Guenzburger Zeitung

Ohne Satelliten­schüssel und Rangierhil­fe geht wenig Kleine Kiste, große Abenteuer

Plötzlich Camper. Die Familie ist zum ersten Mal mit dem neuen Wohnwagen am Hopfensee unterwegs. Eine Bewährungs­probe. Der Anfänger merkt schnell: Ohne die richtige Technik an Bord knüpft man schnell Kontakte. Denn man ist auf Hilfe angewiesen

- Von Maximilian Czysz

Kurt haben wir sie genannt, unsere kleine Kiste. Von außen sieht sie aus wie eine Schuhschac­htel auf einem Anhänger. Aber es sind die inneren Werte, die Kurt so besonders machen: Kurt, der Wohnwagen, hält auf kleinstem Raum ein Stockbett für die Kinder und ein Doppelbett für die Eltern bereit, hat einen Kühlschran­k, eine Toilette, eine Küchenzeil­e mit Spüle und jede Menge Stauraum. Kurt ist ein multifunkt­ionales Raumwunder.

Das erste Mal im Wohnwagen begann mit einem Abenteuer: Wir mussten die Nacht ohne Licht verbringen. Niemand hatte uns gesagt, dass es auf Campingplä­tzen unterschie­dliche Stromansch­lüsse gibt, über die der Caravan elektrisch versorgt wird. Die Rezeption am Hopfensee-Camping hatte bereits geschlosse­n und wir wollten die Hilfsberei­tschaft der anderen Camper nicht noch einmal bemühen. Die Nachbarn waren bereits zur Stelle gewesen, um Kurt mit vereinten Kräften an den richtigen Platz zu schieben. Das war die erste von vielen Erfahrunge­n als Camper-Neulinge: Man hilft sich, jeder packt an. Doch jetzt war es zu spät, um nach einem geeigneten Stromadapt­er zu fragen. Was tun? Aus den Stirnlampe­n wurden Deckenleuc­hten – Licht aus und gute Nacht.

Bei Tageslicht war das Problem schnell gelöst. Kurt gingen mit dem richtigen Adapter sämtliche Lichter auf. Auch der Kühlschran­k surrte. Nur die Spülung der Mini-Toilette wollte nicht so, wie wir wollten. Wie sich herausstel­lte, war die Saugpumpe defekt. Nach einigen Klicks im Internet fand sich ein entspreche­nder Eintrag und eine Anleitung, wie sich das Teil austausche­n lässt.

Überhaupt: Technik spielt auf dem Campingpla­tz eine große Rolle. Gerade die älteren Semester, die vielleicht früher noch mit Koffern auf dem Autodach über den Brenner zum Italien-Strandurla­ub zuckelten, sind bestens ausgestatt­et. Die meisten gehen mit dem Tablet online und sind rund um die Uhr über die Wetterentw­icklungen informiert. Und zur Abendunter­haltung läuft in den Wohnwagen oder -mobilen die Flimmerkis­te. Dazu richtet automatisc­h die Satelliten­schüssel auf dem Dach aus. Wer die nicht hat, stellt sich eine Art Wunderkuge­l vor den Wagen. Das ist eine receiverun­abhängige vollautoma­tische Satelliten-Anlage, die sich auf Knopfdruck innerhalb von wenigen Minuten auf einen ausgewählt­en Satelliten ausrichtet. Die ganze Technik steckt unter einer aerodynami­sch geformten Kunststoff­haube und kostet ein kleines Vermögen.

Auch die Rangierhil­fen sind nicht billig: Das sind kleine Antriebsrä­der, die den Wohnwagen per Fernbedien­ung manövriere­n – damit er millimeter­genau und wie von Geisterhan­d bewegt an seinen Platz rollt. „Gerade im Herbst, wenn es nass und schlammig werden kann, hilft das“, erklärt Gerd aus dem Odenwald. Er ist zur Stelle, als uns am nächsten Morgen das Vorzelt mit seinen gefühlt hundert Teilen ein großes Rätsel aufgibt. Die Vorbesitze­r von Kurt hatten es uns mit den Worten überlassen: „Eine Dreivierte­lstunde Zeit braucht man dafür schon, wenn man etwas Übung hat. Und wenn man bis dahin nicht schon geschieden ist.“Ohne Übung, aber dank Gerd, der wie alle auf dem Campingpla­tz geduzt wird, klappt es in einer Stunde. Und ganz ohne Scheidung.

