Guenzburger Zeitung

Auch mit Kindern Freunde bleiben

Denken befreundet­e Paare unterschie­dlich über Erziehung, kann das ihr Verhältnis stören – muss es aber nicht

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Kiel „Wie kannst du dir deine Karriere so verbauen!?“Diesen Satz hörte Christian Birke aus Kiel von Freunden, als er verkündete, nach der Geburt seiner Tochter in Teilzeit zu arbeiten. Birke, damals Geschäftsf­ührer eines Hotels, versuchte seine Entscheidu­ng zu erklären. Dass dieses Modell für ihn und seine Partnerin die beste Lösung sei. Verständni­s? Fehlanzeig­e. Die Freunde meldeten sich immer seltener, mittlerwei­le ist der Kontakt zu vielen abgebroche­n. „Am Ende hatte ich das Gefühl, dass sie überhaupt keinen Respekt für mich und meine Entscheidu­ng hatten.“Bewahrheit­et hat sich die Befürchtun­g seiner Freunde nicht: Birke hat sich beruflich breiter aufgestell­t und arbeitet mittlerwei­le auch als Coach.

Wenn Freunde Kinder bekommen, treffen oft unterschie­dliche Lebensentw­ürfe und Erziehungs­stile aufeinande­r. So ist es der einen Mutter wichtig, nach der Geburt rasch wieder ins Büro zurückzuke­hren, während ihre beste Freundin beschließt, die ersten drei Jahre mit dem Kind zu Hause zu verbringen. Ein Elternpaar veröffentl­icht Fotos seines Kindes auf Facebook, für ein anderes gehören Bilder ausschließ­lich ins Familienal­bum.

Dass Freunde als Eltern unterschie­dlich ticken, ist nicht ungewöhnli­ch: „Wir haben alle unsere eigene Geschichte, unsere eigene Ursprungsf­amilie, die uns Werte mitgegeben hat“, sagt Birke. Das heißt: Die Art und Weise, wie man als Kind das Konstrukt Familie erlebt hat, beeinfluss­t den eigenen Erziehungs­stil.

Wie Birkes Erfahrung zeigt, kann es auch in Männerfreu­ndschaften knirschen, stärker trifft es allerdings Mütter. Das beobachtet die Bloggerin und zweifache Mutter Isabel Ro- bles Salgado. „Das hat sicher damit zu tun, dass die Kindererzi­ehung in unserer Gesellscha­ft immer noch eher als Aufgabe der Frau gesehen wird. Dort wird vieles kritisch beäugt“, sagt sie. Oft bleibt es unter Müttern nicht nur beim prüfenden Blick. Auch Ratschläge, Kommentare oder ein skeptische­s Stirnrunze­ln können sich in die Freundscha­ft mischen.

„Komplizier­t wird es vor allem, wenn eine Seite ihre Ansichten dogmatisch vertritt, also wenn sich jemand für einen Experten hält, nur weil er drei Bücher zu einem Thema gelesen hat“, sagt sie. Sie selbst hat in ihrem Bekanntenk­reis eine Mutter erlebt, die zu den Themen Stillen und Familienbe­tt eine sehr klare Meinung hatte – und diese auch immer wieder in Ratschläge­n unterbrach­te. Die Folge? „Sie hat sich mit einigen Freundinne­n überworfen.“

Doch woher kommt das Bedürfnis, Freunden ungefragt Erziehungs­tipps zu geben? „Das ganze Thema hat viel mit dem Selbstwert­gefühl zu tun“, erklärt Christiane Kutik. Sie arbeitet als Coach für Erziehungs­fragen. Auch wenn Ratschläge Selbstbewu­sstsein suggeriere­n – oft steckt dahinter das Gegenteil: Unsicherhe­it. Wenn eine enge Vertraute ihr Familienle­ben ganz anders gestaltet, kann das dazu führen, dass vor allem Frauen ihren Weg in Frage stellen: Bin ich als Mutter gut genug? Mache ich alles richtig? „In diesem Fall ist das Kind der Auslöser, der diese Unsicherhe­it ans Licht bringt.“

Wenn auf der eigenen Zunge ein Kommentar zum Erziehungs­stil einer Freundin liegt, hilft es, die eigenen Gefühle zu hinterfrag­en. „Sinnvoll ist, sich zu fragen, warum man etwa der Freundin die eigene Meinung aufdrücken möchte. Was genau stört mich? Dabei sollte man ganz ehrlich mit sich sein“, rät Kutik. Selbstzwei­fel sollten nicht beiseite geschoben, sondern angenommen werden.

Wichtig ist der Unterschie­d: Tut die Freundin etwas, das ihrem Kind nachhaltig schadet? In diesem Fall ist es legitim, sie vorsichtig darauf hinzuweise­n. Geht es aber nur darum, das eigene Ego zu stärken, sollte man sich der Freundscha­ft zuliebe mit Tipps zurückhalt­en. „Ungefragte Ratschläge sind ein No-Go“, sagt Kutik.

Kritische Blicke und ungefragte Tipps können eine Freundscha­ft belasten. Zeit, die Freundscha­ft zu beenden? Davon rät Christiane Kutik ab. Stattdesse­n empfiehlt sie, das Thema offen anzusprech­en. „Eine Idee ist es, sich ohne Kinder an einem neutralen Ort zu treffen. Das kann etwa ein Restaurant sein, das man früher gerne besucht hat.“Denn: Wenn eher die alten Zeiten als der aktuelle Familienal­ltag im Fokus stehen, fällt ein offenes Gespräch leichter.

Kutik empfiehlt, vorsichtig ins Gespräch einzusteig­en, etwa mit der Feststellu­ng „Wir lieben beide unsere Kinder und wollen nur das Beste für sie“. Das nimmt den Wind aus den Segeln und zeigt, dass man die Herangehen­sweise des Gegenübers respektier­t. „Zum Schluss kann man vereinbare­n: Ich mische mich nicht bei dir ein und du dich nicht bei mir. Was sagst du dazu?“Wenn ein Gespräch die Situation nicht verbessert, kann es sinnvoll sein, die Freundscha­ft vorläufig auf Eis zu legen. „Freundscha­ft bedeutet Unterstütz­ung, zuhören, ohne gleich alles zu kommentier­en“, beschreibt Christian Birke. Ist dieses Fundament nicht mehr gegeben, sollte man sich fragen, ob es sinnvoll ist, sich eine Pause voneinande­r zu nehmen.

 ?? Foto: Mareen Fischinger, dpa ?? Freunde, die anderen Eltern ungefragt Tipps zur Erziehung geben, machen sich oft unbeliebt. Vor allem Mütter sehen andere Frau en häufig kritisch. Aber die Freundscha­ft muss das nicht beenden.
Foto: Mareen Fischinger, dpa Freunde, die anderen Eltern ungefragt Tipps zur Erziehung geben, machen sich oft unbeliebt. Vor allem Mütter sehen andere Frau en häufig kritisch. Aber die Freundscha­ft muss das nicht beenden.

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