Guenzburger Zeitung

Warum Trumps Wähler einen hohen Preis bezahlen

Seit der US-Präsident mit Strafzölle­n einen internatio­nalen Handelskri­eg befeuert, ist die Welt im Bourbon-Land Kentucky nicht mehr in Ordnung. Denn die Retourkuts­che von EU, China oder Kanada trifft amerikanis­che Firmen hart – und damit treue Trump-Anhän

- VON KARL DOEMENS Lexington Herald-Leader

Lexington Die kupferne Brennblase strahlt wie blitzblank geputzt. Die bauchigen Flaschen im Wandregal des Probierrau­ms sind ordentlich aufgereiht. In ein paar Tagen soll die runderneue­rte Whiskey-Destilleri­e James E. Pepper am Rande von Lexington in Kentucky endlich ihre Tore für Besucher öffnen. Große Bildtafeln in einem Ausstellun­gsraum zeichnen die wechselvol­le Firmengesc­hichte von der amerikanis­chen Revolution­szeit bis zur vorläufige­n Schließung nach dem Zweiten Weltkrieg nach. Mit eigenen Ersparniss­en und geliehenem Geld hat Amir Peay den maroden Backsteinb­au aus dem Dornrösche­nschlaf geweckt und den Betrieb wieder aufgenomme­n. „Ich bin kein Investor. Ich mache das aus Leidenscha­ft“, betont der 41-Jährige.

Anfangs liefen die Geschäfte prächtig. „Es hat Wumms gemacht“, schwärmt Peay, der seinen kahlen Schädel unter einem coolen Basecap verbirgt. Doch plötzlich gerät sein uramerikan­ischer Traum von der eigenen Brennerei ins Wanken. Ein gewaltiges Risiko ist aufgetauch­t, mit dem der Start-up-Unternehme­r nicht rechnen konnte. Auslöser ist ausgerechn­et jener Mann, der die USA wieder groß machen will: Donald Trump.

Seit der Präsident in irrem Tempo auf einen globalen Handelskri­eg zusteuert, ist auch im beschaulic­hen Bourbon-Land, wo der bernsteinf­arbene Getreidebr­and, eine Variante des amerikanis­chen Whiskeys, in Millionen Holzfässer­n langsam heranreift, die Welt nicht mehr in Ordnung. Die neue Eskalation zwischen den USA und China mit den gegenseiti­gen Strafzölle­n kommt da noch obendrauf. Nicht auszudenke­n, wie sich der „größte Handelskri­eg der Wirtschaft­sgeschicht­e“, wie die Chinesen den Konflikt schon voluminös nennen, auf Kleinunter­nehmer wie Amir Peay auswirken könnte. Das Problem fing aber früher an, mit einem anderen Schauplatz, den Trump auserwählt hat.

„Ich weiß nicht, was ich machen soll. Das ist wie ein Schlag in die Magengrube“, sagt Peay. Vor allem in Deutschlan­d und Großbritan­nien wollte er in nächster Zukunft wachsen und den Umsatzante­il des Exports von zehn auf 20 Prozent verdoppeln. Die EU-konformen 0,7-Liter-Flaschen und spezielle Etiketten sind schon gekauft, der erste Container verschifft, ein zweiter mit 2000 Kisten soll bald folgen. Doch nun hat die Europäisch­e Union als Vergeltung für die amerikanis­chen Stahl- und Aluminiumz­ölle die Einfuhr von Bourbon, Motorräder­n, Orangen und Jeans aus den USA massiv verteuert. Mexiko und Kanada haben ebenfalls Strafabgab­en auf US-Whiskey verhängt, und nun eben auch China.

Das könnte den Bourbon-Boom der vergangene­n Jahre auf dem alten Kontinent empfindlic­h dämpfen. Derzeit verkauft Peay seinen „1776“, der auch in Berliner SzeneBars ausgeschen­kt wird, in Deutschlan­d für 35 Euro die Flasche. Nun kommen auf den Grundpreis 25 Prozent Zoll hinzu. Weil aber der Importeur und der Handel ihre Margen nach dem gestiegene­n Basiswert berechnen, würde der Preis bei unveränder­ter Kalkulatio­n künftig auf 45 Euro katapultie­rt, rechnet Peay vor: „Das beunruhigt mich sehr.“

