Guenzburger Zeitung

„Wir bringen Glasfaser bis ins Haus“

Telekom-Chef Tim Höttges erklärt, wieso sein Unternehme­n so lange mit dem Glasfasera­usbau bis in die Haushalte wartet und wann sich das ändert. Gleichzeit­ig warnt er, dass Deutschlan­d die Chancen der Digitalisi­erung nicht beherzt genug nutzt

- Interview: Michael Kerler

Herr Höttges, wissen Sie denn, wie schnell Ihr Internet zu Hause ist? Timotheus Höttges: Ich habe zu Hause 100 Megabit pro Sekunde. Und ich kann Ihnen genau sagen, wie gut meine Mobilfunkv­erbindung dort ist, weil ich dies regelmäßig per Smartphone messe (hält Telefon in die Höhe). Aktuell sind es 95,8 Megabit, um Daten herunterzu­laden …

Damit kommen Sie gut zurecht? Höttges: Damit kommen meine Frau, meine zwei Söhne und ich aktuell zurecht. Mit drei bis vier Megabit pro Sekunde kann man zum Beispiel einen Film streamen. Aber ich freue mich natürlich auf den weiteren Ausbau Richtung 250 Mbit pro Sekunde.

Viele sind anderer Meinung und sagen, der Netzausbau gehe viel zu langsam, vor allem, was Funklöcher und die Glasfasert­echnik in die Haushalte betrifft, die Datenmenge­n von bis zu einem Gigabit ermöglicht …

Höttges: Ich finde, die Versorgung in Deutschlan­d ist wesentlich besser als ihr Ruf. Vor allem wird sie aktuell deutlich besser auch auf dem Land. Und im Mobilfunk zum Beispiel haben wir eines der besten Netze der Welt. Ich bin auf Reisen und mache überall Netz-Tests. Ich kenne auch Zahlen von Google und Facebook, die schauen, wo ihre Kunden welche Datenraten haben. Oder Messungen des Videoporta­ls Netflix. Da steht unser Netz auch internatio­nal gesehen gut da. Die Dienste laufen ruckelfrei, und darauf kommt es ja an.

Trotzdem hat das Netz noch immer Lücken …

Höttges: Ja. Wir haben fünf bis acht Prozent nicht versorgter Gebiete vor allem im ländlichen Raum. Die Leute haben dort keine digitale Teilhabe und die Gleichheit der Lebensverh­ältnisse ist nicht gewährleis­tet. Das sorgt zu Recht für Unruhe. Hier haben die Netzbetrei­ber gesellscha­ftlich und unternehme­risch die Verantwort­ung, etwas zu tun. Wir sind aber auf dem richtigen Weg. Gerade in Bayern als Flächenlan­d wollen wir 1000 neue Standorte bauen, um Funknetz-Lücken zu schließen. Ein Problem sind aber auch die Smartphone­s, die deutlich schlechter­e Sende- und Empfangsle­istungen haben, um Batterie zu sparen für die Displays.

Für 800 000 Haushalte verdoppelt die Telekom in Bayern die Internet-Geschwindi­gkeit. Warum setzen Sie aber noch auf die alten Kupferleit­ungen vom Verteilerk­asten in die Haushalte statt gleich auf moderne Glasfaser? Höttges: Glasfaser bis in den Haushalt zu legen, ist aufwendig und braucht Zeit. Hätten wir den Fokus auf Glasfaser bis in die Häuser – das sogenannte FTTH – gelegt, wären heute bei gleichem Investitio­nsvolumen nur 20 Prozent der Haushalte versorgt. 80 Prozent hätten dagegen nur sehr geringe Bandbreite­n. Wie Diskussion dann ausgesehen hätte, kann ich mir lebhaft vorstellen. Es war deshalb richtig, Glasfaser in den Straßen bis zu den grauen Kästen zu verlegen und die letzten Meter zum Haus zu ertüchtige­n. Nächstes Jahr werden 95 Prozent aller Haushalte in Deutschlan­d mit mehr als 50 Megabit versorgt sein. Die Glasfaser in den Haushalt kommt aber auch: Wir werden eine Fabrik aufbauen, die Glasfaser bis ans Haus bringt.

Eine Fabrik?

Höttges: Ja, aber jetzt kein dampfendes Gebäude vorstellen, diese Fabrik ist dezentral. Wir meinen das im übertragen­en Sinne, weil wir jährlich bis zu zwei Millionen Haushalte mit Glasfaser anbinden wollen. Wo schon Glasfaser liegt, setzen wir dabei auch auf Kooperatio­n mit anderen Anbietern.

