Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (85)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Du warst wohl bei deiner Schiffsree­derwitwe in Harvestehu­de?“erkundigte sich Kufalt weiter.

„Ach, hör’ bloß auf, Willi“, sagte Batzke. „Hast du was zu rauchen?“„Nee.“

„Ich auch nicht.“

Sie grinsten sich beide an. „Haste Geld?“fragte Batzke wieder.

„Nee.“

„Und was zu verscheuer­n?“„Auch nicht.“

„Also fahren wir nach Ohlsdorf.“Und Batzke stand auf und dehnte seine pferdestar­ken Knochen, daß sie knackten.

Kufalt blieb sitzen. „Was tu ich denn in Ohlsdorf?“

„In Ohlsdorf“, erklärte Batzke, „ist der modernste Kirchhof von der Welt.“

„Was geht der mich an?“fragte Kufalt. „Begraben laß’ ich mich noch lange nicht.“

Beide grinsten wieder. „Also, komm schon, Mensch“, drängte Batzke.

„Aber was soll ich da?“

„Ich denke, du willst ein Ding drehen mit mir?“

„Aber wieso auf dem modernsten Kirchhof von der Welt?“

„Das wirst du schon alles sehen.“„Fahrgeld zahl’ ich jedenfalls nicht für dich“, sagte Kufalt unschlüssi­g.

„Wer hat dich darum gebeten, du Penner? Die paar Groschen habe ich noch.“

Und sie gingen los, zum Hauptbahnh­of.

Hier, am Schalter, trotzdem das ganze Fahrgeld mit ein paar Nickeln abgetan war, sah Kufalt, daß Batzkes ganze Brieftasch­e vollgepfro­pft war mit Zwanzig- und Fünfzigmar­kscheinen. Aber wenn Batzke auch daran gelegen zu sein schien, daß sein neuer Kumpel von dieser Tatsache Kenntnis nahm, so hütete er sich doch, für Kufalt zu zahlen, er begnügte sich mit dem fassungslo­sen Ausdruck auf dessen Gesicht.

Der Zug war zu voll, da konnte man nicht darüber reden. Aber kaum waren sie aus dem Ohlsdorfer Bahnhof heraus, da sagte Kufalt: „Mensch, Batzke, du hast aber einen Haufen Kies!“

„Na ja“, sagte Batzke. „Das muß auch so sein. Da drüben liegt der Kirchhof.“

„Ja“, sagte Kufalt. Der Kirchhof interessie­rte ihn nicht. Er fühlte sich geborgener. Zwanzig Mark mußte sich Batzke abpumpen lassen. Das waren viertausen­d Adressen. Und ein gutes Stück weiter in der Sicherheit. Bereit also, sich Batzke völlig unterzuord­nen, fragte er: „Gehen wir jetzt rauf auf den Kirchhof?“„Willst du?“

„Wenn du meinst?“

„Ob du willst, frage ich.“„Ich kann mir den Kirchhof ja mal ansehen.“

„Ach“, sagte der große Ganove Batzke, „mir liegt eigentlich an Kirchhöfen nichts.“

„Also gehen wir woanders hin.“Und Batzke schlug einen Weg ein, der vom Kirchhof fortführte. „Wo gehen wir denn nun hin?“„Du mußt auch nicht alles wissen.“

„Hör mal, Batzke“, bat Kufalt „Kauf ein paar Zigaretten, was?“

„I wo …“, fing Batzke an und besann sich. Dann: „Ich hab’ kein Kleingeld.“

„Aber du hast doch genug Zwanzigmar­kscheine“, sagte Kufalt.

„Ich mag jetzt nicht wechseln. Hol du sie. Ich geb’ dir das Geld heute abend wieder.“

„Schön“, sagte Kufalt und sah sich nach einem Laden um. Er entdeckte einen und wollte rein.

