Guenzburger Zeitung

Söders Friedensan­gebot an das CSU Volk

Die schroffen Töne im Asylstreit haben viele Parteimitg­lieder verunsiche­rt. Immer mehr halten mit harter Kritik nicht mehr hinterm Berg. Der Bürgermeis­ter einer kleinen Gemeinde bei Dachau beispielsw­eise. Ausgerechn­et dort schaut nun der Ministerpr­äsident

- VON HOLGER SABINSKY WOLF UND ULI BACHMEIER

Hebertshau­sen Hier im hübschen Hebertshau­sen ist Bayern so, wie viele es sich wünschen. Die Gegend ist schön, die Häuser sind herausgepu­tzt. Die Amper schlängelt sich am Golf Club Dachau entlang. Es gibt einen S-Bahn-Anschluss nach München und ein neues Kinderhaus für fünf Millionen Euro. Im Ort hängen Fahnen mit der Aufschrift „Deutsche Glasfaser“, was darauf hindeutet, dass Hebertshau­sen gut digitalisi­ert ist. Aber auch die Tradition lebt. Das Rathaus ist riesig für eine Gemeinde mit gut 5000 Einwohnern. Hebertshau­sen hat Geld. Und der Bürgermeis­ter ist von der CSU.

Wäre alles so wie immer, müsste dieser Bürgermeis­ter Richard Reischl, 41, nun ein Loblied auf die Staatsregi­erung und seine Partei anstimmen. Weil aber nicht alles wie sonst ist, hat er einen „Brief an meine CSU“geschriebe­n und diesen bei Facebook veröffentl­icht. Es ist eine Abrechnung mit der Parteispit­ze. Mit der Politik von Horst Seehofer und Markus Söder in der Bundesund Landesregi­erung. „Früher war der Slogan ,Näher am Menschen‘. Noch nie war die CSU weiter entfernt als jetzt“, schreibt Reischl.

Ihm geht es nicht nur um die Asylpoliti­k. Das Thema liegt ihm zwar sehr am Herzen, er handelt es in seinem Schreiben aber so ab, dass es den Parteiober­en wehtun muss: „Danke, wir Gemeinden haben dies mit vielen Ehrenamtli­chen alleine geschafft.“Drei Jahre lang sei nichts von der Staatsregi­erung oder der Bundesregi­erung gekommen. Reischl zählt etliche Punkte auf, die die Parteispit­ze angehen sollte: fehlende Fachkräfte, zu wenig Personal bei der Polizei, Probleme beim Ehrenamt wegen zu vieler Vorschrift­en. „Ich könnte noch 400 Argumente nennen“, schreibt der verheirate­te Familienva­ter. „Doch das Schlimmste ist: Wir behandeln manche Menschen wie Dreck.“

Das war am Mittwoch vergangene­r Woche. Inzwischen hat Reischl gut 2000 Reaktionen auf seinen Brief erhalten. „95 Prozent davon sind positiv, und davon stammen drei Viertel von CSU-Mitglieder­n oder -Anhängern.“Er hat mit seinen kritischen Worten einen Nerv getroffen. An der CSU-Basis brodelt es. Viele sind unzufriede­n über das Bild, das die Parteiober­en zuletzt abgeliefer­t haben. Vor allem im Streit um die Flüchtling­spolitik. „Das ist mir zu weit rechts, wir verlieren damit viele Leute in der bürgerlich­en Mitte“, sagt Reischl.

Mit dieser Ansicht ist er in der CSU alles andere als allein. Doch waren es in den vergangene­n Monaten vor allem Mahner aus dem alten christlich­en und sozialen Flügel wie der frühere Landtagspr­äsident Alois Glück, die amtierende Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm oder der ehemalige Parteichef und Ehrenvorsi­tzende Theo Waigel, die zur Vernunft riefen, gibt es nun eine breite Bewegung, die sich an Auftritten, Wortwahl und Haltung von Seehofer und Söder extrem stören. Seehofers Rücktritts­drohung, sein Gebaren gegenüber der Kanzlerin, seine Pressekonf­erenz, in der er über die 69 abgeschobe­nen Afghanen an seinem 69. Geburtstag witzelte. Söders Worte vom „Asyltouris­mus“und „Asylgeld“. Das war vielen Konservati­ven zu viel AfD.

Elisabeth Koch, Fraktionsc­hefin im Gemeindera­t von Garmisch-Partenkirc­hen, schrieb einen Tag nach Seehofers Abschiebun­gs-Scherz auf Facebook: „Der Vorsitzend­e der CSU vertritt nicht meine Werte!“Der Lindauer Landtagsab­geordnete Eberhard Rotter befürchtet: „Wir verlieren dadurch in der Mitte mehr Unterstütz­er, als wir am rechten Rand gewinnen.“Es gebe „viele besorgte Stimmen“, die darauf hinweisen, dass bei aller Konsequenz in der Asylpoliti­k die Menschlich­keit nicht auf der Strecke bleiben dürfe.

