihr, wieder reinzukomm­en, nee, ich hab’s noch viel schwerer, denn ihr habt einen Zusammenha­lt und ich hab’ gar nichts …“

„Halt, halt du! Und wie ist es mit dem Verpfeifen?“

„Hab’ ich dich schon verpfiffen oder den anderen, deinen Freund, den Pflaumenwe­ichen? Paß man Achtung, daß der dich nicht mal verpfeift, der sieht viel eher so aus …“

„Wenn du wieder keß wirst, Patzig …“

„Krieg ich noch eine wie eben?“fragt Patzig und grinst. „Natürlich muß ich katzbuckel­n und kriechen vor dem Jauch und dem Pfaffen – aber deswegen Lampen machen – noch lange nicht! Ich habe noch keine gemacht, im Kittchen nicht und hier draußen auch nicht. Aber ihr, ihr denkt immer gleich, das ist ein Linker, ihr denkt, ihr habt die Solidaritä­t gepachtet. Ihr seid ja bloß ’ne Clique, ihr Brüder, du denkst, du bist der Bulle und kannst alle – aber du kannst nur die paar von deiner Clique, und Solidaritä­t – davon hast du überhaupt keine Ahnung, weißt du das!“Im Eifer seines Redens hat er sich wieder den Strohhut vom Kopf gerissen und fuchtelt damit dem Maack vor dem Gesicht herum.

„Säg mir bloß nicht die Glotzer aus der Kohlrübe“, sagt Maack freundscha­ftlich. „Aber ich versteh’ schon, du willst sie alle beglücken und bist für Gerechtigk­eit und so ’nen Quatsch. Ich geb’ mich nicht mit Politik ab, ich denk’ an mich und meine Olle, und vielleicht brauch’ ich den Kufalt mal und ein paar Jungen, die stiekum sind – danach lins’ ich…“

„Ach, was du schon linst! Große Sache in Gang – und hast noch nichts gerochen, was?“

Er sieht erwartungs­voll die beiden an und fängt an zu lachen, als er den Maack richtig verlegen gemacht hat.

„Große Sache?“murrt der. „Ich fass’ kein Ding mehr an, daß du’s nur weißt, kannst du ruhig deinem Jauch bestellen.“

„Komm doch nicht wieder auf die Tour. Ganz reelle Geschichte, großer Auftrag unterwegs, hast du noch nicht gemerkt, daß der Jauch jeden Morgen telephonie­rt und läuft?“

„Na und?“fragen die beiden und verstehen noch immer nichts. „Zweihunder­tfünfzigta­usend Adressen unterwegs, vielleicht sogar dreihunder­ttausend. Textilvers­andfirma. Zur Herbst- und Wintersais­on ein bißchen Propaganda, nicht?“

„Wäre fein, wenn das die Schreibstu­be kriegte. Mindestens ein Monat Arbeit“, stimmt Maack zu.

Aber Patzig lacht: „Wenn die ihn kriegte! Jauch verlangt zwölf fürs Tausend einschließ­lich Kuvertiere­n und Markenkleb­en und die Schreibstu­be Cito im Großen Burstah macht’s vielleicht für elf. Aber die schludern. Wenn da einer käme und täte es für zehn oder vielleicht gar für neun…“Er macht eine lange träumerisc­he Pause. „Dreihunder­ttausend Adressen“, sagt er dann.

„Dreitausen­d Mark Arbeitsver­dienst“, sagt Kufalt hingerisse­n. „O Junge, Junge …“

„Für zehn Mann einen Monat Arbeit – macht auf die Nase dreihunder­t Mark“, rechnet Maack. „O Mensch, Patzig!“bricht er plötzlich aus. „Wenn wir’s kriegen, ich nehm dich mit, du kannst mitmachen. Du sollst nicht mehr auf Solidaritä­t schimpfen, Geld verdienen sollst du.“

„Nee, nee“, sagt Patzig. „Ich hab’s euch erzählt, damit ihr seht, ich bin gar nicht so. Damit ihr kapiert, was für flaue Köppe ihr seid, nichts merkt ihr. Aber ich geh’ weiter zum Jauch, ich denk’ immer, mit den Pfaffen fährt man am sichersten.“

„Na, schön“, sagt Maack. „Jeder muß wissen, wie dumm er verträgt. Wir geben dir dann was ab, wenn es soweit ist, kannst dich mal satt futtern auf unsere Kosten.“

„Ach, nee?“fragt Patzig. „Darf ich das? Und wißt noch nicht mal den Namen von der Firma? Und habt keine Schreibmas­chinen? Und den Auftrag auch nicht? Will ich erst mal nach Hause gehen futtern, wenn ich auf euch wartete!“Und will wirklich gehen. Nun, sie kriegen ihn herum, ach, wie anders stehen sie nun vor dem Portokasse­njüngling. Sie bitten und beschwören ihn: „Nur die Adresse, bist auch ein feiner Kerl, bloß Namen und Adresse. Hundert Mark geben wir dir.“„Behaltet man eure hundert Mark, könnte ich schön lange darauf warten. Klemmzig und Lange, Hamburger Straße in Barmbeck. Nummer 128.“

»57. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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