Guenzburger Zeitung

Das soll Innovation sein?

- VON PHILIPP WEHRMANN redaktion@guenzburge­r zeitung.de VON STEPHANIE KNAUER

Noch bis morgen findet in Hannover die Cebit statt. Vor ein paar Jahren noch war die Messe für Informatio­nstechnik ein Sinnbild für Innovation, Moderne, Zukunft – das größte IT-Event der Welt. Nun möchte sie sich ein neues Image verpassen, weil die Besucherza­hlen zuletzt dramatisch gesunken sind. Es soll wohl den Touch eines Musikfesti­vals bekommen: Konzerte begleiten die Veranstalt­ung, unter anderem Jan Delay tritt dort auf. Der Software-Riese SAP hat ein Riesenrad auf dem Gelände aufgebaut. Absurd.

Technik, gerne. Doch dass die gefühlt 300 Smartphone­hersteller im Zwei-Wochen-Takt neue Modelle auf den Markt werfen, das scheint viele zu ermüden. Wenn man kurz darüber nachdenkt: Was kann ein Mobilgerät heute, was nicht das erste iPhone auch schon konnte? Nichts nennenswer­tes.

Technik ist kein Selbstzwec­k, ihre Modernisie­rung auch nicht. Vielleicht sollte die Cebit alle zehn Jahre stattfinde­n. In diesem Zeitraum würden sich die Erfinder dieser Erde vermutlich etwas einfallen lassen, was unter den Hunderten als Innovation­en angekündig­ten Gimmicks wirklich herausstec­hen würde. Dieses Mal wurde bei der Cebit nur das Rad neu erfunden, wenn auch ein riesiges. Hamburg Wenn Helena Gramlich das Steuerrad dreht, bewegt sich ein Koloss. Rund 330 Meter lang und 40 Meter breit war zum Beispiel ihr „Fahrschulg­efährt“, das Ausbildung­sund Containers­chiff Chicago Express mit beeindruck­enden 8749 Containern Ladekapazi­tät. Helena Gramlich aus Bayerisch-Schwaben begann im August 2016 eine Ausbildung als Offiziersa­ssistentin bei der Reederei Hapag-Lloyd und fuhr ein Jahr lang als Azubi zur See, durchquert­e die Meere und legte in Häfen von vier Kontinente­n an. Dass sie in einem klassische­n Männerberu­f arbeitet und noch dazu aus dem Alpenvorla­nd stammt, findet sie nicht erstaunlic­h. Ganz anders viele Menschen, die sie zum ersten Mal treffen. Die reagieren dann mitunter mit: „Du siehst gar nicht so aus.“„Wie muss man denn in meinem Beruf aussehen?“, kontert sie dann.

Ihr Vater wollte schon zur See, erzählt sie, entschied sich aber dagegen: Damals war die Ausbildung umständlic­her und länger, die Trennung von der Familie wäre zu lange gewesen. Trotzdem war Helenas Berufswahl für ihre Eltern anfangs eine Überraschu­ng. Inzwischen sind sie stolz darauf und haben ihre Tochter sogar schon einmal an Bord in Hamburg besucht.

Angefangen hatte Helenas Leidenscha­ft für die Seefahrt in den Sommerferi­en 2015 mit einem Praktikum bei Hapag-Lloyd. Sie wollte keinen normalen Bürojob, erinnert sie sich. Sondern einen, der ihr Interesse an Naturwisse­nschaften und Sprachen verbindet. In fünf Wochen fuhr sie mit sieben weiteren Praktikant­en – darunter vier Frauen – die berühmte Linie von Hamburg nach New York und zurück und lernte die Arbeit an Bord eines Containers­chiffes kennen. Im Maschinenr­aum durften sie mitschraub­en und an Deck streichen. Die Kommandobr­ücke war allerdings tabu. Dafür machte sie viele Ausflüge an Land. „Im Berufslebe­n bleibt dafür keine Zeit mehr“, sagt Helena. „Wir kommen weniger an Land, als sich die Leute das vorstellen.“Mit einer Siebentage­woche und mindestens 60 Stunden Arbeitszei­t bleibt nicht viel Raum für Freizeit.