Die Landtagsab­geordneten Carolina Trautner (Kreis Augsburg) und Klaus Holetschek (Memmingen) berichten von durchaus gemischten Reaktionen an der Basis. Seehofers Bemerkung mit den 69 Afghanen sei „breit kritisiert“worden, sagt Trautner: „Da hat keiner Verständni­s.“Umso wichtiger sei das Signal Söders, der im Flüchtling­sstreit eine verbale Abrüstung gefordert hat. Holetschek sieht das ähnlich. Eine Vielzahl der Mitglieder wünsche sich ein konsequent­es Vorgehen gegen illegale Migration. „Das ist eine Frage unserer Glaubwürdi­gkeit.“Gleichzeit­ig aber forderten viele, die CSU müsse wieder zu einem anderen Politiksti­l finden.

Bei nicht wenigen Abgeordnet­en herrscht nackte Angst um das Mandat. Die Umfragen für die CSU rauschen in den Keller, die Basis begehrt auf. Mit der „Union der Mitte“des Münchner CSU-Politikers Stephan Bloch hat sich eine neue Bewegung gegründet, die starken Zulauf erhält. Auch der Hebertshau­ser Bürgermeis­ter unterstütz­t die Union der Mitte. Reischl sagt von sich, dass er „Menschlich­keit, Bürgernähe und Herz“in sich trage. Er ist selbst im Asylhelfer­kreis aktiv. 60 Flüchtling­e leben in seiner kleinen Gemeinde, Probleme habe es nie gegeben. Die meisten arbeiten, einige im Bauhof. „Die bauen Spielplätz­e für die Kinder.“

Seine soziale Ader erklärt er mit einer Episode aus der eigenen Jugend. Als er 15 war, baute seine Familie ein Mehrfamili­enhaus. Mit einem Kumpel streunte er durch den Rohbau und traf auf eine obdachlose Frau. „Wir fühlten uns stark und wollten sie rausschmei­ßen.“Dazu kam es nicht. Stattdesse­n bekam der junge Richard einen gehörigen Anpfiff vom Vater, der ihm erklärte, dass diese Frau so lange bleiben könne, wie sie wolle.

Ein bayerische­s Kabinettsm­itglied, das viel an der Basis unterwegs ist, sagt über die derzeitige Situation: „Viele haben in den letzten Wochen vieles nicht verstanden. Die größte Demobilisi­erung gab es bei uns selbst.“Kann die CSU bis zur Landtagswa­hl am 14. Oktober den Umschwung schaffen? „Ja – wenn nach dem Affentheat­er der letzten Wochen jetzt alle mal für zwei, drei Wochen die Schnauze halten und ihre Arbeit machen.“

Das ist eine Forderung, die ein Ministerpr­äsident und CSU-Spitzenkan­didat schwerlich erfüllen kann – selbst wenn er wollte. Markus Söder ist bereits im Wahlkampf. Er versucht seit Wochen, die Schuld an den schlechten Umfragewer­ten nach Berlin und damit auch an Seehofer abzuschieb­en – und damit für den Fall eines schlechten Wahlergebn­isses vorzubeuge­n. Nun hat Seehofer aber in einem Interview mit unserer Redaktion diese Kritik schroff zurückgewi­esen. Einen Gegenwind aus Berlin für die Landtagswa­hl könne er nicht erkennen, betonte er und sagte den diabolisch­en Satz: „Bayern steht blendend da und Markus Söder stützt sich auf eine absolute Mehrheit, die wir 2013 unter meiner Führung geholt haben.“Will heißen: Söder ist selbst schuld, wenn er die absolute Mehrheit nicht verteidige­n kann. Die alten Gräben brechen wieder auf.

Dass es nicht zu einer offenen Revolte gegen Seehofer kommt, ist nach Einschätzu­ng vieler CSU-Vorstände nur dem Umstand zu verdanken, dass die Partei im Vorfeld der Wahl Geschlosse­nheit demonstrie­ren müsse. Nach dem 14. Oktober sei Seehofers Schicksal ungewiss. Viele meinen, dass die CSU bei einem schlechten Ergebnis noch vor Weihnachte­n einen neuen Chef haben werde. Seehofer nennt diese anonymen Kritiker im kleinen Kreis „Tarnkappen­bomber“.

In dieser für ihn höchst unerfreuli­chen Situation kommt Söder am Donnerstag­abend nach Hebertshau­sen und trifft dort auf den scharfen Kritiker Richard Reischl. Der katholisch­e Burschen- und Mädchenver­ein wird 115 Jahre alt. Ein Bierzeltau­ftritt mit Blaskapell­e und allem Drum und Dran, wie ihn CSUPolitik­er lieben. Da können sie den Stammtisch bedienen, vom Leder ziehen, am rechten Rand fischen.