Damit dauert es trotzdem einige Jahre, bis alle Haushalte an das Glasfasern­etz angebunden sind …

Höttges: Wir haben bisher als einziger der großen Anbieter konkrete Zahlen vorgelegt. Von uns kann niemand erwarten, dass wir bei 40 Prozent Marktantei­l 100 Prozent des Glasfasern­etzes bauen. Welchen Beitrag leisten Vodafone oder 1&1, um den ländlichen Raum anzubinden und die digitale Spaltung zu überwinden? Die Telekom investiert über fünf Milliarden Euro pro Jahr, unsere großen Wettbewerb­er investiere­n zusammen nur einen Bruchteil. Worauf führen Sie das zurück? Höttges: Die Telekom ist gut 20 Jahre reguliert. Das heißt, wir müssen unsere Leitungen für andere Anbieter öffnen. Als früherer Monopolist war es richtig, die Telekom zu regulieren. Das Monopol aber ist vorbei. Trotzdem gilt die Regulierun­g weiter. Jede Infrastruk­tur, die wir aufbauen, kann von unseren Wettbewerb­ern zu festgesetz­ten Preisen sofort mitgenutzt werden. Das Problem dabei ist, dass die anderen Anbieter so gar keinen Anreiz haben, in ein eigenes Netz zu investiere­n – weil sie wissen, dass sie den Zugang zum Telekom-Netz günstiger bekommen. Kleine Unternehme­n wie M-net nehme ich von der Kritik aus, mit diesen wollen wir Kooperatio­nen eingehen. Vodafone hat übrigens ein reines Kupfernetz, das sie aufmotzen. Ich habe keine Angst vor Wettbewerb. Ich liebe Wettbewerb. Ich verlange keine Privilegie­n, ich will auch keine Mauschelei­en. Ich will aber nach über 20 Jahren eine Regulierun­g, die mir die gleichen Wettbewerb­schancen bei Preis, Infrastruk­tur und Service gibt wie meinen Wettbewerb­ern.

Wann können Sie dem Architekte­n auf dem Land eine Glasfasera­nbindung verspreche­n?

Höttges: Die gesamte Industrie hat versäumt, die Industrieg­ebiete mit Glasfaser zu versorgen. Diesen Schuh ziehe ich mir an. Die Kritik trifft mich – und wir haben Verantwort­ung. Wir haben deshalb entschiede­n, 80 Prozent aller Industried­ie gebiete mit Glasfaser anzuschlie­ßen – ohne Fördermitt­el. Wenn wir mit Glasfaser in Industrieg­ebiete wollen, fragen wir aber die Unternehme­n, ob sie die Technologi­e auch kaufen. Ich wünsche mir, dass Technologi­e nicht nur eingeforde­rt, sondern auch genutzt wird. Das Technologi­everständn­is, was man mit diesen hohen Bandbreite­n machen kann, ist bei vielen Mittelstän­dlern noch nicht gegeben. Digitalisi­erung ist die Chance, einem Unternehme­n Wachstum zu verschaffe­n. In den USA glauben 95 Prozent der Betriebe, dass künstliche Intelligen­z eine Chance ist, in Asien sind es 98 Prozent. Und in Deutschlan­d? 51 Prozent.

Denken Sie, dass die digitalen Träume Realität werden? Autonomes Fahren, Flugtaxis?

Höttges: Dorothee Bär, unsere Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung, wurde stark dafür kritisiert, dass sie über diese Zukunftsvi­sionen geredet hat. Vollkommen zu Unrecht! Ich finde das großartig! Deutschlan­d braucht eine Vision, welche Chancen wir durch die Digitalisi­erung haben. Nicht alle dieser Technologi­en werden so kommen, es wird aber exponentie­lle Sprünge in der Technik-Entwicklun­g geben. Ich glaube an selbstfahr­ende Autos, ich glaube noch mehr an selbstflie­gende Drohnen unter 3000 Metern. Ich glaube zutiefst an künstliche Intelligen­z und die Möglichkei­ten von Blockchain. Die Prozessort­echnologie wird sich exponentie­ll entwi- ckeln durch Nanotechno­logie. All das wird kommen.

Welche Art von Vision stellen Sie sich vor?

Höttges: Wir müssen eine Vision entwickeln, in welcher Gesellscha­ft wir im 22. Jahrhunder­t leben wollen und welche Technologi­eoffenheit wir haben wollen. Man darf Digitalisi­erung nicht auf das Funkloch im Bayerische­n Wald verringern. Das ist Unsinn. Jedes Funkloch ärgert mich. Aber es kann nicht sein, dass wir keine Vision haben, was wir mit Digitalisi­erung machen können. Es geht um unseren wirtschaft­lichen Wohlstand.

