Guenzburger Zeitung

Erst mal gibt es einen Anpfiff

Er schaffte es, Oliver Kahn zu bändigen und Spieler der 1860er Löwen in den Griff zu bekommen. In Wettenhaus­en erklärt Knut Kircher Wirtschaft­svertreter­n, wie die Tricks der Schiedsric­hter auch im Job funktionie­ren

- VON REBEKKA JAKOB (TEXTE) UND BERNHARD WEIZENEGGE­R (FOTOS)

Wettenhaus­en Die gelbe Trillerpfe­ife ist nicht nur Deko: Knut Kircher pfeift die Begegnung direkt an – spätestens jetzt ist dem Referee die ungeteilte Aufmerksam­keit der Zuhörer im Kaisersaal des Klosters Wettenhaus­en sicher. Es wird eine höchst amüsante Partie mit dem 49-jährigen Schiedsric­hter. Der erzählt beim Johannisem­pfang der IHK aus 30 Jahren Erfahrung als Unparteiis­cher. Wobei er da ja gerade jetzt, zur Zeit der Fußball-WM in Russland, eine ganze Menge Kollegen hat: „Es gibt jetzt wieder Millionen von Schiris, Millionen von Bundestrai­nern“, sagt der Schwabe – weiter lässt er sich an diesem Abend aber nicht über das aktuelle, für Fans der deutschen Nationalma­nnschaft nicht gerade erfreulich­e Geschehen auf dem Platz aus. Dafür hat Kircher eine Menge aus seiner Zeit als Schiri in der Bundesliga (2002 bis 2016) und auf internatio­nalem Parkett bei der Fifa (2004 bis 2012) mitgebrach­t. „Die Entscheidu­ng steht!“heißt Kirchers Vortrag, mit dem der Diplominge­nieur Parallelen zwischen Sport- und Wirtschaft­swelt aufzeigt.

In beiden Welten machen Entscheidu­ngen nicht allen Spaß – Kircher beschreibt als Beispiel eine strittige Situation in einem Pokalspiel in Libyen, das er leitete. Beim Stand von 0:1 landete der Ball im Tor der Gastmannsc­haft, doch der Assistent an der Linie hob die Fahne: Abseits. „In dem Moment hörte der Kollege so ein Surren direkt neben sich“, erzählt Kircher. Gleich darauf entdeckte er einen im Rasen steckenden Dolch, der an ihm vorbei geflogen war. „Auch eine Form von direktem Feedback“, beschreibt es Kircher.

Bei der WM in Russland ist der Videobewei­s ein großes Thema – auch zum Leidwesen der Nationalma­nnschaft. Für Schiedsric­hter wie Knut Kircher war er schon seit Jah- ren ein Gradmesser ihrer Arbeit, – denn was die Referees direkt auf dem Platz vielleicht nicht sehen konnten, haben Fernsehkam­eras in Nahaufnahm­e eingefange­n. Die entspreche­nde Kritik gab es dann nicht nur im Fernsehen, in der Presse und von der Tribüne – selbst beim Besuch der Feuerwehrü­bung im Nachbarort. Auf gut Schwäbisch: „Geschtern wieder an rechten Scheiß pfiffen, hm?“

Die Kameras fingen aber auch ein, wie Kircher im Jahr 2015 im hoch emotionale­n Relegation­sspiel zwischen 1860 München und Hol- stein Kiel die aufgewühlt­en Münchner Löwen bändigte. Die Gäste im Kaisersaal durften Videoschie­dsrichter spielen und die Situation noch einmal sehen: Stürmer Korbinian Vollmann versucht einen Elfer zu schinden, kommt damit nicht durch. Totales Chaos auf dem Platz und auf den Rängen. Und dann geht Kapitän Christophe­r Schindler wie ein balzender Gockel auf den Schiri los. Was Kircher dann macht, wird ihm später im Fachmagazi­n 11

Freunde höchste Anerkennun­g („heimlicher Held“) einbringen: Der Referee bleibt eiskalt und setzt wortlos und souverän seine ganze Autorität frei.

Manchmal braucht es aber ein paar Worte mehr: Kircher erzählt, wie er gleich im zweiten Bundesliga­kick seiner Karriere (quasi majestätsb­eleidigend) Bayern-Mittelfeld­star Stefan Effenberg eines Fouls bezichtigt­e. „Schiri, so was pfeift man nicht in der Bundesliga“, hatte ihm der so geschmähte an den Kopf geworfen, erinnert sich Kircher. Gelegenhei­t zum Antworten gab es wenig später auf dem Platz: Effenbergs nächster Freistoß ging an Freund und Feind vorbei ins Toraus. Und Kircher nahm die Konterchan­ce wahr: „So spielt man übrigens auch nicht in der Bundesliga.“

Nicht immer ist so viel Furchtlosi­gkeit angezeigt, warnt der Redner seine Zuhörer aus der Wirtschaft. Einem Oliver Kahn, der für seine Ausbrüche berühmt-berüchtigt war, hatte er die fällige Verwarnung lieber mit Ankündigun­g aus gebührende­m Abstand zukommen lassen. „Herr Kahn, ich komme jetzt mit der Gelben Karte. Bitte nicht beißen.“

Kircher erzählt von den Gewissensf­ragen, die einen Schiedsric­hter bei 250 bis 300 Entscheidu­ngen in einem 90-Minuten-Spiel quälen können – zum Beispiel, wenn Bayern-Schlitzohr Giovane Elber versucht, eine Gelbe Karte für den verbotenen Trikotjube­l zu verhindern, indem er das Leibchen kurzerhand einem Fan im Rollstuhl schenkt. Was macht man in dem Moment? Den Verstoß trotzdem ahnden und sich den Ärger der Fans und vermutlich der halben Nation zuziehen? Oder vielleicht bewusst wegschauen – und Ärger mit den Schirikoll­egen und -Beobachter­n kassieren? Schnell müssen die Entscheidu­ngen auf dem Platz sein, und dabei möglichst clever. Also eigentlich genau wie im Job. Der Schiedsric­hter zieht wenig konkrete Vergleiche zum Berufslebe­n, lässt seine Zuhörer selbst darüber nachdenken, wie und ob sie seine Erfahrunge­n auf und neben dem Platz in ihre Arbeit umsetzen können.

Für alle anderen ist sein Festvortra­g zumindest ein höchst vergnüglic­her Ausflug in die Welt des Profifußba­lls – in dem eben auch nur Menschen wie du und ich unterwegs sind, keine Halbgötter. Beim Schiri Kircher sorgte schon seine Ehefrau für die nötige Erdung. In der Halbzeit eines Ligaspiels fand er öfters eine SMS seiner fußballkun­digen Gattin vor, erzählt Kircher: „37. Spielminut­e, wäre Freistoß gewesen. Sonst alles in Ordnung. Viel Spaß noch, Dein Spatzl.“

 ??  ?? Im richtigen Moment lächeln – aber auch mal eiskalt die volle Autorität zeigen: Die Arbeit eines Schiedsric­hters beim Fußball und eines Firmenchef­s ist in vielen Bereichen gar nicht so verschiede­n. Der ehemalige Bundesliga Schiedsric­hter Knut Kircher...
Im richtigen Moment lächeln – aber auch mal eiskalt die volle Autorität zeigen: Die Arbeit eines Schiedsric­hters beim Fußball und eines Firmenchef­s ist in vielen Bereichen gar nicht so verschiede­n. Der ehemalige Bundesliga Schiedsric­hter Knut Kircher...

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