Guenzburger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (97)

-

EWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

inen Augenblick stehen beide taumelnd. Sie faßt – er ahnt es sogar in der Nacht – nach ihren Haaren, wie sie es gestern auf dem Tanzboden tat.

„Nein“, hörte er sie flüstern. »Nie, nie wieder.“

„Ich wollte ja nur…“, sagte er hastig.

„Wenn du das willst“, sagt sie, „dann können wir gleich gehen. Von einem Male habe ich genug.“

Sie schaudert. Sie faßt nach seinem Arm. „Komm. Es wird kalt Gehen wir noch ein Stück.“

Sie gehen. Nein, übelgenomm­en hat sie es nicht, aber… ,Das wird man nie überwinden‘, denkt Kufalt. ,Sie hat wirklich genug. Sie hat Angst.‘

Und laut: „Du muß noch nicht nach Haus? Was sagt denn dein Vater?“

„Vater hat Kegelabend“, sagt sie. Sie findet im Dunkeln jeden Weg. Der Stadtwald ist nicht klein, aber sie weiß jeden Weg. „Links müssen wir hinein, dort wo es ganz schwarz

aussieht. Dann kommen wir zum Rindenhäus­chen.“

,Wie oft muß sie hier‘, denkt Kufalt, ,mit dem andern gegangen sein. Oder mit den andern. Denn es gibt keinen Vater, keinen, der für das Kind zahlt. Und ich muß ausgerechn­et kommen, wenn sie nicht mehr will. Immer habe ich Pech.‘

„Der kleine Dicke, mit dem du warst, im Rendsburge­r Hof – ist das dein Freund?“

„Der Bruhn? Ja“, sagt Kufalt, „das ist mein Freund.“

„Vor dem nimm dich man in acht, ich hab’ gehört, das soll ein Raubmörder sein.“

„Raubmörder…“, sagt Kufalt böse. „Was weißt du von Raubmörder? Ein feiner Junge ist das.“

„Aber im Kittchen hat er schon gesessen“, sagt sie. „Ich weiß das sicher.“

„Na, und wenn schon“, versucht Kufalt. „Findest du das schlimm?“

„Das ist Geschmacks­sache“, erklärt sie. „Ich möchte keinen solchen. Auch keinen Arbeitslos­en. Denke, vom Stempelgel­d leben und den ganzen Tag den Mann im Haus! Solche könnt’ ich einen Haufen haben. Ich könnt’ immer noch eine Menge haben.“

„Ja“, sagt Kufalt.

Ihm ist, als wiche sie immer weiter von ihm zurück; es war so gut mit ihr, da sie noch schwiegen, jetzt, da sie reden, entfernen sie sich voneinande­r.

„Ja“, sagt er bloß.

„Wo arbeitest du?“fragt sie. „Bist du auf einem Büro oder bist du Verkäufer?“

„Nein, auf der Zeitung“, sagt er. „O fein!“ruft sie. „Da kriegst du sicher viel Kinobillet­ts. Können wir bald mal ins Kino?“

„Ich weiß nicht“, sagte er unschlüssi­g. „Ich muß erst mal sehen, wie es paßt. Da sind noch mehr bei uns auf dem ,Stadt- und Landboten‘.“

„So, du bist auf dem ,Boten‘“, sagt sie etwas enttäuscht. „Ich dachte, du wärst auf dem ,Freund‘. Wir lesen immer den ,Freund‘. Der ,Freund‘ ist doch viel besser!“

„Wo ihr den ,Boten‘ gar nicht lest?“

„Doch, lesen tun wir ihn schon. Aber wir sind eben an den ,Freund‘ gewöhnt. Vielleicht ist auch der ,Bote‘ besser geworden“, sagt sie einlenkend. „Ich weiß es ja nicht, wir sehen den ,Boten‘ immer nur flüchtig. Komm, da ist das Rindenhäus­chen. Drin ist es vielleicht wärmer.“

„Nein“, sagt er. „Ich möchte jetzt nach Haus.“

„O Gott, nun bist du böse!“ruft sie bestürzt. „Weil ich das vom ,Boten‘ gesagt habe? Ich will nie wieder was gegen den ,Boten‘ sagen, bestimmt nicht!“

„Nein, ich bin müde. Ich will jetzt nach Haus“, sagt er.

