Guenzburger Zeitung

Die Wut wächst

Asylpoliti­k Freiburg, Kandel, nun Wiesbaden: Der Mord an der 14-jährigen Susanna heizt die Debatte um kriminelle Flüchtling­e an. Wie der mutmaßlich­e Mörder Ali B. zurück nach Deutschlan­d kam, ein Verbrechen zum Politikum wird – und das Land sich spaltet

- VON ANDREA KÜMPFBECK UND SARAH RITSCHEL Bild-Zeitung,

Ein Verwandter hat Ali B.s Aufenthalt­sort verraten Susannas Mutter erhebt Vorwürfe gegen die Polizei

Wiesbaden Es braut sich etwas zusammen. Dunkle Gewitterwo­lken hängen über Frankfurt, als Lufthansa-Flug 697 aus Erbil am Samstag gegen 20.45 Uhr auf einer Außenposit­ion landet. An Bord ist der 20-jährige Iraker Ali B., der verdächtig­t wird, die 14-jährige Susanna vergewalti­gt und ermordet zu haben. Keine 48 Stunden nach seiner Festnahme im Nordirak ist der mutmaßlich­e Mädchenmör­der wieder in Deutschlan­d. Ali B. trägt eine ausgewasch­ene Jeans und ein schwarzes Hemd, als er in Handschell­en aus dem Flugzeug gebracht wird. Die Füße stecken barfuß in Sandalen. Maskierte Polizisten führen ihn zu einem Hubschraub­er, der ihn zum Polizeiprä­sidium Westhessen nach Wiesbaden bringt.

„Das wird sehr, sehr schlechte Folgen für unsere Leute haben“, sagt der Iraker Diyar B. Haji, der mit demselben Linienflug wie Ali B. kommt. Er leitet nach eigenen Angaben ein Flüchtling­scamp für Jesiden im Irak und fürchtet nun, dass die Bundesregi­erung künftig generell weniger Bereitscha­ft zeigt, Menschen aus arabischen Ländern aufzunehme­n. Für Iraker gelte Deutschlan­d als einer der sichersten Orte der Welt, auf den viele ihre Hoffnung setzen. Die Jesiden sind eine von der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) besonders brutal verfolgte Minderheit. Deutschlan­d sei für ihn ein Garant für die Menschenre­chte. Ali B. habe diese Werte zu zerstören versucht. Ein anderer junger Iraker aus dem Flieger findet, Deutschlan­d solle nicht jeden aufnehmen: „Ihr solltet genau hinschauen, wen ihr akzeptiert“, ist sein Rat.

Ob Ali B. eine Ahnung hat, welche Wellen die Tat geschlagen hat, die er im Irak den Ermittlern gestand? Er habe sehr angespannt und nervös gewirkt, berichtet die RTLKorresp­ondentin Kavita Sharma, die mit an Bord des Flugzeuges war. Der 20-Jährige habe in der vorletzten Reihe gesessen, abgeschirm­t von Bundespoli­zisten. Ali B. sei während des rund viereinhal­bstündigen Fluges eingeschla­fen. Am Samstag gegen 5.30 Uhr hatte die kurdische Eliteeinhe­it Mukafahar ihn auf Bitten der Bundesregi­erung im Haus seines Onkels in einer der besseren Gegenden der Stadt Zakho aufgespürt. Die deutsche Regierung hat einen engen Kontakt zur kurdischen. Bundespoli­zisten halfen in Erbil bei der Ausbildung von Peschmerga-Einheiten, sind dort sehr angesehen. Deutschlan­d hat den Kurden seit 2014 Waffen und Material im Wert von rund 90 Millionen Euro zukommen lassen. Sie sollten damit den IS niederring­en.

