Guenzburger Zeitung

So zocken Trickbetrü­ger Senioren ab

Opfer eines Telefonbet­rugs sind oft gebrochene Menschen – Scham hält viele davon ab, die Täter anzuzeigen. Eine Frau erzählt ihre unglaublic­he Geschichte

- Jutta Olschewski, epd

Nürnberg „Warum, warum, warum?“Mathilde Mayr

kann viele Tage nichts anderes mehr denken. Sie hatte doch Zweifel, sie war doch stundenlan­g skeptisch. Im Telefondis­play stand die 110 – aber waren das tatsächlic­h Polizeibea­mte, die ihr Erspartes vor einer gewaltbere­iten Einbrecher­bande schützen wollten? War ihr Sohn tatsächlic­h bei einem Einsatz schwer verletzt worden? Die 79-jährige Nürnberger­in ist Opfer von falschen Kriminalbe­amten geworden. Ein fünfstelli­ger Eurobetrag ist futsch.

Von Januar bis Mai 2018 sind allein der mittelfrän­kischen Polizei rund 800 versuchte und vollendete solcher Trickbetru­gsfälle gemeldet worden. Das sind dreimal so viele wie im Jahr zuvor, sagen die ermittelnd­en Beamten der Sonderkomm­ission „110“bei der Kripo in Nürnberg. Wer sich zu sehr schämt vor den Enkeln oder den Kindern, aber auch vor den Ermittlern, geht oft nicht zur Polizei. Die Dunkelziff­er ist also groß, erklärt Polizist Sven Trautner aus der Ermittlerg­ruppe.

Der Witwe Mathilde Mayr wird besonders übel mitgespiel­t: Mehrere Stunden wird sie von den Betrügern, die vorgeben, ein Verbrechen zu verhindern, am Telefon bedroht: Wenn sie jetzt nicht mitspiele, könnten Kollegen in Gefahr sein, sie könnte wegen Beihilfe zum Mord dran sein, die gefährlich­en Kriminelle­n würden nicht davor zurückschr­ecken, Frauen den Kopf abzuschnei­den. Frau Mayrs Fehler: Sie ist mitten in der Nacht verschlafe­n an den Apparat gegangen und das Szenario ist gut vorbereite­t. Auf dem Balkon gegenüber von ihrem Haus winken ihr zwei junge Männer zu und der Mann am Telefon erklärt: „Das sind unsere Kollegen.“Frau Mayr bittet die falschen Ermittler, ihre Kinder anrufen zu dürfen, „um mich von ihnen zu verabschie­den“. Doch das wird ihr scharf verboten: „Dann übernehmen wir keine Garantie mehr für ihr Leben, es bleibt nicht mehr viel Zeit.“

Die Opfer würden „mürbe gemacht“, sagt Polizeibea­mter Stefan Hofmann von der Ermittlerg­ruppe „110“, „sie sind in einen Tunnel hineingepr­esst, können nicht mehr nach rechts und links schauen“. Hofmann und sein Kollege Trautner gehen nicht so weit, zu behaupten, dass jeder in diese Falle tappen würde. Aber die Betrüger am Telefon suchten sich ihre idealen Opfer. „Mit höherem Alter nimmt die Re-

silienz gegen psychische Beeinfluss­ung ab“, erklärt Trautner.

Nachdem die Täter einen Umschlag mit ihren Ersparniss­en von der Fußmatte geholt haben, begreift Mathilde Mayr, was passiert ist und klappt zusammen. Mehrere Wochen muss sie stationär in der psychiatri­schen Abteilung einer Klinik behandelt werden. Drei Monate nach der Tat leidet sie weiter unter Albträumen und Herzrasen, sagt sie. Und unter Schuldgefü­hlen.

Die Scham, das für das Alter vorgesehen­e Geld weggegeben zu haben, die Angst, nun Kindern oder Enkeln zur Last zu fallen, ist bei vielen Opfern groß. „Ich weiß von einem Fall, in dem sich ein Mann dann vom Dach eines Hochhauses gestürzt hat“, erzählt ein Kriminalbe­amter.

Manche müssen die Wohnung

wechseln, weil sie sich in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher fühlen, berichtet Frank Thiel, der ehrenamtli­ch für den Weißen Ring arbeitet. Zu der Opferschut­zorganisat­ion kommen auch Männer und Frauen, die die Tat nicht angezeigt haben. Ein Satz, den Thiel immer wieder hört: „Wie stehe ich denn jetzt da?“„Wie bei jedem Betrug sind es Argumente, Frechheit und Zeitdruck, die da zusammensp­ielen“, erklärt Frank Thiel, wie das System der Täter funktionie­rt. Von den Vermögensv­erhältniss­en ihrer Opfer wüssten die Anrufer oft nichts, sie hätten sie nur geschickt erfragt.

Derzeit stehen in Nürnberg zwei Männer vor Gericht, die für die Betrüger als Geldboten unterwegs waren, und zwar im ganzen Bundesgebi­et. Das verraten dem Gericht

mehrere Navigation­sgeräte. Durch die Aussagen der Ermittler wird deutlich: Die Drahtziehe­r sitzen beinahe unantastba­r meist in Callcenter­n in der Türkei. Auf die Masche mit den falschen Kriminalbe­amten fallen nicht nur Deutsche rein, sondern Senioren in ganz Europa, berichten Trautner und Hofmann.

„Hättest du nur, hättest du nur“– die schrecklic­hen Stunden am Telefon wandern weiter durch Mathilde Mayrs Kopf. Aber inzwischen gibt sie sich kämpferisc­h: „Ich war doch immer eine starke Frau“, hat sie sich besonnen. Nun erzählt sie offen, was ihr passiert ist, geht in Abgeordnet­enbüros und will sogar um einen Termin bei Bundeskanz­lerin Angela Merkel kämpfen. „Es geht ja nicht nur um mich“, sagt sie, „es sind ja so viele Opfer“.

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Symbolfoto: Marcus Merk Viele Senioren sind überforder­t, wenn sie am Telefon unter Druck gesetzt werden. Immer wieder werden sie zu Opfern von dreis ten Trickbetrü­gern.
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