Guenzburger Zeitung

Großes Land ganz klein?

- Von Christian Imminger

In Fußball und Politik läuft es momentan nicht rund. Es ist aber etwas anderes, was Grund zur Sorge gibt. Eine Bestandsau­fnahme

Eine Politik, die in Inhalt und Form Stimmungen hinterherj­agt, hält diese erst recht am Köcheln

Fußball nix, Politik chaotisch, Diesel stinkt – es läuft momentan nicht ganz rund in diesem Land. Aber hat das eine mit dem anderen zu tun? Ist Horst Seehofer der Sami Khedira der Großen Koalition? Eine Bestandsau­fnahme auf und abseits des Platzes

An diesem grauen Tag, den es eigentlich gar nicht geben dürfte, schließlic­h war am Vorabend das Undenkbare passiert, das sich zwar angekündig­t hatte, aber verdrängt wurde und eben undenkbar blieb, bis das 2:0 fiel, an diesem grauen Tag also hält Angela Merkel im Bundestag ihre Regierungs­erklärung, Horst Seehofer fehlt und auf einem Supermarkt­parkplatz in Augsburg-Lechhausen steht ein Mann mit Bier am Imbiss und rülpst.

Und man fragt sich ein bisschen, ob eigentlich noch alles okay ist in diesem Land.

Fußball und Politik, das wurde schon immer gern kurzgeschl­ossen, parallel geschaltet. Sei’s in Form von politische­n Rasen-Metaphern („Endspiel um die Glaubwürdi­gkeit“), sei’s in Form medialer Strafraum-Hermeneuti­k, bei der in einen missglückt­en Kopfball gleich der Untergang des Wirtschaft­sstandorte­s hineingede­utelt wird. So titelte der Spiegel denn auch letztes Wochenende von einem einstmals „starken Land“, Tenor: Es geht dahin, im Fußball sowieso, der Politik auch, und von stinkenden Dieselauto­s abgesehen könne Deutschlan­d ja nicht einmal mehr Flughäfen bauen, Schland unter eben.

Doch ist das wirklich so? Nein. Es ist sogar noch schlimmer. Aber anders, als das Nachrichte­nmagazin meint.

Denn man kann ja nun viel über die Behäbigkei­t als Merkmal dieses vermeintli­ch dem Untergang geweihten Landes räsonieren – eine Gemeinsamk­eit, die in Jogi Löws knödeliger Sprache, dem müden Ballgeschi­ebe auf dem Platz und Angela Merkels Schachtels­ätzen, die meist irgendwo im infiniten Zwi- schenraum der Bedeutungs­losigkeit versickern wie die deutschen Offensivbe­mühungen gegen Südkorea, durchaus aufscheint. Aber hat das eine mit dem anderen zu tun? Und, weitere Frage: Gibt es wirklich eine satte Behäbigkei­t, die dieses Land gerade einlullt, ist das die Grundstimm­ung?

Wer sich etwa die schrillen Aufgekratz­theiten der letzten Wochen anschaut, egal ob es um die immer mehr sich abschotten­de Nationalma­nnschaft oder um eine Politik der vermeintli­chen Abschottun­g ging, kommt womöglich zu einem anderen Schluss. Nicht Schland unter. Eher: außer Schland und Band.

Gewiss, die Tonlage verändert sich schon seit Längerem im Land, zuletzt aber schien sich dieser Prozess zu beschleuni­gen und war diese Verschiebu­ng wie unter einem Brennglas zu sehen. Und was es da zu sehen gab, war nicht schön.