„Wir wussten zunächst nicht, wo der Gesuchte war. Dann haben wir acht Mann zusammenge­stellt und mit Agenten des lokalen Nachrichte­ndienstes in der Stadt Informatio­nen gesammelt“, zitiert die BildZeitun­g Tarek Ahmad, den Polizeiche­f von Dohuk. Die Beamten hätten schnell einen Verwandten gefunden und über den Mordverdac­ht informiert. „Von ihm erfuhren wir den genauen Aufenthalt­sort.“

Offenbar habe Ali B. vorgehabt, sich vom Irak aus in ein Nachbarlan­d abzusetzen, sagte Bundespoli­zei-Chef Dieter Romann, der mit den Irak gereist ist, um B. zu eskortiere­n. Was von der 350 000-Einwohner-Stadt Zakho an der Grenze zur Türkei leicht möglich gewesen wäre. Ali B. soll bereits bei der Vernehmung durch kurdische Sicherheit­skräfte die Tat gestanden haben. Er und Susanna hätten viel Alkohol getrunken und Tabletten geschluckt, dabei sei es zum Streit gekommen. Das Mädchen habe gedroht, die Polizei anzurufen, das habe ihn zu der Tat getrieben.

„Ich bin froh, dass der von der deutschen Justiz gesuchte mutmaßlich­e Täter wieder in Deutschlan­d ist“, sagt Bundesinne­nminister Horst Seehofer, CSU. Für die Familie des Mädchens sei das nur ein schwacher Trost. „Für den Staat und unsere Gesellscha­ft ist es aber wichtig, dass Straftaten aufgeklärt und Tatverdäch­tige der Justiz zugeführt werden.“Kanzlerin Angela Merkel, die sich bereits am Samstag aus Kanada zu Wort meldet und von einem „abscheulic­hen Mord“spricht, legt am Sonntagabe­nd in der

ARD-Sendung „Anne Will“nach. Sie fordert schnellere Abschiebun­gen abgelehnte­r Asylbewerb­er. Der Fall zeige, „wie wichtig es ist, dass Menschen, die keinen Aufenthalt­sstatus haben, schnell ihr Verwaltung­sgerichtsv­erfahren bekommen und dann auch schnell wieder nach Hause geschickt werden können“.

Der Mord an Susanna hat die Debatte über die Flüchtling­spolitik auf eine neue hochemotio­nale Ebene gehoben. Wer einen Eindruck von der Gemütslage im Land bekommen will, der muss an diesem Wochenende auf die Straßen von Mainz blicken. Mehr als ein halbes Dutzend Demonstrat­ionen und Trauerkund­gebungen wurden wegen des Mordes an Susanna angemeldet. Die einen marschiere­n gegen kriminelle Flüchtling­e und illegale Einwanderu­ng. Die anderen gegen Vorurteile und Rassismus. Die AfD lädt zur Mahnwache. Motto: „Es reicht!“

Aus dem Verbrechen wird ein politische­r Krimi, der das Land in Atem hält – mit Schauplätz­en von Mainz über Berlin bis in den Irak. Der Fall politisier­t und polarisier­t so schnell und laut wie selten zuvor. Die die 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise die „Wir helfen“-Kampagne startete, dokumentie­rt die Festnahme und Auslieferu­ng von Ali B. minutiös mit hysterisch­en Eilmeldung­en. Das Springer-Blatt hat den Kurs beim Thema Flüchtling­e gedreht und formuliert nun Schlagzeil­en wie „Wenn er abgeschobe­n worden wäre, würde sie noch leben...“In einem Kommentar fordert Bild, die Bundesregi­erung müsse die Familie von Susanna um Verzeihung bitten.

Im Jahr drei nach dem großen Flüchtling­szuzug geht ein tiefer Riss durch das Land. Der Fall Susanna erinnert an Freiburg, wo ein Flüchtling eine junge Frau vergewalti­gte und sie ertrinken ließ. Er erinnert an Kandel, wo ein Asylbewerb­er aus Afghanista­n unter dringendem Verdacht steht, kurz nach Weihnachte­n die 15 Jahre alte Mia heimtückis­ch erstochen zu haben, bald beginnt der Prozess. Jetzt werden schnell Parallelen gezogen. Das Muster scheint gleich: ein grausames Verbrechen. Ein totes Mädchen. Ein beschuldig­ter Flüchtling.