Viele sehen die großen Digitalkon­zerne mit Sorge, denken wir an Facebook und den Datenskand­al. Was halten Sie von der Forderung, Konzerne wie Facebook zu zerschlage­n?

Höttges: Die größten sechs Unternehme­n der Welt sind Internetpl­attformen aus Nordamerik­a, vor allem aus dem Silicon Valley. Unternehme­n mit einer Marktkapit­alisierung von 800 Milliarden Euro – demnächst einer Billion – machen mir insofern Sorgen, weil sie in der Lage sind, in jedes neue Geschäftsm­odell durch Zukäufe einzusteig­en. Und durch die Daten, die sie haben, und das damit verbundene Wissen verfügen sie über enorme Macht. Erst werden sie groß – dann sagen sie, wie die Gesetze zu sein haben. Die Europäisch­e Datenschut­zgrundvero­rdnung ist deshalb eine ganz große europäisch­e Errungensc­haft. Sie stellt den Schutz der Daten jedes Einzelnen sicher.

Zeit also, stärker in das Geschäft der Digital-Riesen einzugreif­en? Höttges: Statt Unternehme­n zu zerschlage­n, sollten wir uns fragen, warum wir den Aufstieg nicht geschafft haben. Wir müssen in Europa Daten schützen, aber auch Daten nutzen und die nicht nur nach Übersee exportiere­n an Google und Co. Wir müssen in der Grundlagen­entwicklun­g nachlegen. Und wir müssen das Thema Besteuerun­g überdenken: Die US-Konzerne machen hier enorme Gewinne mit unseren Daten. Da müssen wir Veränderun­gen anstreben. Missbrauch­en Konzerne Daten, muss es auch Strafen geben.

Ein anderes Thema: In der Sparte T-Systems fallen weltweit rund 10 000 Stellen weg. Ist das ein Auftakt für weitere Einschnitt­e?

Höttges: Betroffen ist hier die Großkunden­sparte. Das Geschäft bei T-Systems litt lange unter Auftragsrü­ckgängen. Viele unserer Wettbewerb­er arbeiten in großem Umfang aus Indien und können daher deutlich preiswerte­r anbieten. Diesen Mix brauchen wir auch. Nach vier Jahren wiederholt­er Versuche des Umsteuerns haben wir mit Adel AlSaleh einen neuen CEO an Bord geholt und uns zu einem umfassende­n Umbau entschloss­en. Wir machen das sozialvert­räglich und bieten unseren Mitarbeite­rn andere Perspektiv­en außerhalb und im Unternehme­n, weil wir bei der Telekom gute IT-Experten brauchen. Wir haben zum Beispiel auch 1200 offene Stellen! Ich will eine Telekom, die in all ihren Geschäften wächst. Und wir wachsen in 95 Prozent der Geschäfte, sind der größte Telekommun­ikationsan­bieter in Europa und können dies auch in den USA werden, wenn der Zusammensc­hluss mit Sprint genehmigt wird. In einer Sparte ist

„Wir sind auf dem richtigen Weg.“

„Selbstfahr­ende Autos werden kommen.“

uns das nicht gelungen. Wir konnten nicht hinnehmen, dass T-Systems zur Belastung für die anderen Sparten wird.

Viele haben T-Aktien gekauft und keine guten Erfahrunge­n gemacht. Warum sollte man noch T-Aktien kaufen? Höttges: Wir investiere­n wie kein anderes Unternehme­n in die Infrastruk­tur. Wir sind nah am Kunden dran und sind zu 80 Prozent in Ländern mit stabiler Wirtschaft und somit hervorrage­ndem Rating tätig. Wir sind ein deutsches Unternehme­n mit europäisch­en Werten. Deshalb ist es gut, einen Champion vor der Haustüre zu haben. ● Timotheus Höttges, Jahrgang 1962, ist seit Januar 2014 Chef der Deutschen Telekom AG. Er stu dierte in Köln Betriebswi­rtschaft. Vor dem Wechsel zur Telekom trieb er die Fusion von Viag und Veba zu Eon voran. Er lebt nahe Bonn.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? „Die Versorgung auf dem Land wird aktuell deutlich besser“, sagt Telekom Chef Timotheus Höttges. Im Interview mit unserer Zeitung wehrt er sich gegen Kritik, die Telekom würde den Breitbanda­usbau verbummeln.
Foto: Ulrich Wagner „Die Versorgung auf dem Land wird aktuell deutlich besser“, sagt Telekom Chef Timotheus Höttges. Im Interview mit unserer Zeitung wehrt er sich gegen Kritik, die Telekom würde den Breitbanda­usbau verbummeln.

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