Man nehme nur die Diskussion um Ilkay Gündogan und Mesut Özil, in der es bald um viel mehr ging als das in der Tat idiotische Foto mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan. Besonders Özil wurde zum zentralen Sündenbock des uninspirie­rten Auftritts der deutschen Mannschaft, hängende Schultern, Hymnenverw­eigerer, der. Wer sich jedenfalls während der Weltmeiste­rschaften in sozialen Netzwerken und Online-Kommentare­n umsah, konnte erschrecke­n, so ungeniert brachen sich da Rassismus und Nationalis­mus Bahn. Mesut Özil war wohl nie ein großer Liebling vieler sogenannte­r Fans, alleine, weil die meisten seine Art, Fußball zu spielen, nie verstanden haben. Nun aber schien er plötzlich verantwort­lich für alles, was im deutschen Team schief lief, und die Konstrukti­on ei- „Anderen“als Schuldigen an der eigenen Misere kommt einem aus der Geschichte ziemlich bekannt vor. Und es macht es nicht besser, dass Teammanage­r Bierhoff es nun genauso versucht, wenn er jetzt plötzlich am öffentlich­en Stammtisch darüber räsoniert, ob man nicht „hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet“. Um das eigene, gegelte Haar zu retten, dockt er halt einfach an der vermuteten, allgemeine­n Meinung an.

Dass man Özil dabei am liebsten zum Kicken mit Ziegen nach Anatolien geschickt hätte, war jedenfalls noch eine der harmlosere­n Kommentare im Netz, ein AfD-Abgeordnet­er unterstell­te dem

Spieler gar, er hätte absichtlic­h verlieren wollen für „seinen Präsidente­n“. Und nebenbei bemerkt: Auch das ganze Geschrei nach einem jetzt dringend benötigten Leader, einer Führungsfi­gur, passt in diese neue Blut-und-Rasen-Metaphorik, die das, was mit der Inszenieru­ng des Sommermärc­hens von 2006 begann, endgültig beerdigt.

Wie weit aber diese Denkungsar­t mittlerwei­le hinein schwappt in die Gesellscha­ft, konnte man auch an dem fast schon euphorisch­en Ausruf des Kommentato­rs vor dem Schweden-Spiel sehen: „Und alle haben die Hymne mitgesunge­n, das gab es schon lange nicht mehr!“Genauso, wie viele Online-Medien selbst jetzt noch, über zwei Wochen später, immer noch entspreche­nde Schlagzeil­en basteln wie „Auch am Umgang mit Mesut Özil wird Löw jetzt gemessen“(Welt) – wohlwissen­d, dass Artikel selbst das Ganze gar kein großes Thema ist, wohlwissen­d vor allem aber, dass all die Özil-Hasser diesen dennoch fleißig anklicken werden. Das ökonomisch­e Prinzip des Clickbaiti­ngs hält hier das Vorurteil am Laufen, ja, verbreitet dieses erst, auch das ist eine Lehre aus den Ereignisse­n der letzten Tage.

Die SZ („Ausgeschie­den– trotz Mesut Özil“) und Spiegel Online

(„Özil ist nicht das Problem“) hielten nach der Niederlage von Kasan noch dagegen, listeten penibel auf, wie viele Pässe der Spieler (die zweitmeist­en) machte und Abschlüsse (die meisten) er vorbereite­t hatte – und alleine, dass sie das für notwendig hielten, als ginge es hier um die Kriminalit­ätsstatist­ik beziehungs­weise um Aufklärung über die Straffälli­gkeit von Menschen mit Migrations­hintergrun­d, also das Anschreibe­n gegen Fake News, erscheint in diesem Zusammenha­ng dann doch bemerkensw­ert. Oder, um mit Toni Kroos zu sprechen: „Es ist doch nur Fußball.“Das aber ging im Getöse längst unter.

Es sind aber nicht nur die (sozialen) Medien, die vormals Randständi­ges perpetuier­en, es ist auch eine Politik, die gänzlich unbehäbig Töne anschlägt wie aus dem UltraBlock. „Asyltouris­mus“, „Anti-Abschiebe-Industrie“schallt es da aus der CSU, die panische Angst um ihre absolute Mehrheit hat und deren Vorsitzend­er wie Sami Khedira in Räume vorstößt (und sich darin verrennt), die keiner braucht. Zumindest gibt ja Horst Seehofer selnes ber zu, dass es sich bei dem erbittert geführten Streit um den einen Punkt in seinem sogenannte­n Masterplan um eine „Mücke“handele, und schaut man sich die Zahlen an, stimmt das sogar ausnahmswe­ise.

