Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (62)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch. ©Pr
Aber ihr Gehalt bekommen sie darum doch, sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, manchem wächst das Fressen wirklich ins Maul, wer sich aber nicht satt essen kann, kann sich auch nicht satt schlecken.
Jawohl, zwanzig Schreibmaschinen klappern, aber darum hört man doch: Drüben, in Jauchs Büro, ist die Tür gegangen, und nun fliegt sie zu, mit einem donnernden Getöse: bumm, bumm! Es schüttert.
Kufalt wirft Maack einen Blick zu. Maack wirft Kufalt einen Blick zu. Maack senkt die Lider über die Augen zum Zeichen, daß er den Blick verstanden hat. Hinundhergelaufe drüben im Büro, ein Fenster wird aufgerissen, nun fängt Jänsch an, unterdrückt vor sich hin zu lachen, denn der Jauch da drinnen schimpft mit sich. Aber er wird sofort wieder stille, denn die Tür geht auf, Jauch brüllt mit aller Kraft, nur den blauroten Kopf durchsteckend: „Fräulein Merzig!! Fräulein Merzig !!!! “
„Ja, Herr Jauch?“
Auf der anderen Seite der Schreibstube öffnet sich die Tür, Fräulein Merzig (die Große, Zibbe) steckt ebenfalls den Kopf durch: „Ja, bitte, Herr Jauch?“
„Das Hamburger Adreßbuch, aber ein bißchen flott, ja?“„Sofort, Herr Jauch!“
Jeder merkt: Sturm im Anzug, Gewitterböe am Himmel. Fräulein Merzig läuft eilig in der Schreibstube von Platz zu Platz, zu sehen, wo das Hamburger Adreßbuch liegt.
Jauch, immer mit dunkelrotem Gesicht, folgt ihr mit seinem Blick: „Wer, zum Donnerwetter, hat es denn? Kann der sich nicht melden?!“Sie findet es bei Sager und nimmt es ihm fort.
„Hören Sie mal, Fräulein, ich muß arbeiten“, protestiert Sager matt. Sie läuft schon damit zu Herrn Jauch, der drohend verkündet: „In Kürze werden sehr viel großkotzige Herren ohne Arbeit sitzen.“
Er reißt das Adreßbuch an sich und verschwindet.
„Sie können wenigstens Entschuldigung oder bitte sagen, Fräulein“, grollt Sager.
„Mit Ihnen rede ich überhaupt nicht“, erklärt Fräulein Merzig. und sie meint nicht etwa nur Sager, sondern alle in diesem Zimmer. Sie geht und verschwindet bei ihrer Kollegin, nicht ohne die Tür einen Spalt offenzulassen –: „Denn heute gibt’s was, so habe ich Jauch noch nie gesehen, sicher wirft er einen von denen raus!“
Vorläufig flucht er weiter in seinem Zimmer, raschelt mit dem Adreßbuch und erscheint wieder in der Tür, diesmal in voller Figur.
„Kann ich mein Adreßbuch wiederhaben, Herr Jauch?“fragt Sager hartnäckig.
„Kennt jemand von Ihnen eine Schreibstube Cito-Presto?“fragt Herr Jauch und kommt bis in die Mitte des Zimmers.
Stille.
Dann läßt sich eine Stimme vernehmen: „Schreibstube Cito, Herr Jauch …“
„Cito-Presto habe ich gefragt, Sie Idiot“, brüllt Herr Jauch los und ist beim Nebenzimmer, wo er seine Frage wiederholt.
„Schreibstube Cito…“, sagt
Fräulein Merzig.
„Gänse!“brüllt Jauch, besinnt sich und sagt milder: „O pardon“, schmettert aber immerhin die Türe zu. Er dreht sich um, nun hat er die ganze Schreibstube wie eine Schulklasse vor sich, alle mit den Gesichtern zu ihm hin. Er lehnt sich mit dem Rücken gegen die Tür, steckt die Hände in die Taschen, spielt in der einen mit seinen Schlüsseln, in der anderen mit Silbergeld und nagt dabei an der Unterlippe, die Stirn in Querfalten.