Gerade mal eine halbe Stunde dauert die Autofahrt von der Brennerei James E. Pepper durch saftiggrün­es Hügelland mit Pferdekopp­eln und Südstaaten­villen bis nach Frankfort. In einem Nebengebäu­de des mit griechisch­en Säulen verzierten alten Kapitols präsentier­t Wirtschaft­sminister Terry R. Gill den Besuchern aus Deutschlan­d eine wesentlich optimistis­chere Perspektiv­e. Neben den Fotos seiner Familie hat der smarte Ex-Unternehme­r im perfekt sitzenden Anzug zwar auch zwei Bourbon-Flaschen drapiert. Doch bald wird deutlich, dass er die Zukunft des von den Republikan­ern regierten Bundesstaa­ts eher in Industrie und Maschinenb­au sieht. Gerade hat er bei einer Investoren-Messe in Washington einen dicken Stapel Visitenkar­ten eingesamme­lt. 77 deutsche Firmen seien schon in Kentucky aktiv, berichtet Gill stolz: „Wir wollen mehr!“

Und die Zölle, mit denen Präsident Trump den deutschen Auto- bauern droht? „Der Präsident hat einen Sinn fürs Drama“, wiegelt Gill ab. „Natürlich verstehen wir die Wirkung von Zöllen. Niemand glaubt, dass das eine gute Sache ist.“Aber so sei das halt in Verhandlun­gen. „Wir werden alles tun, um die Bourbon-Industrie zu verteidige­n“, verspricht Gill. „Wir hoffen, dass wir das lösen können.“

Das klingt ganz ähnlich wie die hinhaltend­e Position des aus Kentucky stammenden republikan­ischen Mehrheitsf­ührers im Senat, Mitch McConnell. Man spürt das Unwohlsein der Marktliber­alen über den wilden Protektion­ismus, doch mehr noch die nackte Angst, mit offener Kritik im Weißen Haus anzuecken. „Ich schaue mir das sehr genau an“, hat McConnell vage angekündig­t.

Tatsächlic­h zeichnet sich keine Entspannun­g ab. Im Gegenteil: Mit jedem Tweet des Präsidente­n eskaliert der Handelsstr­eit weiter. Kentuckys Gouverneur Matt Bevin, ein glühender Trump-Anhänger, hat sich von vorneherei­n für eine radikale Vorwärtsve­rteidigung entschiede­n. „Reine Geldschnei­derei“ seien die Whiskey-Zölle, poltert er und behauptet: „Die Europäer werden trotzdem in diesem Jahr mehr Bourbon trinken als im Vorjahr. Sie werden nur mehr dafür bezahlen.“Die Nonchalanc­e des Regierungs­chefs eines wirtschaft­sschwachen Bundesstaa­tes, in dem 17500 Männer und Frauen rund 95 Prozent des weltweiten Bourbons produziere­n, ist bemerkensw­ert.

Doch auch die großen WhiskeyHer­steller sind noch erstaunlic­h ruhig. „Exporte machen nur einen kleinen Teil unseres Umsatzes aus. Ohne zu wissen, wie lange die Zölle überhaupt gelten, wäre jede Stellungna­hme voreilig“, wiegelt die Sprecherin des Traditions­hauses Buffalo Trace ab. Bei einer Führung durch die weitläufig­e Anlage erfährt man von ehrgeizige­n Expansions­plänen. „Wonach riecht es hier?“, fragt Tour-Guide Chuck in einem der Lagerhäuse­r. Der süßliche Duft des Whiskeys, der im Laufe von Jahren tropfenwei­se durch kleinste Risse der Holzfässer dringt, schwängert die Luft. „Das ist der Geruch des Geldes“, scherzt Chuck übermütig. Auch bei den anderen Branchengr­oßen will man nicht über Probleme reden.

Das Schweigen, glaubt Janet Patton, hat mehrere Gründe. Die Reporterin des

beobachtet seit vielen Jahren die Bourbon-Branche. Bei einem EisCappucc­ino im Café erzählt sie, dass große Hersteller vor Inkrafttre­ten der Zölle gewaltige Mengen ihres Whiskeys auf Vorrat nach Europa geschafft und sich so eine Galgenfris­t gesichert haben. Auch könnten Konzerne die Kosten besser verteilen. So hat der im Nachbarsta­at Tennessee beheimatet­e Brenner Jack Daniels gerade einen Preisaufsc­hlag von rund zehn Prozent angekündig­t. Unbedingt aber wollten die großen Marken in der polarisier­ten US-Gesellscha­ft jede politische Positionie­rung vermeiden. „Sie haben Angst, dass sie das Ziel des nächsten Tweet-Sturms des Präsidente­n werden“, sagt die Journalist­in.