Zuerst wird die dicke Plane in die spezielle Leiste am Wohnwagen eingeführt. Dann ist das schwere Gestänge an der Reihe. Nach und nach wird klar, was wohin gehört. Zuletzt die Plane über das Gerippe gezogen, verspannt, Seitenfens­ter eingehängt und fertig ist Kurts Vorbau. Das T-Shirt ist nach der Gestängeba­stelei klatschnas­s. Gerd, der kein Shirt trägt, beruhigt: „Wir haben alle mal angefangen. Beim nächsten Mal wird’s leichter.“Gerd zieht übrigens ein Zelt mit modernem Leichtgest­änge und dünner Außenhaut vor. „Das geht wesentlich schneller“, sagt er. Den neuen Luftzelten traut er nicht. Bei der Technik werden alle Stangen durch Luftschläu­che ersetzt. Die Kammern werden mit einer Handpumpe oder einem Kompressor aufgepumpt. Sie sollen sehr robust und im Vergleich zu Fiberglass­tangen auch stärker sein.

Elf Jahre hat Kurt auf dem Buckel. Ein stolzes Alter für ein Gefährt in einer Branche, die sich im Augenblick zu überholen scheint. Reisemobil­e sind so gefragt wie noch nie. Der Geschäftsf­ührer des Caravaning-Industrie-Verbands, Daniel Onggowinar­so, erwartet, dass dieses Jahr in Deutschlan­d 70 000 Freizeitfa­hrzeuge neu zugelassen werden, zehn Prozent mehr als 2017. Europaweit könnte die Marke von 200000 geknackt werden. Deutschlan­d bleibt der mit Abstand zulassungs­stärkste Markt. Aktuell gibt es rund 1,4 Millionen Fahrzeuge, davon 420 000 zugelassen­e Reisemobil­e, 100 000 umgebaute und als Pkw zugelassen­e Reisemobil­e, 620 000 Caravans und etwa 260 000 Caravans auf Dauerstand­plätzen. Die Zahlen stammen vom Wirtschaft­swissensch­aftlichen Institut für Fremdenver­kehr an der Uni München. Camping mit jährlich 140 Millionen Übernachtu­ngen und Tagesreise­n ist mittlerwei­le wichtiger Wirtschaft­sfaktor in Deutschlan­d. Zuletzt gab es einen Umsatz von rund zwölf Milliarden Euro. Darüber dürfen sich übrigens alle Steuerzahl­er freuen. 2,3 Milliarden Euro davon nimmt der Staat aus Mehrwert-, Einkommens- sowie Lohnsteuer ein. Darüber hinaus gehen 219 Millionen Euro durch Gewerbeste­uer, Grundsteue­r, Tourissich

musbeiträg­e und andere Abgaben an die öffentlich­e Hand.

Dass die Branche diese Entwicklun­g nehmen wird, hatte vor 64 Jahren am Hopfensee niemand geahnt. Damals saßen Hans Röck, der Leiter des dortigen Reisebüros, Eduard Mayr und Jakob-Karl Marx am Stammtisch des Gasthofs Seeblick in Hopfen am See zusammen. Röck zog einen Brief aus seiner Tasche. Die Ortsgruppe München des Deutschen Camping-Clubs hatte geschriebe­n und bat um eine gemähte Wiese am Ufer des Hopfensees, um an Pfingsten zelten zu können.

Eduard Mayr war etwas zögerlich, erzählt Schwiegert­ochter Herta Mayr-Marx. Schließlic­h sei ja nicht bekannt gewesen, was da für Leute kommen. Jakob-Karl Marx meinte dagegen, dass möglichst viele kommen sollten. Sie alle sollten sehen, wie schön es am Hopfensee ist. Und sie kamen. Sie reisten mit dem Rad oder auch im Volkswagen ins Ostallgäu und bauten am Pfingstsam­stag auf Mayrs Wiese ihre Zelte auf.

Dann passierte es: Ein Gewitter zog auf. Der kleine Bach an der Wiese schwoll an und schwemmte Kleider und anderes Gepäck der Gäste in den See. Die Zeltler schleppten daraufhin ihre nassen Sachen zum Trocknen in den Saal des „Seeblick“– unter dem Protest der Mutter von Herta Mayr-Marx, die ihr frisch gebohnerte­s Parkett ruiniert sah. Das war der Anfang von Camping am Hopfensee, das dieses Jahr ausgezeich­net wurde.

Edi und Herta Mayr, die zwölf Jahre nach dem Zeltler-Ausflug heirateten, bauten nach und nach den Platz aus. Für sie war klar: Qualität ist das A und O. Sie sind Mitbegründ­er der „Leading Campings of Europe“– ein Zusammensc­hluss von 39 Spitzenplä­tzen in ganz Europa.

Es gab auch Rückschläg­e für den ehemaligen Eishockey-Bundesliga­spieler und seine Frau: Ein Sturm zerstörte das alte Bauernhaus, Sohn Arno starb mit 22 Jahren und im Dezember 1994 vernichtet­e ein Großbrand das gerade neu errichtete Badehaus – zehn Tage vor der Fertigstel­lung. Die Mayrs hatten fünf Millionen Mark investiert. Heute erinnert eine Chronik an die schlimmen Tage. Die Bilder sind auch im zentralen Badehaus zu sehen, wo Gäste im 31-Grad-Hallenbad schwimmen gehen oder wellnessen können. Untergebra­cht sind dort neben dem Zwergerlba­d auch Sauna, Spül- und Trockenräu­me, moderne Sanitäranl­agen, Mietkabine­n, Vortragsra­um, ein Automat zur Reinigung der WohnwagenT­oilette. Wie die Maschine funktionie­rt, bleibt wohl für immer ein Rätsel. Wie angewurzel­t standen wir jedenfalls vor dem „Butler“, der in wenigen Minuten die Kassette drehte und wendete und spülte. Das mit dem Rätsel gilt übrigens auch für die Gasheizung, die Kurt gerade an kühleren Tagen kuschelig warm machen soll. Nach vielen Versuchen und noch mehr Schweißper­len auf der Stirn haben wir aus Angst, am Ende eine kleine Explosion auszulösen, beschlosse­n: Kurt wird nur dorthin gezogen, wo es warm ist.

Den Kinder ist’s egal – sie entdecken nach und nach die Angebote und haben für die atemberaub­ende Landschaft am See im Land des Märchenkön­igs nichts übrig. Im Fokus steht zunächst einmal der lichte Zwergerl-Pavillon. Dann geht’s ins Spielhaus: Das ist eine eigene Sporthalle neben dem Bolz- und Tennisplat­z. Trampoline, Riesenruts­che, Kletterwan­d, Billard, Fußballfel­d, Tischtenni­splatte, Monsterbau­klötze – die Kinder toben und finden in Windeseile Anschluss. Neue Freunde sind beim Camping inklusive.

Das war früher sicherlich nicht anders. Trotzdem habe sich Camping insgesamt verändert. „Die Gäste“, sagt die 77-jährige Herta Mayr-Marx, „kommen kurzfristi­g. Übers Wochenende haben wir schon mal 100 An- und Abreisen. So etwas gab es früher nicht.“Früher brachten die meisten Gäste ihr Zelt mit. Heute gibt es neben Wohnmobile­n und Wohnwagen auch Mietunterk­ünfte. Sie gehören zum glamouröse­n Camping, kurz Glamping. Das Angebot richtet sich laut ADAC an Nichtcampe­r und alle, die nach Jahren auf der Luftmatrat­ze frisch bezogene Betten und Komfort schätzen. Und es wird immer bunter und größer: Viele Betreiber bieten Baumhäuser, Jurten, Schlafstra­ndkörbe, Safarizelt­e und sogar umgebaute große Weinfässer an. Am Hopfensee gibt es vier Superkomfo­rt-Ferienhäus­er. Die sind übrigens

Die Branche boomt in Deutschlan­d wie nie zuvor

nicht ausschlagg­ebend für die Auszeichnu­ng des ADAC: Camping am Hopfensee ist seit 1982 ein „Superplatz“. Bewertet wurden die Anzahl und die Qualität der Sanitäranl­agen, die Größe und die Ausstattun­g der Standplätz­e, die Pflege und Gestaltung des Geländes, Einkaufsmö­glichkeite­n, Gastronomi­e, Freizeitan­gebot und Bademöglic­hkeiten. 2018 gibt es europaweit 109 ADAC-Superplätz­e, in Deutschlan­d sind es 16, in Bayern drei. Auch das Internet-Portal camping.info, an dem sich viele Reisende orientiere­n, führt den Platz mit fünf von fünf möglichen Sternen. Bei dem Portal können Camper auch Kritik loswerden: Zum Beispiel, dass es wuselig auf dem Platz zugeht. Die Kinder lieben es. Und sie lieben Kurt – die praktische Kiste, die auf zehn Quadratmet­ern viele Abenteuer bietet.

Eines davon kündigt sich am Abend an: Ein Gewitter zieht auf. Im Wohnwagen hört es sich ganz anders an, wenn der Donner an der Wand des Tegelbergs hallt und der Regen auf die dünne Hülle prasselt. Aber wenigstens bleibt alles trocken und schwimmt nicht in den See davon wie im Jahr 1954, als das Camping am Hopfensee begann.

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 ?? Fotos: Maximilian Czysz ?? Der Wohnwagen wurde von der Familie Kurt getauft und ist ein Raumwunder. Am Hopfensee im Allgäu besteht er seine Bewährungs­probe.
Fotos: Maximilian Czysz Der Wohnwagen wurde von der Familie Kurt getauft und ist ein Raumwunder. Am Hopfensee im Allgäu besteht er seine Bewährungs­probe.

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