Wenn das Erbe die Trauer verhindert
Weil sie wegen eines fehlenden Testaments mit bürokratischen Hürden zu kämpfen hatte, konnte sich eine Frau aus dem Landkreis mit dem Tod ihrer Schwester kaum auseinandersetzen
Landkreis Auf einmal ging alles ganz schnell. Nachdem ihre Schwester zunächst den Krebs besiegt zu haben schien, schöpfte Katharina Schrell* wieder Hoffnung. Als die Ärzte jedoch Metastasen in der Lunge entdeckten und die Chemo neue Qualen brachte, die sie tapfer ertrug, zeichnete sich doch ab, dass Katharina Schrell ihre Schwester verlieren könnte. Als sie nach einem schweren Hustenanfall zusammenbrach, musste sie wiederbelebt werden und kam ins Krankenhaus. Schrell beeilte sich, in die Stadt in Baden-Württemberg zu kommen, wo die Schwester mit ihrem Lebensgefährten lebte. Als sie am nächsten Morgen dort ankam, war die Schwester bereits tot. Per Patientenverfügung hatte sie bestimmt, dass die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt werden sollten, wenn es aus medizinischer Sicht keinen Sinn mehr ergeben würde.
Aufgebahrt in einem kleinen Zimmer, das, nicht wie im Film würdevoll mit einer brennenden Kerze ausgestattet war, sondern eher einer Abstellkammer glich, lag die Schwester auf einem Bett. Die anwesenden Ärzte waren durchaus freundlich, doch Schrell spürte, dass sie wenig Zeit für den Abschied habe und das Zimmer wieder für andere Zwecke benötigt werde.
Als es darum ging, den Nachlass der verstorbenen Schwester zu re- wurde Schrell bewusst, dass ein Menschenleben für den Staat nur ein Verwaltungsakt ist. So wie Neugeborenen schon kurz nach der Geburt eine Steuernummer zugewiesen wird, muss die Akte am Ende des Lebens auch ordnungsgemäß abgewickelt werden. Für Schrell begann damit gewissermaßen ein langer Marsch durch die Institutionen.
Glücklicherweise hatte die Schwester in ihrer Patientenverfügung neben der Kontovollmacht für den Lebensgefährten auch noch festgehalten, dass sie nicht auf einem normalen Friedhof begraben werden will, sondern verbrannt und die Urne in einem Friedwald beigesetzt werden soll. Da die Schwester jedoch kein Testament hinterlassen hatte, infomierte sich Schrell gemeinsam mit dem Lebensgefährten der Schwester am Amtsgericht, welche Dokumente sie für den Erbschein vorlegen müsse. Den brauchte sie, um die Lebensversicherung der Schwester abwickeln zu können.
Am Amtsgericht wurde dem Lebensgefährten mit schroffen Worten erklärt, dass er in dieser Angelegenheit ohne Testament sowieso „raus“sei. Wenn Kinder sterben, stehen in der Erbfolge an erster Stelle die Eltern, dann kommen die Geschwister. Die 83-jährige Mutter hatte sich Anfang der 1970er Jahre von ihrem Mann getrennt und war später nach Österreich gezogen. Selbst gesundheitlich und auch seelisch vom Tod der einen Tochter angegriffen, bat die Mutter ihre andere Tochter, sich um das Erbe zu kümmern. Vom Vater hatte Schrell seit 46 Jahren nichts mehr gehört. Jetzt musste sie den ihr Unbekannten suchen, schließlich müsste er, sofern er noch lebt, am Erbe beteiligt werden. In seiner Geburtsstadt wurde mit Verweis auf den Datenschutz jede Auskunft über den Verbleib des leiblichen Vaters verwehrt. Über Umwege und wohlwollende Beamte erfuhr sie dann, dass der Vater bereits 2007 verstorben war. Persönlich musste sie die Sterbeurkunde beantragen.
Als sie die Unterlagen an das Amtsgericht weiterleitete, hieß es, sie solle auch noch klären, ob der Vater weitere Kinder habe, die dann ebenfalls am Erbe beteiligt werden müssten. Erneut musste Schrell, die im südlichen Landkreis lebt und arbeitet, Telefonate führen, persönlich vorstellig werden und Originaldokumente oder beglaubigte Kopien vorlegen und Gebühren bezahlen. Es stellte sich heraus, dass der Vater keine weiteren Kinder hatte. Als auch dieser Beleg vorlag, wurde vonseiten des Amtsgerichts nachgefragt, ob nicht die verstorbene Schwester noch Kinder habe, von denen niemand etwas wisse. Glücklicherweise half der ehemalige Argeln, beitgeber der Schwester. Über verschlungene Wege erhielt sie ein Stammdatenblatt, das belegte, dass die Schwester keine Kinder hatte. Über ein halbes Jahr hinweg beantragte Schrell immer wieder neue Dokumente, entrichtete Gebühren, um Stempel abzuholen. Um die Abwicklung des Erbes auch gegenüber dem Finanzamt ordentlich über die Bühne zu bringen, musste sie einen Steuerberater hinzuziehen. Schließlich musste Schrell auch noch die Einkommenssteuererklärung für die Schwester machen. Im Oktober, zwei Monate nach dem Tod der Schwester, lag dann noch die Rechnung des Krankenhauses im Briefkasten. „Jedes Mal, wenn die Post kam, dachte ich mir ’was wollen die jetzt schon wieder von mir’“, erinnert sich Schrell. Erst ein gutes halbes Jahr nach dem Tod habe sie richtig Zeit zum Trauern gefunden. „Jetzt erst merke ich im Alltag, wo mir meine Schwester überall fehlt.“
Der Weg durch den Bürokratendschungel wäre ihr erspart geblieben, wenn die Schwester rechtzeitig ein Testament verfasst hätte, um ihr Erbe zu regeln. Schrell hofft, dass ihre Geschichte anderen eine Lehre ist. In ihrem Bekanntenkreis gebe es viele, die sagen, ’das wird dann schon irgendwie laufen’. „Das läuft aber nicht einfach so, es gibt nur Probleme, wenn es keine klare Regelung gibt“, sagt sie. Dabei sei es so einfach, ein Testament zu verfassen.
*Name von der Redaktion geändert
Ein Menschenleben ist für den Staat nur ein Verwaltungsakt.