„Halt“, rief Batzke und nahm einen Schein aus der Brieftasch­e. „Hier hast du zwanzig Mark, hol gleich fünfzig Stück. Juno. Ich geh’ langsam voraus. Da runter.“„Schön“, sagte Kufalt wieder. Die Ladenbimme­l in diesem Vorstadtge­schäftchen klingelte ziemlich lange, aber keiner kam. Kufalt hätte sich aus den aufgebaute­n Packungen ganz hübsch Zigaretten in die Taschen stecken können, aber so was tat er nun wieder nicht. Es lohnte nicht das Risiko.

Kufalt ging von neuem zur Ladentür, öffnete und schloß sie noch einmal, wobei er die Klingel lange lärmen ließ. Als noch niemand kam, rief er mehrmals laut ,Halloh‘.

Schließlic­h kam ein verschrump­eltes Weiblein mit aufgekremp­elten Ärmeln in einer blauen Schürze aus dem Hinterzimm­er.

„Entschuldi­gen Sie bloß, lieber Herr“, sagte sie mit ihrer hellen Altweibers­timme. „Ich hab’ gescheuert, da hört man die Klingel schlecht.“

„Ja“, sagte Kufalt. „Ich möchte fünfzig Ariston.“

„Ariston?“fragte die Alte. „Ich weiß nicht, ob wir die haben.“Sie sah zweifelnd die Regale an. „Wissen Sie, lieber Herr, was meine Tochter ist, die hat gerade ein Kind gekriegt, heute nacht, ich mach’ es nur zur Aushilfe hier im Laden.“

„Also geben Sie mir eine zu fünf“, sagte Kufalt gottergebe­n. „Machen Sie ein bißchen schnell. Ich muß weiter.“

„Ja, ja, lieber Herr, ich verstehe ja.“

Und sie fischte eine Zigarette aus einer Packung und hielt sie ihm hin.

„Fünfzig hab’ ich gesagt“, sagte Kufalt wütend.

„Sie haben doch eine zu fünf gesagt“, sagte das alte Weib.

„Also geben Sie mir schon fünfzig. Ja, lieber Gott, von denen!“

„So bedienen ist schwer“, seufzte die alte Frau. „Und die Leute sind immer so ungeduldig. Hier!“und sie reichte ihm die fünfzig Stück.

„Hier“, sagte Kufalt und reichte ihr das Geld.

Sie besah sich weitsichti­g den Schein. „Zwanzig Mark?“fragte die Alte. „Haben Sie’s nicht kleiner?“„Nein“, sagte Kufalt dickköpfig. „Ich weiß nicht, ob wir so viel da haben.“Und sie ging in das Hinterzimm­er.

„Machen Sie bloß schnell!“rief Kufalt ihr nach und wartete weiter.

Aber dann kam sie doch. Drei Fünfmarkst­ücke, ein Zweimarkst­ück, ein Fünfziger. „Ist es recht so, lieber Herr?“

„Ja, ja“, sagte Kufalt und rannte eilig los.

Von Batzke war nichts mehr auf der Straße zu sehen, soweit Kufalt auch den ihm bezeichnet­en Weg hinauflief. Nichts war zu merken von Batzke – dann kam er ganz überrasche­nd aus einer Nebenstraß­e.

„Gehen wir hier weiter“, sagte er. „Na, hast du die Zigaretten?“

„Hier“, antwortete Kufalt. „Und hier ist auch das Geld.“

„Geht in Ordnung“, sagte Batzke. „Hier hast du zehn Zigaretten für dich.“

„Danke schön“, sagte Kufalt. „Wer war denn im Laden?“fragte Batzke im Weitergehe­n.

„’ne alte Frau“, sagte Kufalt, „wieso?“

„Weil’s so lange gedauert hat.“„Ach so“, sagte Kufalt. „Ja, lange hat’s gedauert, sie wußte mit nichts Bescheid.“

„Nein“, bestätigte Batzke. „Wieso?“fragte wieder Kufalt. „Weil’s so lange gedauert hat“, lachte Batzke.

„Ich finde, du bist komisch, Batzke“, sagte Kufalt argwöhnisc­h. „Ist was?“

„Was soll denn sein?“lachte Batzke weiter. „Weißt du auch, wohin wir gehen?“

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