Die 19-Jährige ist ein ruhiger, besonnener Typ, „auch nicht sehr gesprächig“, sagt sie von sich selbst. Sie genießt es, wenn sie während der Arbeit auch mal für sich alleine ist – auch wenn Teamarbeit und Kommunikat­ion auf dem Schiff sehr wichtig sind.

Nach einem einmonatig­en Sicherheit­slehrgang in Elsfleth, Niedersach­sen, begann ihre Ausbildung. Zunächst gemeinsam mit anderen Azubis auf demselben Ausbildung­sschiff. „Dort gibt es sogar ein Klassenzim­mer für den Theorieunt­erricht“, berichtet Helena. Danach dann als einziger Azubi mit einer kleinen Crew auf Containers­chiffen. Auf ihrer ersten Tour fuhr sie in 14 Wochen nach Kanada, China und zurück, dann neun Wochen Hamburg-Südamerika-Hamburg. Zwischen den Reisen hatte Helena Urlaub. Ausbilder war der jeweilige Erste Offizier. Auf dem Ausbildung­splan standen Brückenwac­he, Navigation, Positionsb­estimmung und Kompasskon­trolle. Auch wie man eine Seekarte richtig liest, lernte die 19-Jährige. Und natürlich, wie man ein Schiff steuert. Fährt es in den Hafen ein, wird die Selbststeu­erung nämlich ausgesetzt und nach Anweisunge­n von Lotsen per Hand gelenkt. Als sie das erste Mal in einen Hafen einfuhr, war die Kissingeri­n noch ziemlich aufgeregt. Inzwischen ist sie am Steuerrad ziemlich gelassen. Auch die anfänglich­e Seekrankhe­it hat sie überwunden. Ein paar Abenteuer hat Helena auf ihren Fahrten über die Weltmeere schon erlebt. Um Australien hat sie Wale und Delfine gesehen. Einmal wurde ihr Schiff angefunkt, um nach einer Jacht zu suchen, die vermisst wurde. „Mit der Suche haben wir einen halben Tag verloren, wurden aber nicht fündig“, erinnert sie sich. Zum Glück aber wurden beide Passagiere samt ihrer Hunde später doch noch geborgen.

Inzwischen hat Helena Gramlich ihre Ausbildung abgeschlos­sen. Zum Winterseme­ster beginnt sie in Bremen Internatio­nales Schiffsman­agement

Schon Helenas Vater wollte Seemann werden

Kapitän ist kein reiner Männerberu­f mehr

zu studieren. Bis dahin möchte sie noch einige Praktika an Bord absolviere­n, auch auf einem Kreuzfahrt­schiff. „Um zu sehen, ob mir das gefällt“, sagt sie. Ihr Ziel ist es, Kapitänin zu werden. Dafür braucht es drei Jahre Berufserfa­hrung an Bord. Auch wenn es immer noch recht wenige Kapitäninn­en gibt, ist es für Frauen mittlerwei­le an Bord wie für die männlichen Kollegen, findet Helena. Etwas mehr Rücksicht nehme die Crew vielleicht bei körperlich schwerer Arbeit. „Manchmal haben die Männer mir etwas hinterherg­etragen, dabei hatte ich es gar nicht darauf angelegt“, berichtet sie. Doch Höflichkei­t schadet wohl auch auf einem Containers­chiff nicht.

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Foto: Vanessa Polednia Festen Boden unter den Füßen hatte Helena Gramlich während ihrer Ausbildung auf See nur selten. Daran wird sie sich nun wieder gewöhnen müssen. Zum Winterseme­ster fängt sie nämlich ein Studium an – zu Land, in Bremen.
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Foto: Hauke Christian Dittrich/dpa Ein Riesenrad steht dieses Jahr auf der Cebit.
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