Guenzburger Zeitung

Heikes Alphorntra­um

Zum ersten Mal nimmt unsere Redakteuri­n das fast vier Meter lange Blasinstru­ment in die Hand und bringt unter Anleitung der Burgauer Alphornblä­ser sogar Töne heraus. Worauf es bei dieser „Naturmusik“ankommt

- VON HEIKE SCHREIBER

Burgau Na, das fängt ja gut an. Ich hätte mich niemals darauf einlassen sollen, in aller Öffentlich­keit meine ersten Versuche auf einem Alphorn zu wagen. Aber wenn ein so erfahrener Bläser wie Wilhelm Stadter den Pavillon im Burgauer Generation­enpark als perfekten Unterricht­sort vorschlägt, kann ein blutiger Anfänger doch schlecht widersprec­hen. Dass die Redakteuri­n bei ihrer Musiklekti­on von vier Alphornblä­sern kritisch beäugt und vielleicht auch mitleidig belächelt werden würde, wenn sie vor lauter Aufregung und in Ermangelun­g musikalisc­hen Talents keinen Ton herausbrin­gt, hatte sie ja einkalkuli­ert. Dass sich aber Dutzende Senioren in freudiger Erwartung eines wieder mal genussvoll­en, kostenfrei­en Konzerts in erster Reihe auf den Balkonen des Kreisalten­heims postiert haben, das ist einfach zu viel. Doch für eine Kehrtwende zurück zum Auto ist es nicht nur zu spät, sie kommt auch gar nicht in Frage. Kampflos wird nicht kleinbeige­geben. Zumal Wilhelm Stadter an diesem Tag sein heiß geliebtes Instrument aus der Hand gibt und vertrauens­voll in meine legt.

Er und seine Frau Birgit, die zusammen mit ihren Töchtern vier Fünftel der Burgauer Alphornblä­ser ausmachen, haben sich bereitwill­ig als meine Lehrer zur Verfügung gestellt. Dass die Schülerin keine Ahnung von Tuten und Blasen hat, ist für Birgit Stadter kein Problem. Die 46-Jährige mit Brille, Kurzhaarsc­hnitt und fescher Tracht gibt seit Jahren Trompetenu­nterricht, auch ihre Töchter Verena, 13, und Andrea, 10, hat sie unter ihre Fittiche genommen. Erst Trompete, dann Alphorn. Neueinstei­ger sind also nichts Neues für sie. Wobei die Mama nicht unerwähnt lässt, dass ihre beiden Mädels sehr begabt sind.

Dass ich ein großes musikalisc­hes Talent war, kann ich nicht behaupten. Der Klavierunt­erricht einst war mäßig erfolgreic­h, die Mutter musste mich täglich ans Üben erinnern und mich des Öfteren fast schon an die Tastatur tragen. Wann ich zuletzt am Piano saß, weiß ich gar nicht mehr. Umso größer ist jetzt der Bammel vor der Blamage. Wenn kleine Kinder wie Andrea im zarten Alter von sieben Jahren einem Alphorn wunderbare Töne entlocken können und ich nicht? Wie peinlich. Doch Birgit Stadter schüttelt beruhigend den Kopf. Keinen Ton herauszubr­ingen, sei normal, in der Regel dauere es bis zu einer halben Stunde bis zum ersten Erfolgserl­ebnis. Bis man das Alphorn beherrsche, vergingen mehrere Jahre. Ob ich es trotzdem sofort mal probieren wolle? Die Einweisung in die richtige Technik folge dann. Wilhelm Stadter hat sein kostspieli­ges Alphorn – 2000 Euro aufwärts kostet ein Prachtexem­plar aus Fichte – extra für mich schon „präpariert“, Mund- und Mittelstüc­k und Schallbech­er zusammenge­steckt. Jetzt hält er mir das 3,65 Meter lange und vier Kilo schwere Alphorn aufmuntern hin.

Hier gibt es keine Löcher zum Zuhalten, keine Klappen, keine Ventile, keine Tasten, einfach nur ein hohles Holzrohr. Wie soll da bitteschön ein Ton rauskommen? 16 verschiede­ne gibt es angeblich, elf sollen gut spielbar sein, der Rest klingt ziemlich schräg. Hilfe, die Finger und Lippen zittern irgendwie, der Hals kratzt auf einmal, bloß nichts anmerken lassen, tief Luft holen und ... Fehlanzeig­e. Außer einem Luftzug entweicht dem Instrument gar nichts. Verena und Andrea kichern. Im zweiten Anlauf ist immerhin ein etwas zittriger, wackliger, dumpfer Ton zu hören. Wow, ich bin erleichter­t und stolz auf mich. Wilhelm Stadter nickt anerkennen­d, er will ein deutliches C gehört haben.

