Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (64)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch. ©Pr
So!“sagt Jänsch, hebt den Monte hoch und setzt ihn mit einem Krach auf den nächsten Stuhl.
Monte reißt sein Taschentuch heraus, trocknet sich die Stirn, reibt sich den Oberarm, sieht albern-empört von einem zum anderen, und plötzlich fängt er weibisch an zu kichern…
„Was der für Kräfte hat!“kichert er.
„Ehe wir an die Arbeitsverteilung gehen“, sagt Maack, „müssen wir feststellen, welche Geldmittel wir als Betriebskapital zur Verfügung haben. Wir müssen sechs Schreibmaschinen auf Abzahlung kaufen, ich rechne dreißig Mark pro Stück die erste Rate, ein Zimmer mieten, dreißig Mark, Tische, Stühle, sechzig Mark…“
„Aber das können wir uns doch alles so ,– Handgriff –‘ besorgen.“
„Tische und Stühle sechzig Mark! Das wäre wohl alles. Hundertachtzig die Maschinen, zweihundertzehn die Miete. Zweihundertsiebzig alles in allem… Wieviel kann jeder
von euch dazu geben?“Stille. Noch viel stiller. Jeder sieht krampfhaft vor sich hin.
„Wir sind acht Mann“, sagt Maack. „Es würden auf jeden vierzig Mark entfallen. Wer hat so viel?“Stille. Stille. Stille.
„Ich zeichne also vierzig Mark“, sagt Maack. „Na, und du, Kufalt?“
„Ich habe doch den Auftrag gebracht“, sagt Kufalt hilflos. Er fürchtet, gibt er jetzt vierzig Mark her und die anderen sehen, er hat dann noch immer dreihundertvierzig in der Brieftasche – so muß er alles zahlen.
„Und Sie, Jänsch?“
„Ich fress’ all mein Geld immer gleich auf“, sagt Jänsch mürrisch. „Sie sind doch der Schreibstubenvorsteher, Maack.“
„Und Sie, Fasse? Deutschmann? Sager? Oeser? Monte?“
„Geld soll ich auch noch geben“, schreit Monte. „Wo ich so behandelt werde!“
Langes, verdrossenes Schweigen. „Ja, wozu sind Sie denn der Schreibstubenvorsteher?“Jänsch noch einmal.
„Der Kufalt hat uns überhaupt reingerissen“, sagt Oeser böse. „Schön blöd sind wir gewesen. Siebzehnhundert Adressen den Tag, so ein Quatsch!“
„Scheiße!“schreit Sager und haut auf den Tisch. „Scheiße!“schreit auch Fasse. Und plötzlich schreien sie alle „Scheiße!“Sind wie wild, trommeln auf den Tisch, geraten in einen Paroxysmus von Verzweiflung: ach, die schöne, so leichtsinnig aufgegebene Schreibstube da hinten.
„Einen Augenblick“, sagt Maack, und langsam wird es still.