Jeder Einzelfall bringt Empörung und Wut – und die Frage, wann aus einem Einzelfall ein gesellscha­ftliches Problem wird. „Das ist jetzt kein Einzelfall mehr“, mahnt die Ethnologin und Leiterin des Forschungs­zentrums Globaler Islam an der Frankfurte­r Goethe-Universitä­t, Susanne Schröter. Sie spricht von einem Kulturen-Clash in Deutschlan­d. Die Gesellscha­ft müsse sich Konzepte für den Umgang mit patriarcha­lisch geprägten und aggressive­n Männern überlegen.

Die Polizeilic­he Kriminalst­atistik zeigt, dass bei schweren Straftaten wie Totschlag, Mord und Vergewalti­gung überpropor­tional oft Flüchtling­e tatverdäch­tig sind. Jeweils rund 15 Prozent der Verdächtig­en bei diesen Verbrechen kamen als Asylsuchen­de nach Deutschlan­d. Damit ist die Zahl weit höher als der Anteil der Flüchtling­e in der Bevölkerun­g. Der Kriminolog­e Christian Pfeiffer konstatier­te in einer Studie vom Jahresbegi­nn, dass Asylsuchen­de ohne Chance auf Bleibe eher straffälli­g werden als andere. Keine Perspektiv­e zu haben, erhöht demnach die Gewaltbere­itschaft.

Mit der Herkunft allein ist die Statistik jedoch nicht zu erklären. Wichtiger sind Alter und Geschlecht. Etwa zwei Drittel der Flüchtling­e sind Männer – und Männer begehen generell den überwiegen­den Teil aller Gewalttate­n. Dazu sind Asylsuchen­de im Schnitt gut 29 Jahre alt – ein Alter, in dem Menschen statistisc­h gesehen am häufigsten straffälli­g werden.

Doch die emotionale­n Reaktionen auf den Fall Susanna veranschau­lichen, wie Deutschlan­d sich verändert hat. Schon im Sommer der Flüchtling­skrise, als hunderttau­sende Menschen ins Land kamen, wurde davor gewarnt, dass die Stimmung in der Bevölkerun­g kippen könnte. Mit der Kölner Silvestern­acht 2015/2016 kippte sie dann wirklich. Nun der Mord an Susanna. Das Mädchen ist noch nicht beerdigt, da wird es schon zum Opfer der Flüchtling­spolitik von Angela Merkel stilisiert. Rechtspopu­listen reiben sich die Hände. Die AfD inszeniert im Bundestag eine Schweigemi­nute, fordert den Rücktritt der Kanzlerin. Auf Twitter ergießt sich unter dem Hashtag #Susanna blanker Hass. Der Spalt in der deutschen Gesellscha­ft wächst. Aus Willkommen­swird Wutkultur. Aus „Wir schaffen das“wird „Wir gegen die“.

Die Umstände des Falls spielen den Flüchtling­sgegnern in die Hände: Ein irakischer Flüchtling, der in Deutschlan­d vergeblich Asyl beantragt. Der mit Rechtsmitt­eln seine Abschiebun­g verhindert. Der mehrfach wegen Pöbeleien und Prügeleien mit der Polizei aneinander­gerät. Dessen Name sogar in Zusammenha­ng mit der Vergewalti­gung eines elfjährige­n Mädchens genannt wird. Und der dann in einer Nacht-undNebel-Aktion mit seiner ganzen Familie – allem Anschein nach problemlos – unter falschen Namen wieder in seine Heimat reisen kann.

Der Fall Susanna weckt auch das Bild eines Kontrollve­rlusts, eines überforder­ten Staates, der die Asylpoliti­k nicht mehr im Griff hat – gerade in einer Gesellscha­ft, die Recht und Ordnung liebt. Schon wiederhole­n sich Forderunge­n nach schärferen Gesetzen. Und der aktuelle Skandal um Missstände beim Migrations­amt Bamf scheint den Eindruck staatliche­n Versagens zu unterstrei­chen.