Sie stehen einander gegenüber. Auf der Lichtung, die der schmale Rindentemp­el ziert, ist es etwas heller. Er sieht ihr Gesicht, die Hände heben sich bittend auf die Höhe der Brust.

„O Willi“, sagt sie und nennt ihn zum erstenmal beim Vornamen. „Sei mir doch nicht bös. Bitte, komm.“

„Ich bin gar nicht bös“, sagt er, und seine Stimme klingt sehr verärgert.

„Aber ich bin wirklich müde und muß schnell ins Bett. Ich habe morgen viel zu tun.“

Ihre Hände sinken herunter, sie schweigt einen Augenblick.

„Also geh“, sagt sie dann tonlos. „Geh.“

Er wendet sich zögernd, er murmelt ein ,gute Nacht‘.

„Gute Nacht“, sagt auch sie leise. Und dann: „Gib mir noch einen Kuß, Willi, bitte.“

Er dreht sich um nach ihr. Er geht einen Schritt auf sie zu.

Und plötzlich umfaßt er sie. ,O Gott, es ist ja die Frau, die Frau, die Frau, nach der ich seit Jahren mich gesehnt, es ist das vermißte Glück, die ewig ausgeblieb­ene Erfüllung… Frau, Weib, Brust… es ist das Glück, es ist das Glück, es ist das große, große Glück… Müde zurück ins Zimmer, ins einsame Bett…‘

Und er fällt hinab auf sie mit dem Sturm aller seiner Küsse. Er betäubt sie mit dem Sturzbach seiner Berührunge­n, er ist hier, da, dort. Er stammelt Worte dazwischen, abgerissen­e, sinnlose Worte: „O du, daß ich dich wiederhabe… ach, du bist mein… wie ich dich lieb habe!…“

Sie taumeln. Das Rindenhäus­chen kommt näher, eine Tür knarrt. Es ist sehr dunkel darin und eine modrige Kälte, voll des Geruchs von faulendem Holz …

Es ist stiller. Das hastige Atmen ist ruhiger geworden und ruhig. Hilde weint leise vor sich hin. Er liegt mit dem Kopf auf ihrem Schoß, sie streichelt sein Haar, aber ein anderes Haar ist es wohl, an das sie denkt: seidigeres, helleres, jüngeres.

In seinem Bettchen, anderthalb Kilometer ab, schläft der kleine Willi. Sie kann zu ihm, aber wird sie bei ihm bleiben können? ,Nie, nie wieder‘, hat sie gesagt, und so ist es auch jetzt noch.

„Weine doch nicht mehr“, bittet er. „Es ist bestimmt nichts passiert.“

Sie weint.

Und dann flüstert sie: „Hast du mich denn wenigstens ein bißchen gerne, Willi? Sage es doch, bitte!“

13

Er hat es gesagt und hat gedacht: sagen kann man viel. Und sie hat es geglaubt oder hat es nicht geglaubt. Und dann haben sie sich getrennt. Im Licht einer Laterne, ihr Gesicht war verweint.

Sagen kann man viel.

Aber nun liegt er allein in seinem Bett; siehst du, es ist gut, allein in seinem Bett zu liegen zwischen den kühlen, glatten Laken, ohne fremde Wärme. Er liegt allein im Bett, das Zimmer ist nicht ganz dunkel, eine Straßenlam­pe wirft Licht gegen die Wand, dahin sieht er.

Sagen kann man viel. Und: sie hat mich reinlegen wollen, nun habe ich sie reingelegt.

Er macht die Augen zu, jetzt ist es dunkel. Aber in der endlosen Tiefe der Dunkelheit erscheint ein kleines, helles Bild: Hildegard von gestern nacht am Bett des Kindes. Sie hat sich darüber gebeugt – und auch heute nacht im Rindenhaus hat sie eine Bewegung gehabt…

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany