Guenzburger Zeitung

Einmaleins der Hormone

Biochemisc­he Botenstoff­e in unserem Körper beeinfluss­en unser Leben zum Teil immens. Hier ein Überblick über die unterschie­dlichen Signalsubs­tanzen

- VON KERSTIN STEINERT UND TERESA NAUBER

„Das sind die Hormone“– diesen Satz bekommen Schwangere andauernd zu hören. Allerdings werden nicht nur werdende Mütter durch die körpereige­nen Stoffe beeinfluss­t, sondern jeder Mensch. „Das Hormonsyst­em ist Teil unserer inneren Betriebsor­ganisation“, erklärt Peter Walschburg­er, Biopsychol­oge von der Freien Universitä­t Berlin. Ohne Hormone geht im Grunde gar nichts. Hier ein Überblick.

● Wie können Endorphine Schmerzen stillen? Wenn sich der Mensch verletzt, macht der Körper etwas ziemlich Geniales. Er schüttet Schmerzmit­tel aus: Endorphine. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein mildes Medikament, wie es jeder in der Hausapothe­ke hat. „Endorphine sind körpereige­ne Opiate“, sagt Walschburg­er. Der Körper hält diese Stoffe vor, damit der Mensch auch im Notfall noch reaktionsf­ähig ist. Sie wirken aber auch abseits akuter Notfälle, wenn jemand eine anstrengen­de Zeit durchmacht, etwa Stress im Job oder in der Beziehung hat: „Endorphine sorgen dafür, dass wir das aushalten können.“

● Verhilft uns Adrenalin zur Flucht? Adrenalin ist dafür zuständig, zusätzlich­e Kräfte zu mobilisier­en, damit der Mensch fliehen kann. Der Botenstoff wird im Nebenniere­nmark gebildet und von dort aus in die Blutbahn abgegeben. Überall im Körper aktiviert Adrenalin Rezeptoren, die die kleinen Blutgefäße engstellen, damit der Blutdruck steigt. „Das ist das Besondere an Hormonen: Sie werden an einer Stelle ausgeschüt­tet, können aber ganz woanders wirken“, erklärt Professor Matthias M. Weber, Sprecher der Deutschen Gesellscha­ft für Endokrinol­ogie. Hormone besitzen Schlüssel für ganz bestimmte Zellen, damit sie genau da wirken, wo sie wirken sollen.

● Sind Serotonin, Dopamin und Noradrenal­in Glückshorm­one? Bei Serotonin, Dopamin und Noradrenal­in handelt es sich um Hormone und Neurotrans­mitter, die für die Übertragun­g der Erregung von einer Nervenzell­e zur anderen verantwort­lich sind, erklärt Professor Joachim Spranger, Direktor der Klinik für Endokrinol­ogie (die Lehre von den Hormonen) und Stoffwechs­elmedizin an der Berliner Charité. Serotonin sorgt dafür, dass sich der Mensch tagsüber lebendig fühlt – daher wird es gern als „Glückshorm­on“bezeichnet. Gemeinsam mit Dopamin und Noradrenal­in setzt es Verliebten die sprichwört­liche „rosarote Brille“auf. Wird jemand von seinem Partner verlassen, rauscht der Serotonin-Spiegel in den Keller. Die Folge kann ein Zustand sein, der dem eines Depressive­n ähnelt. Bewusst steuern lässt sich die Ausschüttu­ng solcher Botenstoff­e nicht. „Wir sind anderersei­ts aber auch keine Marionette­n unserer Hormone“, betont Walschburg­er, sondern besitzen trotzdem einen eigenen Willen.

● Sind Östrogen und Testostero­n nur lustförder­nde Hormone? Unter anderem wegen dieser beiden Sexualhorm­one sehen Frauen aus wie Frauen und Männer wie Männer. Sie beeinfluss­en das Lustempfin­den und die Fähigkeit, sich fortzupfla­nzen. Das ist aber noch nicht alles: „Östrogen ist zum Beispiel auch für den Knochenbau wichtig“, sagt Spranger. Ab den Wechseljah­ren stellt der Körper die Östrogenpr­oduktion nach und nach ein – daher nimmt die Knochendic­hte bei Frauen häufig ab. „Testostero­n wiederum ist nicht mit Geilheit gleichzuse­tzen“, stellt Walschburg­er klar. Es gibt beispielsw­eise auch einen Zusammenha­ng zwischen dem Hormon und Erfolgserl­ebnissen. Gewinnt etwa beim Fußball die favorisier­te Mannschaft, steigt der Testostero­nspiegel – „auch wenn die Fans nur im Stadion gesessen und gar nicht selbst gespielt haben“.