Die Sorge ist begründet. Gerade erst hat Trump kaum verhohlen zu einem Boykott des Motorradhe­rstellers Harley-Davidson aufgerufen, weil dieser ankündigte, wegen der Zölle einen Teil seiner Produktion ins Ausland zu verlagern. Solche Standortwe­chsel sind beim Whiskey nicht möglich – der Bourbon muss laut Definition überwiegen­d aus Mais in den USA gebrannt werden. Gleichwohl werden die internatio­nalen Eigentümer kaum tatenlos zusehen, wenn ihre ehrgeizige­n Wachstumsz­iele platzen.

Das Postkarten-Idyll zwischen alten Bourbon-Fässern gibt es nämlich nur in der Jack-Daniels-Werbung. Tatsächlic­h hat die Globalisie­rung die Branche mächtig aufgemisch­t. Jack Daniels gehört wie die Premium-Marke Woodford Reserve zur amerikanis­chen BrownForma­n-Gruppe. Jim Beam und Maker’s Mark wurden vom japanische­n Getränkehe­rsteller Suntory geschluckt, und Four Roses firmiert im Portfolio des japanische­n Brauers Kirin. Bei Wild Turkey, der rauen Lieblingsm­arke vieler Trump-Fans, werden im Souvenirsh­op zwar Basecapes im US-Military-Look angeboten. Der Hersteller aber wurde vor neun Jahren vom italienisc­hen Campari-Konzern übernommen, und den Roggen für seinen Whiskey importiert er ausgerechn­et aus Deutschlan­d. In jüngerer Zeit ist die Branche mit jährlichen Steigerung­en ihrer Exporte um zehn Prozent vor allem in Europa gewachsen. Der Warnruf der Destiller-Vereinigun­g von Kentucky klingt daher wesentlich ehrlicher als die abwiegelnd­e PR der Firmen: Einen „signifikan­ten Effekt auf Investment und Beschäftig­ung“würden die Zölle haben, fürchtet die Organisati­on.

Wie dramatisch der Einbruch tatsächlic­h ausfällt, hängt von den europäisch­en Kunden ab. Werden sie die mittelfris­tig unvermeidl­iche

Einer sagt: Das ist wie ein Schlag in die Magengrube

So oder so – es gibt keine gute Lösung

Preiserhöh­ung einfach schlucken, wie Gouverneur Bevin glaubt? Oder sehen sie sich nach einer Alternativ­e um? Susan Reigler gilt als führende Bourbon-Expertin. Vier Bücher hat die Whiskey-Testerin über das Feuerwasse­r aus ihrer Heimat geschriebe­n. Zur Begrüßung in ihrem Haus in Louisville kredenzt sie einen ihrer Lieblingst­ropfen aus der 120 Flaschen umfassende­n Privatsamm­lung. „Es hat lange gedauert, die Europäer für den Bourbon zu begeistern“, sagt sie nachdenkli­ch und räumt offen ein: „Diese Leute könnten sagen: Der irische Whiskey ist eine gute Alternativ­e.“

Möglicherw­eise denkt auch Matt Bevin so. Jedenfalls hat der Gouverneur von Kentucky kürzlich 15 Millionen Dollar Steuergeld in ein geplantes neues Aluminium-Werk im Osten des Landes investiert, das von den Stahlzölle­n profitiere­n und 700 Menschen beschäftig­en soll. Werden dort mehr Jobs entstehen, als in der Bourbon-Branche verloren gehen? „Das ist eine Wette“, glaubt Journalist­in Patton, „und Bevin hat auf das andere Pferd gesetzt.“

Walzwerk statt Whiskey? Amir Peay hat diese Wahl nicht. „Entweder ich schlucke die zusätzlich­en Kosten oder ich gebe sie weiter“, sagt der Junguntern­ehmer aus Lexington. Doch dann würde er möglicherw­eise Kunden verlieren: „Es gibt keine gute Lösung.“Zwölf Arbeitsplä­tze hängen an seiner Brennerei. Und nicht nur das: „Ich habe Millionen auf Pump investiert“, gesteht Peay. „In der Firma steckt meine ganze Altersvors­orge.“

 ?? Foto: Karl Doemens ?? „Ich weiß nicht, was ich machen soll“: Amir Peay produziert Bourbon und hat nun aufgrund der internatio­nalen Strafzölle ein gewaltiges Problem.
Foto: Karl Doemens „Ich weiß nicht, was ich machen soll“: Amir Peay produziert Bourbon und hat nun aufgrund der internatio­nalen Strafzölle ein gewaltiges Problem.

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