Maack sagt – und er sieht ja wirklich tadellos aus, dieser Maack mit dem weißen, selbstbeherrschten Gesicht, mit der schmalen Goldbrille – also er sagt: „Unter der Voraussetzung, daß uns die Geldbeschaffung gelingt …“„Scheiße!“
„Bitte! Ich bin überzeugt, ihr alle habt Geld – ausgenommen vielleicht Monte.“
„Hab auch keines“, sagt Monte. „Wenn ich hier mitarbeiten soll, muß ich Vorschuß haben.“
„Also – unter der Voraussetzung, daß das Geld zusammenkommt und wir morgen mit Arbeiten anfangen, so bekommen wir übermorgen von der Firma dreiundneunzig Mark sagt fünfzig für die ersten Zehntausend und jeden weiteren Tag weitere dreiundneunzig Mark fünfzig Arbeitslohn …“
„Ja, wenn!“
„Ich schlage nun vor, daß wir vorläufig jedem nur einen Wochenlohn von fünfundzwanzig Mark auszahlen, bis die Geldgeber ihre Einlagen zurück haben. Und zwar bekommt jeder Geldgeber für hergegebene zehn Mark fünfzehn Mark aus den Eingängen zurück, als Belohnung für sein Risiko.“Höher atmendes Schweigen. „Wird dieser Vorschlag von mir“, sagte Maack hurtig, „angenommen, so bin ich bereit, hundert Mark zu zeichnen.“Einen Augenblick Stille – und Maack setzt träumerisch hinzu: „Ich würde dann hundertfünfzig zurückbekommen.“
„Wieso hundert Mark?“sagt Jansen brummig. „Wieso gerade Sie hundert Mark? Dann zeichne ich auch hundert Mark!“
„Ich auch!“
„Ich auch!“
„So viel brauchen wir doch gar nicht.“
„Ich hundertfünfzig“, schreit Kufalt. „Und ich habe nicht mehr als vierzig Mark“, klagt Monte. „Wieso soll gerade ich so wenig verdienen?“Brüllendes Gelächter.
„Kiek, der Pupe, der wittert auch was!“
„Will Vorschuß, der Goldjunge! Nachschuß, mein Süßer.“
„Da also“, sagt Maack, „die Geldfrage in dem Sinne geregelt ist, daß jeder von uns vierzig Mark zahlt…“
„Aber wir kriegen sechzig wieder!“
„Natürlich! … So bitte ich erst einmal alle, möglichst schnell nach Hause zu gehen und das Geld zu holen. Wir haben heute noch einen Haufen zu erledigen.“
Alles eilt fort.
„Junge, Monte – wenn du nicht wieder anzitterst – wir finden dich!“
„Ich komm’ schon“, sagt Monte. „Wenn ich sechzig Mark für vierzig kriege!“
Kufalt und Maack bleiben zurück. Maack liniiert einen Bogen, schreibt die Namen der acht untereinander, zu oberst den seinen, neben jeden Namen die Zahl vierzig. Dann nimmt er aus einer abgegriffenen roten Brieftasche zwei Zwanzigmarkscheine, legt sie vorsichtig vor sich hin und quittiert sich selbst: „Erhalten Peter Maack.“
Dann empfängt er von Kufalt ebenfalls vierzig, quittiert wieder und sieht lächelnd zu Kufalt auf: „Ein bißchen dumm seid ihr ja alle. Denkt, ihr verdient zwanzig Mark, jeder, und merkt nicht, daß die euch allen gleichmäßig vom Arbeitsverdienst abgezogen werden.“
„Mensch“, sagt Kufalt atemlos. „Das hast du die ganze Zeit gewußt! Wenn das die anderen wüßten!“
„Ich erzähl’s auch dir alleine“, sagt Maack. „Hoffentlich kommt keiner von den anderen darauf, bis sie wieder hier sind mit ihrer Marie.“
3
Und nun wurde es wirklich und wahrhaftig die herrlichste Sache von der Welt. Es zeigte sich, daß von dem immer schmierig aussehenden Oeser und von dem ewig puppenjungenhaft gekleideten Monte abgesehen – daß alle anderen Würde und Ernst der Stunde begriffen hatten: nicht nur das Geld brachten sie mit, nein, auch umgekleidet hatten sie sich. Selbst der wilde Jänsch sah nahezu elegant und fast glatt rasiert aus, und Deutschmann kam sogar, trotz des glühenden Sommernachmittags, im Cut und mit einem schwarzen, steifen Hut. Sie umstanden ihn und stimmten einen Brummgesang an: „Die Melone…“„Und der Judenhelm…“„Ach, dein süßer, steifer Schwarzer …“(Natürlich Monte.)
„Mit dem Bibi, kleiner Schelm…“Deutschmann ertrug diese etwas lärmende Bewunderung mit lächelnder Gelassenheit. zu sehen.