„Hol mal einer die Zigarre aus meinem Aschenbecher…“
Er überlegt, sieht die Reihe entlang, bleibt bei Maack hacken – der tippt. Jauch überlegt wieder, springt dann zu Maacks Hintermann und ruft: „Lammers!“
Lammers steht ängstlich auf, geht beinahe laufend in das Chefbüro, kommt wieder mit einem Zigarrenstummel, reicht ihn Herrn Jauch. „Feuer!“sagt der. Lammers sucht in seinen Taschen, findet Streichhölzer, brennt eins an, gibt Jauch Feuer, alles in angstvoller Haltung. Jauch zieht, pafft, dann: „Sie wissen doch, daß das Rauchen hier verboten ist? Wenn ich das noch einmal sehe, daß Sie Streichhölzer bei sich haben!“
„Ich habe aber nicht geraucht, Herr Jauch“, stammelt Lammers.
„Hältst du den Mund?! Hältst du den Mund?! Soll ich dich rausschmeißen oder hältst du den Mund?!!!“brüllt Jauch den aschfahlen Lammers an.
Der steht einen Augenblick, läuft dann torklig an seinen Platz, setzt sich hastig, zieht den Kopf zwischen seine Schultern und tippt los.
Einen Augenblick Stille. Jauch schnauft. Jeder fühlt, es war erst der Windstoß vor dem Losbruch, es soll erst losgehen. Jauch sucht sein nächstes Opfer mit dem Auge, sein Blick fällt auf Kufalt, der wie verzweifelt tippt. Jauch bewegt schon die Lippen, da klingt ein kräftiger Baß aus dem Hintergrund: „Stinkt, der Affenstall!“
Jauch fährt herum, sein Mund steht töricht halboffen, er fragt atemlos, als sei ihm von einem Magenschlag die Luft weggeblieben: „Wie bitte?! Wer sagte da was?“
Jänsch steht auf hinter seiner Schreibmaschine, wie ein kleiner Junge zeigt er mit dem Finger hoch: „Ich, Herr Jauch.“
Er steht einen Augenblick abwartend da, sieht zu, wie Jauch sich aus seiner Fassungslosigkeit zu einem Ausbruch sammelt, dann gerade, als der loslegen will: „Hab’ gesagt, daß der Affenstall hier stinkt, Herr Jauch. Und das tut er denn ja auch bei so ner Affenhitze, nicht?“
„Kommen Sie mit!“schreit Jauch. „Kommen Sie mit in mein Zimmer! Ihre Papiere. Sie sind entlassen, Sie Mensch Sie, Sie undankbares Geschöpf! Ihre Papiere!“
„Und mein Geld“, sagt Jänsch unerschütterlich und geht gleichzeitig mit Jauch auf dessen Zimmer los.
Sie sind im Begriff, dort zu verschwinden, als in einer anderen Ecke der Schreibstube einer aufsteht, Deutschmann diesmal, und schreit: „Herr Jauch, ich finde auch, daß dieser Affenstall stinkt.“
Jauch steht fassungslos, er bewegt wortlos die Lippen, er sieht von einem zum anderen, er fängt an nachzudenken, dann hebt er die Hand: „Kommen Sie auch, Herr Deutschmann, Sie sind beide entlassen.“
„Schön“, sagt Deutschmann, „geht in Ordnung.“
Aber sie kommen noch immer nicht in Jauchs Zimmer, denn nun steht Sager auf und sagt höflich und bescheiden: „Darf ich mir wohl mein Hamburger Adreßbuch holen, Herr Jauch? Ich muß arbeiten.“
„Lassen Sie mich zufrieden!“brüllt Jauch den Höflichen an.
„Dann bin auch ich der Ansicht, daß dieser Affenstall stinkt“, sagt Sager mit derselben lächelnden Höflichkeit. Und etwas schneller: „Ich stell’ mich von selbst zu den anderen, Herr Jauch, ich komme schon.“
„Das ist Meuterei!“schreit Herr Jauch. „Das ist …“
„Meuterei gab’s im Kittchen, Herr Jauch, da täuscht Sie Ihre Erinnerung“, sagt Maack kühl und steht nun auch seinerseits auf.