Guenzburger Zeitung

Israel wird zum „jüdischen Nationalst­aat“

Das Parlament beschließt ein Gesetz, das Regierungs­chef Netanjahu als „Schlüsselm­oment“in der Geschichte des Zionismus bezeichnet. Kritiker befürchten den Tod der Demokratie

- VON SIMON KAMINSKI MDR.

Jerusalem Die Knesset, das Parlament Israels, ist durchaus für lebhafte Debatten bekannt. Doch was sich am Donnerstag dort abspielte, war außergewöh­nlich: ein stundenlan­ger, stürmische­r Schlagabta­usch mit tumultarti­gen Szenen. Am Ende stimmte eine knappe Mehrheit (62 zu 55 Abgeordnet­e) für das sogenannte Nationalit­ätengesetz. Die Reaktionen in Israel, aber auch im Ausland hätten konträrer nicht ausfallen können.

Worum geht es? Die Knesset hat ein Gesetz verabschie­det, das Israel als jüdischen Nationalst­aat definiert. Arabisch, die Sprache der Palästinen­ser in Israel, die rund 20 Prozent der Bevölkerun­g ausmachen, soll in Zukunft nicht mehr zweite Amtssprach­e sein.

Zudem soll der Bau jüdischer Gemeinden gefördert werden. Ein seit Monaten heftig diskutiert­es Thema. Die Wucht der Kritik hatte dazu geführt, dass der in der ursprüngli­chen Gesetzesvo­rlage enthaltene Passus, dass in Zukunft Wohnorte errichtet werden dürfen, in denen sich ausschließ­lich jüdische Israelis niederlass­en dürfen, gestrichen wurde. Zuvor hatte auch Staatspräs­ident Reuven Rivlin ausdrückli­ch vor Diskrimini­erung gewarnt. So ist nun im Text nur noch etwas schwammig von „Ermutigung“und „Förderung“jüdischer Gemeinden die Rede. Zu einer Befriedung führte diese Korrektur nur bedingt. Wäh- rend Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu von einem „Schlüsselm­oment“in der Geschichte des Zionismus und des Staates Israel sprach, erklärte der arabische Abgeordnet­e Ahmed Tibi, dass das Gesetz, den „Tod der Demokratie“in Israel bedeute und „rassistisc­h“sei. Netanjahu erboste besonders, dass die EU sich bereits vor der Abstimmung „besorgt“über das Gesetz geäußert hatte. Es sei „diskrimini­erend“und dazu angetan, die Realisieru­ng der Zwei-Staaten-Lösung in noch weitere Ferne zu rücken. Der israelisch­e Regierungs­chef bestellte daraufhin kurzerhand den EU-Botschafte­r in Tel Aviv ein.

Der Präsident der Deutsch-Israelisch­en Gesellscha­ft, Hellmut Königshaus, warb im Gespräch mit unserer Zeitung für Gelassenhe­it: „Die Diskussion­en in der Knesset, aber auch die einschneid­enden Veränderun­gen am Gesetzeste­xt zeigen doch, dass Israel eine lebendige Demokratie ist. Und zwar die einzige im Nahen Osten.“Auch sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, da der Oberste Gerichtsho­f sich noch mit dem Gesetz beschäftig­en würde. „Man darf auch nicht vergessen, dass die arabischen Bürger in Israel Rechte haben wie sonst nirgendwo in den arabischen Ländern“, sagte der frühere Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s.

Ebenfalls mit Gelassenhe­it, aber mit einem deutlich anderen Zungenschl­ag reagierte der frühere israelisch­e Botschafte­r in Berlin, Avi Primor, auf das Nationalit­ätengesetz. „Das Gesetz ist populistis­ch, nervig und auch beleidigen­d für die Araber“, aber es werde letztlich ohne praktische Bedeutung bleiben, sagte Primor dem Sender Er bat den Westen gleichzeit­ig um Verständni­s. Zwar wäre ein solches Gesetz in jeder anderen Demokratie kaum denkbar. Aber Israel sei ein Sonderfall. Ein Staat als Zuflucht, der unter dem Eindruck gegründet worden sei, dass viele Juden in der Folge der Nazi-Verbrechen nicht wussten wohin.

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Foto: dpa Ein Politiker der arabisch israelisch­en Balad Partei wird nach Protesten in der Knesset des Saales verwiesen.

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