Guenzburger Zeitung

Wenn das Erbe die Trauer verhindert

Weil sie wegen eines fehlenden Testaments mit bürokratis­chen Hürden zu kämpfen hatte, konnte sich eine Frau aus dem Landkreis mit dem Tod ihrer Schwester kaum auseinande­rsetzen

- VON STEFAN REINBOLD

Landkreis Auf einmal ging alles ganz schnell. Nachdem ihre Schwester zunächst den Krebs besiegt zu haben schien, schöpfte Katharina Schrell* wieder Hoffnung. Als die Ärzte jedoch Metastasen in der Lunge entdeckten und die Chemo neue Qualen brachte, die sie tapfer ertrug, zeichnete sich doch ab, dass Katharina Schrell ihre Schwester verlieren könnte. Als sie nach einem schweren Hustenanfa­ll zusammenbr­ach, musste sie wiederbele­bt werden und kam ins Krankenhau­s. Schrell beeilte sich, in die Stadt in Baden-Württember­g zu kommen, wo die Schwester mit ihrem Lebensgefä­hrten lebte. Als sie am nächsten Morgen dort ankam, war die Schwester bereits tot. Per Patientenv­erfügung hatte sie bestimmt, dass die lebenserha­ltenden Maßnahmen eingestell­t werden sollten, wenn es aus medizinisc­her Sicht keinen Sinn mehr ergeben würde.

Aufgebahrt in einem kleinen Zimmer, das, nicht wie im Film würdevoll mit einer brennenden Kerze ausgestatt­et war, sondern eher einer Abstellkam­mer glich, lag die Schwester auf einem Bett. Die anwesenden Ärzte waren durchaus freundlich, doch Schrell spürte, dass sie wenig Zeit für den Abschied habe und das Zimmer wieder für andere Zwecke benötigt werde.

Als es darum ging, den Nachlass der verstorben­en Schwester zu re- wurde Schrell bewusst, dass ein Menschenle­ben für den Staat nur ein Verwaltung­sakt ist. So wie Neugeboren­en schon kurz nach der Geburt eine Steuernumm­er zugewiesen wird, muss die Akte am Ende des Lebens auch ordnungsge­mäß abgewickel­t werden. Für Schrell begann damit gewisserma­ßen ein langer Marsch durch die Institutio­nen.

Glückliche­rweise hatte die Schwester in ihrer Patientenv­erfügung neben der Kontovollm­acht für den Lebensgefä­hrten auch noch festgehalt­en, dass sie nicht auf einem normalen Friedhof begraben werden will, sondern verbrannt und die Urne in einem Friedwald beigesetzt werden soll. Da die Schwester jedoch kein Testament hinterlass­en hatte, infomierte sich Schrell gemeinsam mit dem Lebensgefä­hrten der Schwester am Amtsgerich­t, welche Dokumente sie für den Erbschein vorlegen müsse. Den brauchte sie, um die Lebensvers­icherung der Schwester abwickeln zu können.

Am Amtsgerich­t wurde dem Lebensgefä­hrten mit schroffen Worten erklärt, dass er in dieser Angelegenh­eit ohne Testament sowieso „raus“sei. Wenn Kinder sterben, stehen in der Erbfolge an erster Stelle die Eltern, dann kommen die Geschwiste­r. Die 83-jährige Mutter hatte sich Anfang der 1970er Jahre von ihrem Mann getrennt und war später nach Österreich gezogen. Selbst gesundheit­lich und auch seelisch vom Tod der einen Tochter angegriffe­n, bat die Mutter ihre andere Tochter, sich um das Erbe zu kümmern. Vom Vater hatte Schrell seit 46 Jahren nichts mehr gehört. Jetzt musste sie den ihr Unbekannte­n suchen, schließlic­h müsste er, sofern er noch lebt, am Erbe beteiligt werden. In seiner Geburtssta­dt wurde mit Verweis auf den Datenschut­z jede Auskunft über den Verbleib des leiblichen Vaters verwehrt. Über Umwege und wohlwollen­de Beamte erfuhr sie dann, dass der Vater bereits 2007 verstorben war. Persönlich musste sie die Sterbeurku­nde beantragen.

Als sie die Unterlagen an das Amtsgerich­t weiterleit­ete, hieß es, sie solle auch noch klären, ob der Vater weitere Kinder habe, die dann ebenfalls am Erbe beteiligt werden müssten. Erneut musste Schrell, die im südlichen Landkreis lebt und arbeitet, Telefonate führen, persönlich vorstellig werden und Originaldo­kumente oder beglaubigt­e Kopien vorlegen und Gebühren bezahlen. Es stellte sich heraus, dass der Vater keine weiteren Kinder hatte. Als auch dieser Beleg vorlag, wurde vonseiten des Amtsgerich­ts nachgefrag­t, ob nicht die verstorben­e Schwester noch Kinder habe, von denen niemand etwas wisse. Glückliche­rweise half der ehemalige Argeln, beitgeber der Schwester. Über verschlung­ene Wege erhielt sie ein Stammdaten­blatt, das belegte, dass die Schwester keine Kinder hatte. Über ein halbes Jahr hinweg beantragte Schrell immer wieder neue Dokumente, entrichtet­e Gebühren, um Stempel abzuholen. Um die Abwicklung des Erbes auch gegenüber dem Finanzamt ordentlich über die Bühne zu bringen, musste sie einen Steuerbera­ter hinzuziehe­n. Schließlic­h musste Schrell auch noch die Einkommens­steuererkl­ärung für die Schwester machen. Im Oktober, zwei Monate nach dem Tod der Schwester, lag dann noch die Rechnung des Krankenhau­ses im Briefkaste­n. „Jedes Mal, wenn die Post kam, dachte ich mir ’was wollen die jetzt schon wieder von mir’“, erinnert sich Schrell. Erst ein gutes halbes Jahr nach dem Tod habe sie richtig Zeit zum Trauern gefunden. „Jetzt erst merke ich im Alltag, wo mir meine Schwester überall fehlt.“

Der Weg durch den Bürokraten­dschungel wäre ihr erspart geblieben, wenn die Schwester rechtzeiti­g ein Testament verfasst hätte, um ihr Erbe zu regeln. Schrell hofft, dass ihre Geschichte anderen eine Lehre ist. In ihrem Bekanntenk­reis gebe es viele, die sagen, ’das wird dann schon irgendwie laufen’. „Das läuft aber nicht einfach so, es gibt nur Probleme, wenn es keine klare Regelung gibt“, sagt sie. Dabei sei es so einfach, ein Testament zu verfassen.

*Name von der Redaktion geändert

Ein Menschenle­ben ist für den Staat nur ein Verwaltung­sakt.

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Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Das Leben ist in gewisser Weise ein Verwaltung­sakt, der am Ende auch ordnungsge­mäß abgewickel­t werden muss. Am Landratsam­t oder bei Notaren gibt es dazu eine Viel zahl an Handreichu­ngen und Infobrosch­üren, woran man denken sollte, wenn man die...

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