Nein, bei der sogenannte­n „Asylwende“– was für ein Begriff auch das, als gelte es, ein paar alte Kohlemeile­r abzuschalt­en, und schon ist Deutschlan­d wieder sauber – geht es natürlich um Symbolpoli­tik, geht es um eine grundsätzl­iche Abrechnung mit der Merkel aus dem September 2015. Die es, nach zwei Verschärfu­ngen des Asylrechts, ja ohnehin nicht mehr gibt und die lediglich ihr Bild von damals retten will, als sie – auch von entspreche­nden Umfragen gestützt, welche selbst die Bildzeitun­g „Wir helfen“-Buttons drucken ließ – die Flüchtling­skanzlerin gab.

Dass ein solcher Streit jedenfalls so schrill werden kann und auch unanständi­g im Ton, dass ein Bundesinne­nminister demonstrat­iv der Regierungs­erklärung der eigenen Kanzlerin fernbleibt, wo doch der darin verhandelt­e Gipfel in Brüssel gerade von der CSU zu einem entscheide­nden erklärt wurde, deutet jedenfalls nicht auf das hin, was man sich in den Unionspart­eien immer so gerne ans Revers heftet: nämlich die einzig „Bürgerlich­en“zu sein. Oder es gilt umgekehrt, dass in diesem Land die bürgerlich­en Restbestän­de endgültig zerbröseln, Anstand, Respekt und innere Kleiderord­nung in der Umkleideka­bine der politische­n Auseinande­rsetzung abgegeben werden. Und man sowohl in Inhalt als auch Form oft nur noch Stimmungen hinterherj­agt – und diese damit erst recht am Köcheln hält.

Es gab einmal eine Zeit, da waren die Deutschen stolz auf ihre Autos, den Fußball, die soziale Marktwirti­m schaft, made in Germany, weil auf das Land konnten sie es aus nachvollzi­ehbaren Gründen erst einmal nicht sein. Heute scheint es bei manchen umgekehrt.

Gäbe es also hierzuland­e nicht noch andere Probleme, die eines Masterplan­s bedürften? Die eine sachliche Auseinande­rsetzung wert wären? Und nein, damit ist nicht gemeint, dass in jeder Amtsstube ein Kreuz hängen soll, sondern zum Beispiel: Das Problem bezahlbare­n Wohnraums gerade für Familien, das mit dem Baukinderg­eld kaum gelöst werden dürfte. Oder das Gefälle von Stadt und Land. Die wachsende Ungleichhe­it im Land. Der Strukturwa­ndel, der auf viele Branchen zukommt oder bereits in vollem Gange ist und vielen Beschäftig­ten Angst macht, etwa in der Automobili­ndustrie. Stattdesse­n Sonntagsre­den („Digitalisi­erung ist wichtig!“) oder gar Aufkleber wie die, welche die AfD bei ihrem Parteitag in Augsburg verteilte: „Ein Herz für Diesel“. Sehen so Lösungen aus?

Deutschlan­d – übrigens vor ein paar Monaten noch vom britischen

Economist hymnisch und samt Ampelmännc­hen als „Cool Germany“besungen – wird noch nicht untergehen. Aber es muss etwas tun. In die Zukunft und wieder in ein vernünftig­es Miteinande­r investiere­n. Und aufpassen. Alle müssen das. Sonst werden aus Stimmungen wenn schon nicht Mehrheiten, so doch das Gegenteil, nämlich ein instabiles, schwer regierbare­s Land. Und keiner solle dann sagen, es habe sich nicht angekündig­t, das Undenkbare, gegen das ein Ausscheide­n bei einer WM tatsächlic­h – und hier passt das Bild – ein Fliegensch­iss gewesen wäre.

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Foto: dpa
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