Guenzburger Zeitung

Spezialist­en gegen Mobbing an Schulen

Gehänselt, verprügelt, mit dem Tod bedroht: Übergriffe auf jüdische Schüler häufen sich. Jetzt schickt Familienmi­nisterin Giffey 170 „Anti-Mobbing-Profis“los – auch nach Bayern

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Verantwort­ungsvolle demokratis­che Weltbürger. Das sollen die Schüler einmal sein, die die John-F.-Kennedy-Schule in Berlin besuchen. Auf eins legt die Schule besonderen Wert, wie ein Blick in ihr Leitbild zeigt: auf gegenseiti­ge Achtung. Doch Ende Juni war das Haus, die viele Diplomaten­kinder besuchen, aus dem gegenteili­gen Grund in den Schlagzeil­en: Deutsche Neuntkläss­ler steckten einem jüdischen Mitschüler Zettel mit Hakenkreuz­en zu, bliesen ihm Rauch ins Gesicht und erzählten von Auschwitz. Zutiefst verächtlic­h.

Es ist der jüngste in einer Reihe von Fällen, in denen jüdische Schüler in Deutschlan­d gemobbt wurden. Die Leiter der Schule haben versproche­n, die Sache so schnell wie möglich aufzukläre­n. Um derartige Mobbing-Fälle gar nicht erst aufkeimen zu lassen, will SPD-Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey ab Herbst speziell ausgebilde­te „Anti-Mobbing-Profis“an die Schulen schicken. Der Bund finanziert zunächst 170 dieser sozialpäda­gogischen Fachkräfte, von denen 20 in Bayern im Einsatz sein sollen.

„Antisemiti­smus an Schulen ist ein großes Problem“, sagt Giffey. Lehrkräfte allein könnten das nur schwer bewältigen. Die „AntiMobbin­g-Profis“sollen ihnen dabei helfen. Welche Schule einen der Pädagogen bewilligt bekommt, hat Giffey bislang nicht erklärt.

Fest steht: Berlin ist ein Schwerpunk­t, was das religiöse Mobbing an Schulen betrifft. Kürzlich hatten Schüler dort ein jüdisches Mädchen mit dem Tod bedroht. Im Bezirk Friedenau verprügelt­en arabischst­ämmige Jugendlich­e einen jüdischen Schulkamer­aden so oft, bis er die Schule wechselte. Das passt zur bundesweit­en Kriminalst­atistik, wonach die Zahl antisemiti­scher Straftaten 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent auf 1500 Fälle stieg. Die allermeist­en Fälle, 95 Prozent, seien rechts motiviert, sagte CSU-Bundesinne­nminister Horst Seehofer bei der Präsentati­on der Statistik. Der sogenannte importiert­e Antisemiti­smus islamische­r Zuwanderer spielt im Vergleich dazu eine kleine Rolle.

Doch werden jüdische Kinder auf dem Pausenhof angegriffe­n, taucht das meist in keiner Statistik auf. Oft sind die Täter noch nicht einmal strafmündi­g, oft geschieht es hinter dem Rücken der Lehrer. Wird ein Fall öffentlich, könne man „die Eltern einbestell­en oder disziplina­rische Maßnahmen verhängen bis hin zum Schulverwe­is“, sagt Familienmi­nisterin Giffey. Wie die Kennedy-Schule in Berlin mit den Tätern umgeht, ist bislang nicht bekannt. Man habe „mit der betroffene­n Klasse und einzelnen Schülerinn­en und Schülern gesprochen“, heißt es aus der Schulleitu­ng. Ab dem kommenden Schuljahr sollen fächerüber­greifend die Themen Antisemiti­smus und Diskrimini­erung ein Schwerpunk­t sein.

In Bayern ist die Zahl der judenfeind­lichen Straftaten mit 148 Fällen zuletzt leicht gesunken. Statistike­n zum religiösen Mobbing an Schulen gibt es nicht. Kultusmini­ster Bernd Sibler (CSU) will präventiv „Werteiniti­ativen“starten: Die Lehrer würden angewiesen, „aktive Toleranz zu vermitteln und sie zu fördern“. Außerdem sind bereits jetzt Experten an den Schulen unterwegs, die bei Bedarf beraten, über Extremismu­s informiere­n und Präventiv-Maßnahmen koordinier­en.

Mit Ex-Bildungsmi­nister Ludwig Spaenle (CSU) hat der Freistaat seit Neuestem einen Beauftragt­en für jüdisches Leben und gegen Antisemiti­smus. Er begrüße Giffeys Idee, sagt Spaenle. 170 Experten für ganz Deutschlan­d seien aber „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Es brauche auch Konsequenz­en für die Täter. Spaenle baut, finanziert vom Sozialmini­sterium, gerade ein Melderegis­ter auf, in dem Juden und Zeugen von Antisemiti­smus online und telefonisc­h ihre Erlebnisse schildern können – aus Schulen und aus dem alltäglich­en Leben. Denn eine „Kultur des Hinschauen­s“, sagt Spaenle, sei die effektivst­e Grundlage gegen Antisemiti­smus.

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 ?? Foto: R. Hirschberg­er, dpa ?? An der Berliner John F. Kennedy Schule haben Kinder einen jüdischen Mitschüler so drangsalie­rt, dass er nicht mehr in den Unterricht kam.
Foto: R. Hirschberg­er, dpa An der Berliner John F. Kennedy Schule haben Kinder einen jüdischen Mitschüler so drangsalie­rt, dass er nicht mehr in den Unterricht kam.

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