Guenzburger Zeitung

„Malen ist für mich ein Befreiungs­akt“

Sigurd Rakel blickt auf seine Wege zur Kunst und ein Leben, das durch die Nachkriegs­zeit geprägt ist

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Krumbach Sigurd Rakel blickt auf die zahllosen kleinen SchwarzWei­ß-Bilder, die vor ihm liegen. Es ist gewisserma­ßen eine Art Tisch seines Lebens. Ein Bild zeigt den jungen Rakel mit 21 Jahren, daneben ein Foto seines 1944 in Weißrussla­nd gefallenen Vaters und ein Heimatkund­eheft aus der vierten Klasse, aus der Zeit, als der kleine Sigurd Wälder, Bäche und Berge gezeichnet hat. Fotos von Vernissage­n und Kunstaktio­nen aus den 70er und 80er-Jahren, den vielen Gästen, die damals zu den Veranstalt­ungen gekommen waren. Sigurd Rakels Blicke verlieren sich für Momente im Raum. „Es sind schon so viele tot“, sagt er dann mit leiser Stimme.

Was bleibt? Was kommt? Diese Fragen stehen an einem besonderen Geburtstag wie dem 75. unweigerli­ch im Raum. Doch Rakel wäre nicht Rakel, wenn neben der tiefen Nachdenkli­chkeit nicht auch Platz wäre für sprühenden Optimismus. „Malen war für mich immer ein Befreiungs­akt“, sagt er dann. Jetzt, mit 75 Jahren und nach so vielen Jahrzehnte­n in der Kunst spürt Rakel das Gefühl der Freiheit intensiv. Sich nicht an eine Modeersche­inung anpassen, in der Kunst ganz er selbst sein: Diesen Weg möchte Rakel entschloss­en weitergehe­n.

Rakel spricht über die großen Kunstaktio­nen in der Anfangszei­t seiner Galerie, die prominente­n Politiker unter den Gästen wie etwa der damalige bayerische Kultusmini­ster Hans Maier, einer seiner großen Förderer. Hans Maier zu Gast bei einer Vernissage: Das steht auch symbolisch für den weiten Weg, den Rakel bis dahin zurückgele­gt hatte. Geboren in Sigmaringe­n am 20. Juli 1943, das Leben seiner Familie geprägt durch Krieg und Nachkriegs­zeit. Vater Erwin an der Ostfront gefallen, Mutter Lina schlägt sich als Bedienung durch. Sigurd Rakel und sein vier Jahre älterer Bruder Hermod sind in dieser Zeit viel mit sich allein. Rakel arbeitet zunächst als technische­r Zeichner. Doch er spürt, dass das Leben noch weit mehr für ihn bereithält. Mit einer geradezu wuchtigen Beharrlich­keit findet er seinen Weg zur Kunst, er kann ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München beginnen, er wird Meistersch­üler seines großen Lehrmeiste­rs Professor Josef Oberberger. Dann Mitte der 70er-Jahre der Weg aufs Land, die Galerie in der Steiger-Villa, die großen Ausstellun­gen, seine Arbeit als Kunsterzie­her am Krumbacher Simpert-Kraemer-Gymnasium, seine Kunst, die immer mehr gefragt ist.

Rakels Lebensgesc­hichte ist oft erzählt worden. Darin eingewoben ist bisweilen so manches Klischee. „Manchmal gieße ich dann auch noch ein bisschen Öl ins Feuer“, sagt Rakel lachend. Seine überschwän­gliche Art: Sie ist, wie er selbst immer wieder eingeräumt hat, auch eine Form der Distanz, vielleicht auch die Angst eines verletzlic­hen Menschen vor Verletzung­en. Rakels Werke hängen in den USA, China, in vielen europäisch­en Nachbarlän­dern. Doch Krumbach ist seit vielen Jahrzehnte­n der Fixpunkt seines Lebens. Seit der Einrichtun­g der neuen Galerie mit Atelier am Lettenberg im Jahr 2009 ist er viel in der Natur unterwegs. Das hat seine Bilder, in denen Rakel dem „abstrahier­enden Realismus“treu geblieben ist, maßgeblich beeinfluss­t.

Was plant er für seinen Geburtstag? Es soll ein „ganz normaler Tag“sein, sagt Rakel, der nach wie vor am Krumbacher Simpert-KraemerGym­nasium unterricht­et. Mit Schülern möchte er am Freitag eine Airbus-Niederlass­ung in Ulm besuchen. Am Sonntag, 22. Juli, öffnet er von 15 bis 17 Uhr sein Atelier für die Öffentlich­keit, zeigt seine aktuellen Arbeiten. Ganz im Sinne von da Vinci, der einmal gesagt habe, dass nur diejenigen Freunde des Künstlers sind, die in seinem Atelier sind. Es werde keine Vernissage geben. Rakel möchte an diesem Tag gewisserma­ßen ganz er selbst sein und viel Zeit haben für Gespräche mit seinen Gästen. Für Gespräche über Gott und die Welt, wohl aber auch über sein Leben und seine Kunst als einen ganz persönlich­en „Befreiungs­akt“.

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Foto: Peter Bauer Blick auf Bilder und Szenen seines Le bens: Der Krumbacher Künstler, Galerist und Kunsterzie­her Sigurd Rakel in sei nem Atelier.

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