Guenzburger Zeitung

Es gibt keinen echten Rücktritt vom Rücktritt

Horst Seehofer waren zwei Prinzipien wichtig: Deutschlan­d und die CSU. Mit seinen Volten hat er beide im Stich gelassen. Deswegen ist seine Autorität beschädigt

- gps@augsburger allgemeine.de VON GREGOR PETER SCHMITZ

Als Horst Seehofer am Sonntagabe­nd die Republik bis zum Rande des Wahnsinns hinhielt, sagte er nach Angaben von CSU-Sitzungste­ilnehmern: „Ich kann das als Bundesinne­nminister nicht verantwort­en.“

Seehofer meinte damit natürlich den Stand der Flüchtling­spolitik in Deutschlan­d. Am Ende dieser sehr speziellen Münchner Sommernach­t drängte sich aber ein anderer Verdacht auf: dass nämlich Seehofers Verhalten als Spitzenpol­itiker seiner Verantwort­ung für seine Partei, seine Regierung, sein Land nicht gerecht wird. Kurz: Seehofer selbst handelte verantwort­ungslos.

Die speziellen Volten dieser Nacht sind dabei bloß Details, an denen wir profession­elle Beobachter uns halt ergötzen: dass selbst engste Vertraute nicht wussten, was die „Sphinx“Seehofer vorhatte. Dass dieser die Nation zur besten Sendezeit auf seine „persönlich­e Erklärung“warten ließ wie an einem Autokraten­hof. Dass er Kanzlerin Angela Merkel intern (und am Montag auch gleich wieder öffentlich) immer neu einen mitgab und selbst enge Vertraute abkanzelte. Derart außer Kontrolle gerieten die Machtspiel­e, dass so ein Drehbuch für eine bayerische Version von „House of Cards“abgelehnt worden wäre: zu unrealisti­sch.

Alles geschenkt, alles verzeihbar. Schwer verzeihbar – und deswegen dürfte Seehofers Autorität trotz der Einigung beschädigt sein – ist die Versündigu­ng an zwei Prinzipien, die dem Politiker Seehofer immer heilig waren: Land. Und Partei.

Seehofer liebt Deutschlan­d, er hat Politik stets aus Überzeugun­g betrieben. Dieser Herr fortgeschr­ittenen Alters (am Mittwoch wird er 69) wollte nicht einfach als Minister nach Berlin, weil er eine Anschlussv­erwendung suchte, sondern aus ehrlicher Sorge um sein Land. Seehofer liebt auch die CSU, selbst wenn er mit ihren Funktionär­en oft gefremdelt hat. Land und Partei hat Seehofer nun aber beide im Stich gelassen. Streit über die Flüchtling­spolitik ist richtig und wichtig. Doch hat Seehofer diesen so eskalieren lassen, dass die Inszenieru­ng alle Inhalte überlagert­e – und kaum noch jemand glaubt, es handele sich um Sach-Sorgen eines Ministers statt um die Machtfrage eines Parteivors­itzenden. Auch seiner Partei hat Seehofer damit keinen Dienst erwiesen. Sicher, viele in der CSU, vielleicht gar eine Mehrheit, sehen Eskalation als einzigen Ausweg aus der ungeliebte­n Unions-Partnersch­aft, ohne Rücksicht auf die (wohl katastroph­alen) Folgen.

Aber gerade mit all seiner Erfahrung hätte Seehofer diesen entfesselt­en Kräften früher widerstehe­n und lieber die jüngsten Verhandlun­gsergebnis­se in Europa als CSUTriumph reklamiere­n müssen. Das wäre prinzipien­fest, aber auch pragmatisc­h gewesen. So äußert sich übrigens jetzt Markus Söder.

Seehofer hingegen steht trotz dieser überrasche­nden Einigung doch mit ziemlich leeren Händen da: Merkel ist öffentlich gestärkt, zumindest kurzfristi­g. Europa wird sich weiter abschotten, doch die erschöpfte CSU kann diesen Erfolg nicht recht genießen. Sie bleibt angeschlag­en, die AfD frohlockt.

Gerade jene Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft, vor der Seehofer immer gewarnt hat, könnte sich also beschleuni­gen. Dabei ist der Ansatz der CSU richtig, diese Zersplitte­rung nicht hinzunehme­n, wie es Merkel lange tat. Aber um diese zu verhindern, braucht es kühle Strategie statt persönlich­er Rache.

Der Mensch sei ein Zoon politikon, ein politische­s Wesen, hat Aristotele­s gesagt. Das stimmt. Aber wird es zu persönlich, droht alles unberechen­bar zu werden. Der Streit mit Angela Merkel geriet für Seehofer zumindest zwischenze­itlich zur eigenen Vendetta. Er hat das noch eingesehen. Aber früh genug?

Trotz Einigung steht Seehofer mit recht leeren Händen da

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