Das soll Innovation sein?
Noch bis morgen findet in Hannover die Cebit statt. Vor ein paar Jahren noch war die Messe für Informationstechnik ein Sinnbild für Innovation, Moderne, Zukunft – das größte IT-Event der Welt. Nun möchte sie sich ein neues Image verpassen, weil die Besucherzahlen zuletzt dramatisch gesunken sind. Es soll wohl den Touch eines Musikfestivals bekommen: Konzerte begleiten die Veranstaltung, unter anderem Jan Delay tritt dort auf. Der Software-Riese SAP hat ein Riesenrad auf dem Gelände aufgebaut. Absurd.
Technik, gerne. Doch dass die gefühlt 300 Smartphonehersteller im Zwei-Wochen-Takt neue Modelle auf den Markt werfen, das scheint viele zu ermüden. Wenn man kurz darüber nachdenkt: Was kann ein Mobilgerät heute, was nicht das erste iPhone auch schon konnte? Nichts nennenswertes.
Technik ist kein Selbstzweck, ihre Modernisierung auch nicht. Vielleicht sollte die Cebit alle zehn Jahre stattfinden. In diesem Zeitraum würden sich die Erfinder dieser Erde vermutlich etwas einfallen lassen, was unter den Hunderten als Innovationen angekündigten Gimmicks wirklich herausstechen würde. Dieses Mal wurde bei der Cebit nur das Rad neu erfunden, wenn auch ein riesiges. Hamburg Wenn Helena Gramlich das Steuerrad dreht, bewegt sich ein Koloss. Rund 330 Meter lang und 40 Meter breit war zum Beispiel ihr „Fahrschulgefährt“, das Ausbildungsund Containerschiff Chicago Express mit beeindruckenden 8749 Containern Ladekapazität. Helena Gramlich aus Bayerisch-Schwaben begann im August 2016 eine Ausbildung als Offiziersassistentin bei der Reederei Hapag-Lloyd und fuhr ein Jahr lang als Azubi zur See, durchquerte die Meere und legte in Häfen von vier Kontinenten an. Dass sie in einem klassischen Männerberuf arbeitet und noch dazu aus dem Alpenvorland stammt, findet sie nicht erstaunlich. Ganz anders viele Menschen, die sie zum ersten Mal treffen. Die reagieren dann mitunter mit: „Du siehst gar nicht so aus.“„Wie muss man denn in meinem Beruf aussehen?“, kontert sie dann.
Ihr Vater wollte schon zur See, erzählt sie, entschied sich aber dagegen: Damals war die Ausbildung umständlicher und länger, die Trennung von der Familie wäre zu lange gewesen. Trotzdem war Helenas Berufswahl für ihre Eltern anfangs eine Überraschung. Inzwischen sind sie stolz darauf und haben ihre Tochter sogar schon einmal an Bord in Hamburg besucht.
Angefangen hatte Helenas Leidenschaft für die Seefahrt in den Sommerferien 2015 mit einem Praktikum bei Hapag-Lloyd. Sie wollte keinen normalen Bürojob, erinnert sie sich. Sondern einen, der ihr Interesse an Naturwissenschaften und Sprachen verbindet. In fünf Wochen fuhr sie mit sieben weiteren Praktikanten – darunter vier Frauen – die berühmte Linie von Hamburg nach New York und zurück und lernte die Arbeit an Bord eines Containerschiffes kennen. Im Maschinenraum durften sie mitschrauben und an Deck streichen. Die Kommandobrücke war allerdings tabu. Dafür machte sie viele Ausflüge an Land. „Im Berufsleben bleibt dafür keine Zeit mehr“, sagt Helena. „Wir kommen weniger an Land, als sich die Leute das vorstellen.“Mit einer Siebentagewoche und mindestens 60 Stunden Arbeitszeit bleibt nicht viel Raum für Freizeit.
Die 19-Jährige ist ein ruhiger, besonnener Typ, „auch nicht sehr gesprächig“, sagt sie von sich selbst. Sie genießt es, wenn sie während der Arbeit auch mal für sich alleine ist – auch wenn Teamarbeit und Kommunikation auf dem Schiff sehr wichtig sind.
Nach einem einmonatigen Sicherheitslehrgang in Elsfleth, Niedersachsen, begann ihre Ausbildung. Zunächst gemeinsam mit anderen Azubis auf demselben Ausbildungsschiff. „Dort gibt es sogar ein Klassenzimmer für den Theorieunterricht“, berichtet Helena. Danach dann als einziger Azubi mit einer kleinen Crew auf Containerschiffen. Auf ihrer ersten Tour fuhr sie in 14 Wochen nach Kanada, China und zurück, dann neun Wochen Hamburg-Südamerika-Hamburg. Zwischen den Reisen hatte Helena Urlaub. Ausbilder war der jeweilige Erste Offizier. Auf dem Ausbildungsplan standen Brückenwache, Navigation, Positionsbestimmung und Kompasskontrolle. Auch wie man eine Seekarte richtig liest, lernte die 19-Jährige. Und natürlich, wie man ein Schiff steuert. Fährt es in den Hafen ein, wird die Selbststeuerung nämlich ausgesetzt und nach Anweisungen von Lotsen per Hand gelenkt. Als sie das erste Mal in einen Hafen einfuhr, war die Kissingerin noch ziemlich aufgeregt. Inzwischen ist sie am Steuerrad ziemlich gelassen. Auch die anfängliche Seekrankheit hat sie überwunden. Ein paar Abenteuer hat Helena auf ihren Fahrten über die Weltmeere schon erlebt. Um Australien hat sie Wale und Delfine gesehen. Einmal wurde ihr Schiff angefunkt, um nach einer Jacht zu suchen, die vermisst wurde. „Mit der Suche haben wir einen halben Tag verloren, wurden aber nicht fündig“, erinnert sie sich. Zum Glück aber wurden beide Passagiere samt ihrer Hunde später doch noch geborgen.
Inzwischen hat Helena Gramlich ihre Ausbildung abgeschlossen. Zum Wintersemester beginnt sie in Bremen Internationales Schiffsmanagement
Schon Helenas Vater wollte Seemann werden
Kapitän ist kein reiner Männerberuf mehr
zu studieren. Bis dahin möchte sie noch einige Praktika an Bord absolvieren, auch auf einem Kreuzfahrtschiff. „Um zu sehen, ob mir das gefällt“, sagt sie. Ihr Ziel ist es, Kapitänin zu werden. Dafür braucht es drei Jahre Berufserfahrung an Bord. Auch wenn es immer noch recht wenige Kapitäninnen gibt, ist es für Frauen mittlerweile an Bord wie für die männlichen Kollegen, findet Helena. Etwas mehr Rücksicht nehme die Crew vielleicht bei körperlich schwerer Arbeit. „Manchmal haben die Männer mir etwas hinterhergetragen, dabei hatte ich es gar nicht darauf angelegt“, berichtet sie. Doch Höflichkeit schadet wohl auch auf einem Containerschiff nicht.