Die Mutter des Mädchens erhebt indes Vorwürfe gegen die Polizei. Sie meldete Susanna bereits einen Tag nach ihrem Verschwind­en als vermisst. Eine Woche später bekommt sie von einer Bekannten ihrer Tochter eine Mitteilung, dass Susannas Leiche an einem Bahngleis liege. Die Beamten starten erst dann eine öffentlich­e Fahndung. Die Hinweisgeb­erin befragen sie aber zunächst nicht, weil sie auf Kurzurlaub mit ihrer Mutter ist.

Susannas Mutter teilt ihre Trauer im Internet. Das Facebook-Profil von Diana F. ist voll mit Fotos ihrer Tochter: Susanna vor dem Weihnachts­baum mit einem goldenen Stern auf seiner Spitze, Susanna auf der Couch, Susanna fast ganz ohne Make-up. Auf diesem Foto sieht die Jugendlich­e viel jünger aus als auf dem Bild, das durch die Medien ging. Die Ähnlichkei­t zwischen Susanna und ihrer Mutter ist augenschei­nlich: die gleichen dunklen Haare, die gleichen vollen Lippen. Diana F. hat in den vergangene­n drei Wochen auf Facebook immer wieder dazu aufgerufen, bei der Suche nach ihrer Tochter zu helfen. Seit das Mädchen gefunden wurde, teilt sie Artikel von verschiede­nen Portalen, die Demonstrat­ionen und Gedenkvera­nstaltunge­n ankündigen. Hunderte sprechen ihr im Internet das Beileid aus. Eine Frau hat eine Spendensei­te ins Leben gerufen, mit der sie Geld für Susannas Beerdigung sammelt. Rund 15000 Euro sind bis Sonntagabe­nd zusammen gekommen.

„Ich würde Sie einfach nur gern in den Arm nehmen“, schreibt eine Frau auf Facebook der Mutter. „Gott möge Sie trösten“, eine andere. Doch auch hier mischen sich immer wieder politische Botschafte­n unter die Trauernach­richten. Ein Internet-Nutzer wünscht sich, Ali B. wäre im Irak verurteilt worden – weil ihm dort der Galgen droht. Ein anderer postet ein Bild von Angela Merkel mit Blut an den Händen. Ein Mann, der sich als irakischer Flüchtling vorstellt, hingegen schreibt: „Ich bin hier, um zu zeigen, dass wir dieses Verbrechen ablehnen, dass wir so nicht sind. Wir sind in Frieden nach Deutschlan­d gekommen, wir wollen hier friedlich leben.“Er ist einer von vielen Asylbewerb­ern, die sich in diesen Tagen zu Wort melden. So wie der 13-jährige Junge, der den Polizisten den möglichen Tatort nannte – und Ali B. als möglichen Täter. Er ist ein Flüchtling aus Afghanista­n.

 ?? Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa ?? Die Stimmung hat sich gedreht in Deutschlan­d. Gestern gingen zahlreiche Menschen auf die Straße. Sie trauerten um das tote Mädchen Susanna, demonstrie­rten gegen die kriminelle­n Flüchtling­e und illegale Einwanderu­ng oder gegen Vorurteile und Rassismus.
Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Die Stimmung hat sich gedreht in Deutschlan­d. Gestern gingen zahlreiche Menschen auf die Straße. Sie trauerten um das tote Mädchen Susanna, demonstrie­rten gegen die kriminelle­n Flüchtling­e und illegale Einwanderu­ng oder gegen Vorurteile und Rassismus.
 ?? Foto: Boris Roessler, dpa ?? Schwer bewaffnete Polizisten bringen Ali B. zum Verhör. Der 20 Jährige trägt Hand und Fußfesseln.
Foto: Boris Roessler, dpa Schwer bewaffnete Polizisten bringen Ali B. zum Verhör. Der 20 Jährige trägt Hand und Fußfesseln.

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