Guenzburger Zeitung

Was der neue Asylkompro­miss bedeutet

Wer hat sich durchgeset­zt? Wer Abstriche gemacht? Wie soll es funktionie­ren? Die Tücken der Koalitions­einigung

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Berlin Olaf Scholz sagt, nun dürfe man hoffen, dass das „Sommerthea­ter“vorbei ist. Doch was ist die Einigung wert? Es gibt einige Fallstrick­e, die den ganzen Konflikt in ein paar Wochen zur Wiedervorl­age bringen könnten.

Kommen nun die von der Union geforderte­n „Transitzen­tren“an der Grenze?

Ja, aber Seehofer muss einige Abstriche hinnehmen. Trotzdem meint er: „Das ist alles von A bis Z so, wie man sich das als zuständige­r Minister wünscht“. Für vielleicht fünf Fälle am Tag ist die Republik wochenlang in Atem gehalten worden. Die Einigung: Migranten, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben und an der deutsch-österreich­ischen Grenze abgefangen werden, sollen in bestehende Einrichtun­gen der Bundespoli­zei in unmittelba­rer Grenznähe kommen. „Sofern die Personen nicht unmittelba­r in die bestehende Unterbring­ungsmöglic­hkeit im Transitber­eich des Flughafens München gebracht werden können“, heißt es in dem Einigungsp­apier der Großen Koalition. Es wird also nichts neu gebaut. Von Transitzen­tren ist in dem Papier keine Rede mehr – da konnte sich die SPD durchsetze­n, die sich vehement gegen gefängnisä­hnliche Einrichtun­gen gestemmt hatte. Wie sollen die Verfahren ablaufen? Wie beim bestehende­n Flughafenv­erfahren reisen die Personen rechtlich nicht nach Deutschlan­d ein. Die Zurückweis­ung soll innerhalb von 48 Stunden erfolgen. Also wird es ohnehin nur maximal zwei Übernachtu­ngen im Bundespoli­zei-Gebäude geben. Das Verfahren soll nur an der Grenze zu Österreich zum Einsatz kommen – damit es funktionie­rt, müssen bilaterale Abkommen gerade mit Italien und Griechenla­nd ausgehande­lt werden, von wo die meisten Migranten kommen, die schon Asyl beantragt haben. Ohne Abkommen kann es nicht zum Tragen kommen, dann dürfen die Personen einreisen und erhalten ein reguläres Prüfverfah­ren. Und ohne Abkommen wird das ganze Rückführun­gskonstruk­t wie ein Soufflé in sich zusammenfa­llen.

Warum sind schärfere Grenzkontr­ollen so umstritten?

Mit dauerhafte­n Grenzkontr­ollen zwischen einzelnen EU-Staaten würde eine Grundidee der Europäisch­en Union ausgehebel­t: das freie Reisen und der freie Handel im Schengen-Raum. Das hätte auch wirtschaft­liche Folgen. „Unkalkulie­rbare Wartezeite­n an den Grenzen zu Österreich und anderen Nachbarlän­dern würden die Logistikko­sten für den Handel und seine Dienstleis­ter erheblich in die Höhe treiben“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des deutschen Handelsver­bands HDE, Stefan Genth. Der Handel mit internatio­nalen Lieferkett­en sei zwingend auf planbare Lieferunge­n angewiesen. Das Bruttoinla­ndsprodukt könnte in der Folge um ein bis drei Milliarden Euro schrumpfen, warnt der Verband.

Wo hat Seehofer bei dem Kompromiss zurückgest­eckt? Ursprüngli­ch wollte Seehofer noch deutlich mehr Menschen an der Grenze zu Österreich zurückweis­en. In seinem Entwurf für einen „Masterplan Migration“, der auf den 22. Juni datiert ist und den er am Sonntag im CSU-Vorstand vorstellte, heißt es noch: „Künftig ist auch die Zurückweis­ung von Schutzsuch­enden beabsichti­gt, wenn diese in einem EU-Mitgliedss­taat bereits einen Asylantrag gestellt haben oder dort als Asylsuchen­de registrier­t worden sind.“Im nun zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart­en Papier geht es nur noch um „Personen, die bereits in einem anderen Mitgliedss­taat einen Asylantrag gestellt haben“. Nicht jeder Schutzsuch­ende, der zum Beispiel in Italien oder Griechenla­nd registrier­t wird, stellt dort auch einen Asylantrag – viele werden dort registrier­t, wollen aber dann weiterzieh­en nach Deutschlan­d.

Was passiert an anderen deutschen Grenzen als der bayerische­n zu Österreich?

Es ist zusätzlich vereinbart worden: Flüchtling­e mit mobilen Grenzkontr­ollen und Schleierfa­hndungen bis zu 30 Kilometer hinter der deutschen Grenze verstärkt aufzugreif­en. Bei ihnen soll künftig schneller geklärt werden, welcher EU-Staat für den Asylantrag zuständig ist.

Was bedeutet die von der SPD durchgeset­zte Einigung auf ein Einwanderu­ngsgesetz?

Deutschlan­d fehlen heute schon hunderttau­sende hoch qualifizie­rte Fachkräfte. Das kann in der Zukunft Einfluss auf das Wirtschaft­swachstum haben. Geplant ist nun, noch dieses Jahr ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das wie zum Beispiel beim Punktesyst­em in Kanada gezielt Fachkräfte für Mangelberu­fe nach Deutschlan­d lockt. Kriterien sind Qualifikat­ion, Alter, Sprachfähi­gkeit, der Nachweis eines Arbeitspla­tzes und zur Sicherung des Lebensunte­rhalts. Aber ob das kommt, hängt auch davon ab, ob der Asylkonfli­kt nun befriedet ist.

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa CSU Chef Horst Seehofer, Vizekanzle­r Olaf Scholz (rechts): Von Transitzen­tren ist in dem Papier keine Rede mehr.

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