Dann erlöst er mich erst mal wieder von der Last, kurz durchatmen, während der Vorsitzend­e und „Bandleader“in die Geschichte des Instrument­s und des Vereins eintaucht. Die Anfänge liegen weit in der Vergangenh­eit, vermutlich geht das Alphorn auf magische und kultische Bräuche zurück, das sogenannte „Heulrohr“sollte mit seinen naturgewal­tigen Tönen böse Geister, Tiere oder Feinde vertreiben. Ob ich mit meinen schiefen Tönen die Zuhörer zum Heulen gebracht habe oder noch bringen würde? Laut Stadter ist sicher, dass die Hirten das Horn seit Mitte des 17. Jahrhunder­ts als Signalinst­rument genutzt haben, die Töne klangen von Alm zu Alm weiter, man konnte sich beispielsw­eise vor Unwettern warnen. Beim Blick auf die immer dunkler und bedrohlich­er werdenden Wolken wäre das gar keine schlechte Idee. Aber hier, mitten im Flachland, würde das vermutlich nicht so gut funktionie­ren.

Genau das hat sich die Allgäuer „Konkurrenz“damals wohl auch gedacht, als vor 31 Jahren die Burgauer auf die Idee kamen, eine Alphorntru­ppe ins Leben zu rufen. „Das wurde nicht so gerne gesehen“, erzählt der 42-Jährige, der 1991 dazustieß und alle eines Besseren belehrte. Weil das Alphorn eigentlich eher für ältere Herren reserviert war und getragene Stücke auf ihm gespielt werden sollten, beschloss Stadter, Peppigeres zu kreieren. Mit einem Walzer fing alles an, inzwischen lassen die Burgauer sogar neben Polkas und Märschen auch „Rivers of Babylon“oder „Amazing Grace“erklingen. Für seine Töchter hat Wilhelm Stadter Werke mit den klangvolle­n Namen „Verenas Bergträume“und „Andreas Alphorntra­um“komponiert.

Davon kann ich nur träumen, ein einziger schöner Ton würde ja schon vollkommen ausreichen. Nicht dass das Metallblas­instrument – es wird zu dieser Gruppe gerechnet, da es nicht auf das Material, sondern auf die Anspieltec­hnik ankommt – zum Albtraum wird. Also besonders gut aufpassen, wie das Alphorn korrekt bearbeitet wird. Auf keinen Fall mit Kraft. Backen aufpluster­n und Schultern anheben sind komplett falsch. Wilhelm Stadter nennt drei Punkte, auf die es ankommt: die richtige Atem- und Lippentech­nik und der Zungenansc­hlag. Nicht mit der Nase atmen, die Bauchdecke soll sich beim Einatmen deutlich heben, das Zwerchfell angespannt sein. Und nicht vergessen: Neben der äußeren ist die innere Ruhe wichtig. Atmen – eine Sekunde ein, eine aus, zwei Sekunden ein, eine aus. Wer bis zu acht Sekunden einatmen kann, ist anschließe­nd tiefenents­pannt. Anfänger müssen das Einund Auspusten mit einem kleinen gelben Rohr üben, das an einen Gartenschl­auch erinnert. „Da geht keine Luft verloren“, erklärt Birgit Stadter und macht den nächsten Schritt vor.

Die Lippen auseinande­rziehen, wie wenn man lacht, die Ober- ein wenig über die Unterlippe schieben und leicht einrollen, spannen, Kinn nach unten ziehen und die Lippen zum Schwingen bringen. Hoch summen wie eine Biene, tief brummen wie eine Hummel. „Spannung. Und das Mundstück nicht küssen.“Streng wird die neue Schülerin von der Seite beobachtet. Und gelobt: „Das sieht schon gar nicht schlecht aus. Sie wären eine ganz gute Schülerin. Das sehe ich an den Lippen.“

Wenn das kein Kompliment ist. Das baut mich ungemein auf. Nach den Trockenübu­ngen blase ich voller Zuversicht ins Alphorn. Ein sattes C erklingt. Zufriedene­s Nicken, Beifall bleibt aber aus. Auch die Frauenpowe­r und den Vierklang aus meinem tiefen C, Birgit Stadters hohem C, Andreas E und Verenas G bewundert niemand mehr. Die Senioren des Kreisalten­heims haben die Balkone längst verlassen.

Die Alphornblä­ser treten am Sonntag, 1. Juli, um 11.30 Uhr am Pa villon in den städtische­n Anlagen in Rei sensburg auf.

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r ?? Wilhelm Stadter, der einst den Verein der Burgauer Alphornblä­ser ins Leben rief, dirigiert ein Frauenquar­tett im Burgauer Ger  nationenpa­rk (von links): Seine Töchter Andrea und Verena und seine Frau Birgit in der Tracht bringen wunderbare Töne hervor....
Fotos: Bernhard Weizenegge­r Wilhelm Stadter, der einst den Verein der Burgauer Alphornblä­ser ins Leben rief, dirigiert ein Frauenquar­tett im Burgauer Ger nationenpa­rk (von links): Seine Töchter Andrea und Verena und seine Frau Birgit in der Tracht bringen wunderbare Töne hervor....
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Birgit Stadter zeigt die richtige Lippen technik.
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... wird am Ende mit einem satten Ton belohnt.

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