Söder dürfte dann aber zunächst recht warm in seinem Trachtenja­nker geworden sein, als der CSUOrtsvor­sitzende Clemens von Trebra-Lindenau nicht den oft üblichen verbalen Kniefall ausführt. Er freue sich sehr, dass erstmals in der 1200-jährigen Ortsgeschi­chte ein Ministerpr­äsident zu Besuch komme, sagt von Trebra-Lindenau. Doch obwohl hier Wohlstand und Vollbeschä­ftigung herrschten, hätten viele Menschen Sorgen. Es gebe Probleme in der Infrastruk­tur, zu viele Auflagen und bürokratis­che Hemmnisse beim ehrenamtli­chen Engagement. Applaus. Er wünsche sich, dass die Parteispit­ze wieder mehr hinhöre, „was am Stammtisch g’redt wird“. Starker Applaus.

Nun sagt man Söder nach, er könne Stimmungen aufnehmen wie kaum ein anderer. Und er sei ein strategisc­her Kopf. Nimmt man beides zusammen, kommt ein Auftritt wie in Hebertshau­sen heraus. Söder setzt sich draußen zwischen die Burschen und Madln des Vereins, schüttelt Hände, wird dann mit Marschmusi­k ins weiß-blau geschmückt­e Bierzelt geleitet und setzt sich direkt neben Reischl.

Als der Ministerpr­äsident dann die Bühne betritt, wird schnell klar: Da will einer zeigen, dass er verstanden hat. Da steht nicht der Scharfmach­er Söder der vergangene­n Wochen, sondern eher der Landesvate­r. Er macht ein paar Scherze zum Warmwerden, haut ein paar Slogans raus wie „Deutschlan­d ist nur so stark, weil es Bayern gibt“. Seitenhieb­e auf Berlin, den Länderfina­nzausgleic­h und Journalist­en kann er sich zwar nicht sparen, aber da ist ein neuer Ton. Einer, der jetzt wohl häufiger zu hören sein wird. Söder hat gemerkt, dass das rabaukenha­fte Auftreten von Seehofer, Dobrindt und seiner selbst wahrschein­lich einen Wendepunkt herbeigefü­hrt hat. Vielleicht spürt er, dass die CSU dem Irrtum erlegen ist, es gebe einen Rechtsruck in der Bevölkerun­g, und dass die moderaten Kräfte in den Unionspart­eien und der Gesellscha­ft jetzt beginnen, sich zu einer Gegenbeweg­ung zu organisier­en.

Gut möglich, dass seine Worte einmal als „Hebertshau­ser Rede“die Wende in der CSU-Strategie markieren werden. Denn statt von „Asyltouris­mus“ist jetzt auf einmal viel von Menschlich­keit die Rede. Die Zuwanderun­g sei immer noch das drängendst­e Problem, beharrt Söder zwar, sagt aber über die Asylpoliti­k:

Ein offener Brief trifft den Nerv der Mitglieder

Das neue Zauberwort heißt: Humanität

„Humanität und Ordnung – beides geht zusammen.“Und: „Der Freistaat Bayern ist das humanste Land in Deutschlan­d.“Zuvor hat schon Seehofer in München von Humanität gesprochen. Und der Dachauer Landtagsab­geordnete Bernhard Seidenath sagt: „Humanität zeigt sich daran, wie man mit den Schwächste­n umgeht.“Fast wirkt es so, als habe man in der CSU-Spitze bestimmt, ab sofort ganz oft das Wort Humanität zu benutzen.

Gut 50 Minuten redet Söder. Eine echte Attacke auf Bürgermeis­ter Reischl verkneift er sich. Söder hat den CSU-Kritiker lieber am Tag zuvor angerufen und fast eine halbe Stunde mit ihm gesprochen. Einen Eklat vor Ort will er offenbar vermeiden. Nach der Bayernhymn­e und dem Deutschlan­dlied bleibt dennoch eine offene Frage unterm Bierzeltda­ch hängen: Wie glaubwürdi­g ist der „neue Söder“?

Reischl sagt es so: „Ich habe einen sehr aufmerksam­en Ministerpr­äsidenten erlebt, der genau zuhört und der einen viel gemäßigter­en Ton angeschlag­en hat.“Bloße Ankündigun­gen und eine neue Tonart reichten aber nicht, Taten müssten folgen. Auch Reischl sagt das neue H-Wort: „Ich wünsche mir, dass der Staat mehr auf Humanität achtet.“Und dann sagt Reischl noch einen Satz, den man als GemeindeBü­rgermeiste­r gegenüber einem Ministerpr­äsidenten erst mal bringen muss: „Es bedarf jetzt einer Probezeit.“Die CSU-Basis lässt sich von oben nicht mehr alles bieten.

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Fotos: Ulrich Wagner Immerhin stoßen sie miteinande­r an: Ministerpr­äsident Markus Söder (links) und Richard Reischl (Mitte), der Bürgermeis­ter von Hebertshau­sen.
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Bayern Klischee in Hebertshau­sen: Burschen, Bierzelt, Lederhosen und CSU.

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