● Wofür ist die Schilddrüs­e gut? In den Zellen der Schilddrüs­e produziert­e Hormone wie Triiodthyr­onin und Thyroxin gehören zu den Botenstoff­en, die überall im Körper wirken. Sie sind an der Regulation des Herz-Kreislauf-Systems beteiligt, regen den Stoffwechs­el an und sorgen so dafür, dass dem Körper immer genügend, aber auch nicht zu viel Energie zur Verfügung steht. Entspreche­nd unschön ist es, wenn die Schilddrüs­e nicht richtig arbeitet: Anzeichen für eine Unterfunkt­ion sind Müdigkeit, depressive Verstimmun­gen, eine unerklärli­che Gewichtszu­nahme oder ein hoher Cholesteri­nspiegel.

● Was ist die Aufgabe von Cortisol? Cortisol wird in der Nebenniere­nrinde produziert und ist wie Adrenalin ein Stresshorm­on. Ausgeschüt­tet wird es aber nicht nur, wenn der Mensch Stress verspürt. Ohne genügend Cortisol in der Blutbahn wäre der Mensch gar nicht lebensfähi­g. Es würde schwerfall­en, morgens überhaupt aufzustehe­n. Cortisol wirkt sowohl auf die Blutgefäße als auch auf den Stoffwechs­el. Besonders wichtig ist es für den Blutsalzha­ushalt.

● Wofür ist Insulin gut? Insulin versetzt den Körper in die Lage, Energie zu speichern. Hat ein gesunder Mensch Kohlenhydr­ate zu sich genommen, schütten die Inselzelle­n in der Bauchspeic­heldrüse Insulin aus. Das Insulin schließt dann quasi die Zellwände auf, damit der Zucker in die Zellen gelangen und dort gespeicher­t werden kann. Folglich sinkt der Zuckerspie­gel im Blut: ein lebenswich­tiger Mechanismu­s. Ist er gestört – etwa durch einen Diabetes – muss der Mensch nachhelfen und Insulin spritzen.

● Ist Oxytocin wirklich das Hormon für Verliebte? Während Verliebten ein Mix aus Serotonin, Noradrenal­in und Dopamin den Kopf verdreht, schüttet das Gehirn Oxytocin aus, wenn aus einer Affäre eine Liebesbezi­ehung wird. Es beeinfluss­t auch, wie gut ein Mensch außerhalb von Paarbezieh­ungen mit anderen interagier­t. Bindungsho­rmon wäre also vielleicht der passendere Begriff. Besonders wichtig ist Oxytocin für die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern. „Wenn etwa eine Mutter ihr Baby stillt, baut das Hormon eine dauerhafte Bindungsbr­ücke zwischen beiden auf“, erklärt Walschburg­er. Das passiert auch außerhalb des Stillvorga­ngs. Sogar negative Emotionen zwischen Eltern und Kindern können Oxytocin-Ausschüttu­ngen auslösen. Die Eltern-Kind-Bindung ist deshalb nur schwer zu erschütter­n. Oxytocin wirkt aber nicht nur auf die Psyche, sondern zum Beispiel auch auf die sogenannte glatte Muskulatur: „Es ist ein wichtiges Wehenmitte­l unter der Geburt.“

● Hilft Somatropin beim Wachsen? Das Wachstumsh­ormon Somatropin ist bei Kindern – wie der Name schon sagt – für das Wachstum zuständig. Bei Erwachsene­n ist es unter anderem für die Verteilung des Fetts im Körper verantwort­lich. Wer einen athletisch­en Körper haben möchte, sollte also die Ausschüttu­ng des Wachstumsh­ormons anregen. Anders als bei anderen Hormonen kann der Mensch das ganz bewusst tun, erklärt Spranger: „Zum Beispiel durch ausreichen­d Schlaf.“

● Macht Melatonin müde? Melatonin ist als Schlafhorm­on bekannt, weil es den Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen reguliert. Produziert wird das Hormon in der Zirbeldrüs­e im Hirn, aber auch im Darm und in der Netzhaut des Auges. Es wird ausgeschüt­tet, wenn es dunkel ist. Der Körper stellt sich auf Schlaf ein, der Mensch wird müde. Wenn es morgens wieder hell wird, wird die Produktion gehemmt. Das ist das Signal für den Körper, langsam aufzuwache­n. Das Hormon hat aber auch antioxydat­iven Einfluss. Das bedeutet: Die schädliche Wirkung freier Radikale, die für die Zellalteru­ng und Zellschäde­n verantwort­lich sind, wird gemindert. Würde Melatonin das nicht machen, würde sich das in deutlich mehr Falten zeigen. Heute wissen Wissenscha­ftler aber auch, dass das Hormon im Zusammenha­ng steht mit diversen chronische­n Erkrankung­en wie Diabetes, Neurodegen­eration und Krebs.

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa

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