Guenzburger Zeitung

Die Koalition rettet sich in die Sommerpaus­e

Der erbitterte Asylstreit hat tiefe Wunden hinterlass­en. Angela Merkel findet nach dem Ärger mit Horst Seehofer ausgerechn­et bei einem Grünen aus dem Süden Trost. Der nächste Konflikt zieht schon herauf

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin „Hier ist man wenigstens nett zur Kanzlerin“, seufzt eine Frau im hellblauen Sommerklei­d, als Winfried Kretschman­n, ganz galanter Gastgeber, Angela Merkel wie eine gute alte Freundin begrüßt. Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident hatte zur „Stallwächt­erparty“in die Landesvert­retung mitten in Berlin eingeladen. Im Kalender der Hauptstadt gilt das als inoffiziel­ler Auftakt der parlamenta­rischen Sommerpaus­e. Und neben Merkel sind rund 1500 Gäste gekommen – mit einer prominente­n Ausnahme. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), der eigentlich zugesagt hatte, fehlt. Und es scheint nicht, als würde er allzu sehr vermisst in der Berliner Runde. Dafür gibt es noch einen kleinen Seitenhieb. Kretschman­n sagt mit Blick auf die politische­n Turbulenze­n in Berlin: „Auf die Stallwächt­erparty ist Verlass. Sie ist sozusagen ein Ankerzentr­um der Humanität.“

Die Viertele-Gläser mit eiskaltem Weißwein, mit denen sich Kretschman­n, der populäre grüne Landesvate­r, und die Kanzlerin von der CDU zuprosten, beschlagen in der Angeregt ist die Unterhaltu­ng, es wird viel gelächelt und gelacht. Mit sichtliche­m Appetit kostet Merkel Gegrilltes vom Schwäbisch-Hällischen Landschwei­n – eine echte Spezialitä­t. Kretschman­n schenkt ihr ein Wildbienen-Hotel, sie verspricht, es im Garten des Kanzleramt­s anzubringe­n. „Dass ich so ein praktische­s Geschenk bekomme, habe ich nicht gedacht.“An dem Insektenho­tel könne sie nun festmachen, ob in Berlin City die Wildbiene anbeiße oder nicht. „Und wenn es nicht klappt, nehme ich das gerne in die Uckermark“, sagt sie mit Blick auf ihren zweiten Wohnort. Artenvielf­alt ist das Motto, es ist ein netter Abend, den Merkel sichtlich genießt. Obwohl sie bald schon wieder aufbrechen muss. Ihr steht noch der Koalitions­ausschuss bevor.

Viele Zaungäste sind verblüfft, wie entspannt, wie gelöst Merkel im blumengesc­hmückten Garten der Landesvert­retung wirkt, fragen sich, wie sie das nur wegsteckt, all den Ärger über die Ultimaten und die Rücktritts­drohungen Seehofers, die Verhandlun­gen bis tief in die Nacht. Auch der Tag war bislang alles andere als nett für die Kanzlerin, nur Stunden liegt die unschöne Begegnung mit Viktor Orbán, ihrem ungarische­n Erzfeind in der Flüchtling­spolitik zurück. Und doch schafft es Merkel offenbar, für kurze Zeit abzuschalt­en – als würde ihr der Gedanke Trost spenden, dass die CDU die CSU zum Regieren gar nicht unbedingt bräuchte. Dass notfalls auch die Grünen ein guter Partner wären. Schwarz-Grün, das ist offenkundi­g auch für die Wirtschaft kein Schreckges­penst mehr. Mercedes, Porsche und Audi präsentier­en im Eingangsbe­reich hochglanzp­olierte Luxuswagen – die ihre vielen Pferdestär­ken aus Batterien ziehen.

Ein Grüppchen baden-württember­gischer CDU-Bundestags­abgeordnet­er mit hochgekrem­pelten Hemdsärmel­n unterhält sich bei Pils aus dem Schwarzwal­d über die Unionskris­e der vergangene­n Wochen. Manche sehen sich in der Flüchtling­spolitik näher bei Seehofer als bei ihrer eigenen Parteichef­in Angela Merkel. Doch die „brutale, äußerste Rücksichts­losigkeit“, so ein Parlamenta­rier, mit der Seehofer seine Forderunge­n vorangetri­eben habe, sei unverzeihl­ich: „Wir dürfen die Einheit der Union niemals wieder so leichtfert­ig aufs Spiel setAbendhi­tze. zen.“Es sei gut, da sind sich die CDU-Leute mit Kollegen von SPD und Grünen einig, dass jetzt die Sommerpaus­e ein wenig Zeit zum Durchatmen biete – und zum Heilen der Wunden. Politiker jeder Couleur geben im kleinen Kreis zu, was in einem Milieu, in dem jeder bestrebt ist, ständig Tatkraft zu demonstrie­ren, eigentlich ein Tabu ist: Dass sie müde sind, tief erschöpft von den vergangene­n Monaten. Sie berichten, dass sie seit mehr als einem Jahr kaum zur Ruhe gekommen sind, der Ausnahmezu­stand des Wahlkampfs sei direkt in die zermürbend­e Phase der Regierungs­bildung mit dem gescheiter­ten Jamaika-Projekt und dem mühseligen Weg zur Neuauflage der GroKo übergegang­en.

Und dann der holprige Start der Regierung, der ständige Streit in der Großen Koalition, die sich ständig am Rande des Auseinande­rfallens bewege. Der rauere Ton im Bundestag, für den hauptsächl­ich, aber nicht nur, die rechtspopu­listische AfD sorge, zehre zusätzlich an den Kräften. Auch Seehofer, sagen jene, die ihn in den vergangene­n Wochen fast täglich erlebt haben, könne eine Auszeit jetzt dringend gebrauchen. Angegriffe­n wirke der Innenminis­ter, dünnhäutig wie nie.

Später am Abend macht die Nachricht die Runde, dass sich Merkel, Seehofer und die SPD-Spitze im Koalitions­ausschuss auf einen gemeinsame­n Weg in der Asylpoliti­k geeinigt haben. Doch dass dies nun für dauerhafte Harmonie in der Regierung sorgen wird, glaubt keiner. Das geplante Einwanderu­ngsgesetz, munkeln Abgeordnet­e, drohe gleich zum nächsten Zankapfel zu werden. Während die SPD auf ein umfassende­s Gesetzeswe­rk zur Einwanderu­ng hoffe, sei die Haltung bei der Union klar: Da dürfe es nur um ausgewählt­e Fachkräfte gehen. Doch an diesem Abend überwiegt die Freude, dass es die Regierung irgendwie zumindest in die Sommerpaus­e geschafft hat – der nächste Streit kann bis zum Herbst warten. Dass er kommt, steht außer Frage. Als ein Feueralarm die Feier kurz unterbrich­t, macht eine Theorie die Runde: „Da haben bestimmt die Bayern wieder gezündelt.“

Auch Horst Seehofer ist dünnhäutig wie nie

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Die Spuren der nervenaufr­eibenden vergangene­n Wochen sieht man ihr zumindest an diesem Abend nicht an: Kanzlerin Merkel bei der baden württember­gischen „Stallwächt­erparty“in Berlin.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Die Spuren der nervenaufr­eibenden vergangene­n Wochen sieht man ihr zumindest an diesem Abend nicht an: Kanzlerin Merkel bei der baden württember­gischen „Stallwächt­erparty“in Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany