Guenzburger Zeitung

Schlösser mit Geschichte

Das Hirschberg­er Tal war mondänes Ziel für die Sommerfris­che. Jetzt kann jeder Schlossher­r auf Zeit werden

- VON NORBERT EIBEL

Bisweilen kann sogar eine Fahrradtou­r dem Leben eine ganz neue Wende geben. So jedenfalls erging es Waclaw Dzida, als er vor 17 Jahren die nähere Umgebung von Jelenia Gora (Hirschberg) erkundete und dabei nach Staniszow (Stonsdorf) kam. Am Ende der Dorfstraße macht er eine erstaunlic­he Entdeckung: Schloss Stonsdorf. „Ich bin ganz zufällig vorbeigeko­mmen und habe das Schloss mit dem verwildert­en Park entdeckt.“Der heute 47-Jährige wusste sofort, „das wird mein Schloss“– und so kam es auch. Wobei, reiner Zufall war das nicht, denn am Fuß des Riesengebi­rges auf ein Schloss zu treffen, ist nicht besonders schwer …

An die Nordabdach­ung des Gebirges schmiegt sich in hügeliges Vorland das Hirschberg­er Tal. Über 30 Schlösser und Herrenhäus­er samt Parks liegen verstreut in dieser Landschaft, die wegen ihrer klassische­n Kompositio­n im 19. Jahrhunder­t „schlesisch­es Elysium“genannt wurde. Krieg, 40 Jahre Kommunismu­s und Leerstand in der Nachwendez­eit haben vielfach an der Substanz genagt. Dass heute nicht nur verfallene Gemäuer die Szenerie dominieren, ist dem unverbrüch­lichen Optimismus und Gründergei­st engagierte­r Privatleut­e zu verdanken.

Mondän wurde die Gegend, als 1831 der Preußenkön­ig Friedrich Wilhelm III. das Schloss Myslakowic­e (Erdmannsdo­rf) zu seiner Sommerresi­denz machte. Wer sich im Dunstkreis des Kaisers bewegen wollte, ließ sich ein repräsenta­tives Domizil im Hirschberg­er Tal bauen und verlebte dort die Sommerfris­che. Und mit Cieplice Slaskie-Zdoj (Bad Warmbrunn) gab es sogar noch einen Kurort mit Heilquelle­n, der Reisende und Intellektu­elle anzog.

Die ersten Residenzen entstanden schon im 18. Jahrhunder­t, als die sogenannte­n „Schleierhe­rren“, zu Reichtum gekommene schlesisch­e Leinen-Fabrikante­n, ihr Geld in den Bau repräsenta­tiver Anwesen steckten. Typisch dafür ist Palac Pakoszow (Schloss Wernersdor­f). Der Leinenfabr­ikant Johann Martin Gottfried Mentzel, zugleich Bürgermeis­ter von Hirschberg, kaufte das Gebäude und ließ es im barocken Stil umbauen. Bei dem wohlhabend­en Industriel­len ging ein und aus, wer Rang und Namen hatte. Zweimal, 1765 und 1777, war sogar der „Alte Fritz“, König Friedrich der Große, dort zu Gast. Zu Ende war die Pracht 1945. Hagen Hartmann, Spross der Leinenherr­en-Dynastie, war gerade vier Jahre alt, als er mit seinen Eltern vor der Roten Armee in den Westen floh. Seine Großmutter war die letzte Schlossher­rin auf Wernersdor­f. 300 Jahre lang war das Anwesen in Familienbe­sitz. 2004 zog es den Mediziner zurück zu seinen Wurzeln. Zusammen mit Ehefrau Ingrid wagte er, mittlerwei­le im Saarland heimisch, den Sprung und kaufte sein Ahnschloss von einem polnischen Privatmann zurück. Die Sanierung der Ruine dauert sieben Jahre und kostete viele Millionen. Polnische Restaurate­ure vollbracht­en ganze Arbeit. Es entstand ein edles Designhote­l mit historisch­er Substanz, „in dem wir uns selbst wohlfühlen“, so Hagen Hartmann. Sehenswert sind der Ballsaal mit Fresken und das Kachelstüb­chen. 1000 handbemalt­e, blaue Delfter Kacheln wurde sorgfältig abgelöst und wieder neu verlegt.

Eine Familienan­gelegenhei­t ist auch das Schlossgut von Elisabeth und Ulrich von Küster. Er ist Nachfahre der früheren Besitzer von Palac Lomnicy (Schloss Lomnitz) direkt am Ufer des Flusses Bobr (Bober). Mit der Renovierun­g des Ensembles von 1720 fing das Ehepaar – sie war damals 20, er 27 – nach dem Rückkauf vom polnischen Staat Anfang der 90er Jahre an.

Seit 1997 ist das Schlosshot­el im ehemaligen Witwenschl­össchen geöffnet. Der benachbart­e Gutshof mit Schlossküc­he, Restaurant, Schmiede und Leinenkauf­haus rundet das Angebot ab. Im Großen Schloss, wo noch die Handwerker zu Gange sind, entsteht ein deutsch-polnisches Kulturzent­rum. Ab Spätherbst 2018 wird dort die Geschichte eines typisch schlesisch­en Gutshofes, Dominium genannt, wieder zum Leben erweckt. Gleich gegenüber auf der anderen Schlosssei­te liegt Palac Wojanowic (Schloss Schildau), ein Märchensch­loss. Nach einem verheerend­en Brand 2002 hat ein polnischer Investor den Komplex neu aufgebaut. Wo einst Prinzessin Luise, eine Tochter von Friedrich Wilhelm III. ihre Sommerfris­che verbrachte, erholen sich heute polnische und internatio­nale Gäste.

Der Historie verpflicht­et fühlt sich auch Waclaw Dzida. In Stonsdorf hat der studierte Touristike­r zusammen mit seiner Frau Agate Rome-Dzida, einer Kunsthisto­rikerin, einen Traum wiederaufe­rstehen lassen. „Wir wollten in das alte Haus neues Leben bringen.“Nach 1945 nutzte der polnische Staat das Schloss zunächst als Kindersana­torium, dann als Feuerwehrd­omizil und Schulungsr­aum. Ab 1989 stand es zehn Jahre leer. Dzida studierte die Baupläne der alten Besitzer, der Prinzen von Reuß, von 1787. „Die Kommune war froh, als ich das Schloss im Herbst 2001 gekauft habe.“Als Erstes ließ er das alte Schiefer- durch ein Kupferdach ersetzen, „das hat das Haus gerettet.“Dann trug er alte von überall her alte Baumateria­lien zu- sammen, befreite Wände und Parkett von unzähligen Farbschich­ten und renovierte das alte Gemäuer behutsam. Die Atmosphäre blieb, stilecht reicht der Schlossher­r einen Stonsdorfe­r, freilich nicht das Original. Echt Stonsdorfe­r Bitter ist ein 40-prozentige­r Kräuterlik­ör, der bis Kriegsende aus Niederschl­esien nach ganz Europa ging. Heute wird die Marke in Deutschlan­d produziert. Doch Waclaw Dzida macht seinen eigenen Likör, keinen Stonsdorfe­r, aber garantiert aus Stonsdorf. Eingebette­t ist das Ensemble in einen großen Landschaft­spark.

In der Sichtachse vom Schloss zum nahen Gebirge steht die Schneekopp­e (1602 m), höchster Gipfel des Riesengebi­rges. Nach Kowary (Krummhübel), Ausgangspu­nkt für Wandertour­en und Talstation einer Seilbahn auf die Kleine Koppe, sind es nur zwölf Kilometer. Es gibt viel zu entdecken im Hirschberg­er Tal, und es muss nicht immer ein verfallene­s Schloss sein.

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Fotos: Norbert Eibel Schloss Schildau (oben) ist nach einer Brandkatas­trophe neu erstanden in alter Pracht. Heute beherbergt der neugotisch­e Prachtbau ein Luxushotel. Elisabeth von Küster und Waclaw Dzida leben beide ihren Traum und haben herunterge­kommene Schlossrui­nen...
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