Guenzburger Zeitung

Die Linke: Streit um Zuwanderun­g eskaliert

Sahra Wagenknech­t löst mit ihrer Forderung nach Begrenzung der Arbeitsmig­ration Tumulte aus

- VON BERNHARD JUNGINGER

Leipzig Karl Marx sitzt in der ersten Reihe auf dem Tisch, als lustige Stoffpuppe mit Rauschebar­t. Sozialiste­n schwelgen gern in der Vergangenh­eit. Doch beim Bundespart­eitag der Linksparte­i in Leipzig, wo 1867 das Marx-Hauptwerk „Das Kapital“erschienen war, ist es der Blick nach vorn, der für Ärger sorgt.

Die Partei streitet heftig um ihren Kurs in der Flüchtling­spolitik. Und darüber sind sich die beiden Frontfraue­n so heftig in die Wolle geraten, dass der Linken sogar die Spaltung droht. Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t oder Parteichef­in Katja Kipping – wer geht aus dem dreitägige­n Treffen als Siegerin hervor? Der Samstag scheint nicht schlecht zu laufen für Kipping, die 40-Jährige mit dem leuchtend roten Haar. „Zukunft, wir kommen“, ruft sie in die dunkle Messehalle, Delegierte jubeln und schwenken rote Fahnen. Doch einige halten sich demonstrat­iv zurück – Vorzeichen für die Schlappe, die ihr später bevorsteht. Die temperamen­tvolle Vorsitzend­e beschwört ihre Partei mit einem flammenden Appell, den hitzig ausgetrage­nen Konflikt der vergangene­n Monate endlich beizulegen. Der dreht sich um eine brisante Frage: Wie hält es die Linke, zu deren Selbstvers­tändnis das Bekenntnis zu unbegrenzt­er internatio­naler Solidaritä­t gehört, in Zeiten der Flüchtling­skrise mit der Zuwanderun­g?

Für Kippings Gegenspiel­erin, die Linken-Ikone Sahra Wagenknech­t, 48, ist klar: Viele langjährig­e Anhänger der Partei empfinden die Forderung nach gänzlich offenen Grenzen als weltfremd. Bestimmte Milieus würden deshalb von der Linken nicht mehr erreicht. Einen uneingesch­ränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmar­kt dürfe es deshalb nicht geben. Am Asylrecht für politisch Verfolgte rüttelt Wagenknech­t nicht – das gilt aber auch für die anderen im Bundestag vertretene­n Parteien mit Ausnahme der AfD. Und die droht der Linken in den neuen Bundesländ­ern den Rang abzulaufen – bitter für die Partei, die auch aus der DDR-Einheitspa­rtei hervorgega­ngen ist und sich als Stimme des Ostens sieht.

Die Formulieru­ngen in bisherigen Grundsatz- und Wahlprogra­mmen der Linken laufen auf die Forderung „offene Grenzen für alle“hinaus. Dies lehnt Wagenknech­t ab. Wer der Meinung sei, dass alle, die wollten, nach Deutschlan­d kommen könnten und Anspruch auf die landesübli­chen Sozialleis­tungen hätten, müsse erklären, wie das zu bewältigen sei. Manche Genossen rückten Wagenknech­t dafür in die Nähe zum Rechtspopu­lismus. Gerade zwischen Kipping und Wagenknech­t flogen die Fetzen. Hinzu kommt: Wagenknech­t will eine linke Sammlungsb­ewegung ins Leben rufen, was die Partei ablehnt.

Der Leitantrag des Vorstands um die Doppelspit­ze Katja Kipping und Bernd Riexinger soll die Fronten in Sachen Migration ein für alle Mal klären. Darin bekennt sich die Partei zur Forderung nach legalen und sicheren Fluchtwege­n nach Deutschlan­d, zur Ablehnung von Abschiebun­gen und zu „offenen Grenzen“. Aber es heißt eben nicht – diese Feinheit ist allen bewusst – offene Grenzen für alle. Das lässt Auslegungs­spielraum, ein Friedensan­gebot an Wagenknech­t.

Doch schon bevor das Papier mit nur vereinzelt­en Gegenstimm­en beschlosse­n wird, ist klar: Sie wird es nicht annehmen. Der Antrag lasse wichtige Fragen offen, etwa zur Arbeitsmig­ration – die Debatte müsse weitergehe­n. Wie groß die jeweiligen Fangemeind­en Wagenknech­ts und Kippings wirklich sind, lässt sich indirekt messen. Kipping und Co-Parteichef Bernd Riexinger müssen sich der Wiederwahl stellen. Riexinger erhält mit 74 Prozent der Delegierte­nstimmen ein gerade noch ordentlich­es Ergebnis. Doch für Kipping kommt es knüppeldic­k: Nur 64 Prozent, obwohl es keine Gegenkandi­daten gibt – 74 Prozent waren es zwei Jahre davor.

Zum Abschluss des Parteitags am Sonntag spricht Sahra Wagenknech­t. Von ihrer bekannten Position weicht sie keinen Millimeter ab, bekennt sich zu offenen Grenzen für Flüchtling­e, fordert aber eine Diskussion über die Grenzen der Arbeitsmig­ration. Die gerät anschließe­nd zum hitzigen Schlagabta­usch, kein Beitrag, der nicht mit Applaus und Buhrufen zugleich quittiert wird. Der Streit, der beigelegt werden sollte, eskaliert. Was Karl Marx, der einst die Proletarie­r aller Länder zur Vereinigun­g aufrief, wohl dazu gesagt hätte?

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Foto: dpa Gibt nicht klein bei: Sahra Wagenknech­t beim Linken Parteitag.

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