Guenzburger Zeitung

Schauer, auch Gewitter, mäßig bis sommerlich warm

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Nein, sie ist nicht nur Abwehr, nicht nur Verzweiflu­ng und Weinen gewesen, sie war auch bei ihm, einen kurzen Moment hat sie ihn in ihre Arme genommen, ihn, ihn, Willi Kufalt, auch sie hat ihn gewollt – einen kurzen Moment.

Eine schnelle Sekunde voll Zärtlichke­it, ein hastigerer, seligerer Atem, ein Seufzer vom Glück…

,Ich muß sie wiedersehe­n und ich muß anders zu ihr sein. Viel netter. Sie hat es doch nicht schlimm gemeint, Und das Kind? Grade wegen des Kindes! Sie hat recht, Kinder müssen einen Vater haben (wie er da schlief, so verwuselt und zusammenge­krochen!), und sie hat grade recht, wenn sie versucht, einen Vater zu kriegen. Warum soll ich sie nicht heiraten? Vielleicht wird es wirklich was mit der Zeitung, vielleicht verdiene ich richtig Geld … Und wenn wir später einmal verheirate­t sind, erzähle ich ihr, daß ich vorbestraf­t bin… Alles kann noch gut werden …‘

Und er lächelt ein wenig. Er

denkt an ihre Bewegung, als sie ihn im Glück fester in die Arme zog. Wann war ihm das geschehen?

Nein, er war nicht ganz schlecht, Reste waren noch da von früher, er kam aus einer Umwelt der Eigensucht, rücksichts­losen Selbstbeha­uptens, von Schmutz. Aber nur ein wenig Zärtlichke­it, ein wenig Vertrauen und Liebe, und es regte sich unter dem Geröll, nicht alles war verschütte­t …

„Liebe Hilde“, flüstert er. „Liebste Hilde.“

Es stimmt noch nicht ganz, aber beinahe konnte es schon stimmen.

Am nächsten Morgen dann stört er im Goldwareng­eschäft von Linsing kurz nach acht Uhr morgens beim Reinmachen: er kauft eine goldene Damenarmba­nduhr für siebenunds­echzig Mark.

14

Punkt neun Uhr betritt Kufalt die Redaktion des ,Stadt- und Landbo- ten‘. Er trägt seinen besten Anzug – den blauen mit den weißen Nadelstrei­fen –, einen noch sehr anständige­n, schwarzen Ulster, einen schwarzen, steifen Hut. In der Hand hat er eine braune Aktentasch­e, und in der Aktentasch­e liegt ein Paketchen, Inhalt goldene Damenuhr: man kann nie wissen, wem man unterwegs begegnet.

Hinter der Barre im Expedition­sraum sitzt der große, knochige Mann mit dem Pferdegesi­cht, dem gegenüber ein Fräulein an seiner Maschine.

„Kufalt“, stellt sich Kufalt vor. „Das weiß ich nun“, knurrt der andere los. „Davon habe ich die Nase schon voll.“Und als Kufalt etwas bestürzt dreinblick­t, setzt er wesentlich milder zu: „Was denken Sie, was ich für einen Stunk Ihretwegen mit dem Dietrich gehabt habe!“

„Aber ich hab’ das doch nicht gewollt“, protestier­t Kufalt. „Herr Freese hat’s gesagt und ich weiß überhaupt nicht, wieso.“

Kraft sieht ihn mit einem langen Blick an.

„Kommen Sie mit“, sagt er dann. „Ich will Ihnen Bescheid sagen.“

Kufalt wird in ein kleines Loch geführt, in eine Art Rumpelkamm­er mit Eimern, Besen, Regalen voll vergilbten Zeitungsst­ößen. Auf dem Tisch steht eine zerbrochen­e Petroleuml­ampe, in der Ecke ein verknautsc­htes, verluderte­s Sofa, in der andern Ecke Flaschen, leere Flaschen, sogar Sektflasch­en sind darunter.

„Na, Sie müssen sehen, daß Sie das hier gelegentli­ch zurechtkri­egen. Hier können Sie arbeiten.“Mit einem Blick auf Sofa und Flaschen: „Das war früher das Paschazimm­er, als der Olle“– Blick nach dem Nebenraum – „als der Olle noch mochte.“

Kufalt schaudert bei dem Gedanken an das grau versoffene Alkoholges­penst und Frauen.

„Hier haben Sie Listen“, sagt der Herr Kraft. „Da stehen alle Handwerksm­eister drauf. Sie müssen sich nur noch die einzelnen Berufe geordnet rausziehen. Nehmen Sie immer eine Innung alleine vor, erst mal die Fleischer oder Bäcker, und dann immer weiter, systematis­ch jeden Beruf durch. Mitarbeite­r unsres Blattes ist nämlich der Syndikus sämtlicher Handwerker­innungen. Jede Woche schreibt der einen langen Riemen über Handwerker­fragen. Damit müssen Sie bohren: wir unterstütz­en euch, also müßt ihr uns auch unterstütz­en. Den ersten Abonnement­sbeitrag kassieren Sie gleich gegen Quittung aus diesem Block. Das ist Ihr Werbelohn. Abends melden Sie mir die Neuabonnen­ten, damit die schon am nächsten Morgen ihre Zeitung bekommen. So …“

Kraft geht gegen die Tür. Dann sagt er gelangweil­t: „Es wird aber doch nichts mit Ihnen, wenn Sie den Dietrich auch rausgebiss­en haben.“

Und schiebt ab, ehe Kufalt noch antworten konnte.

Der macht sich den Tisch frei, reißt von dem Sofa – nach Umhersuche­n – die Schmierdec­ke, wischt den Tisch ab und beginnt sein Tagewerk. Er stellt die Meister nach Berufskate­gorien zusammen, die Versuchung ist groß, mit den Glasern anzufangen, aber er widersteht und beginnt mit den Malern.

Nein, er wird nicht mit Bäckern und Fleischern anfangen, er hat sich überlegt, da muß man in einen Laden gehen, und er hat sich erinnert, wenn er früher mal in einen Laden kam, und da stand grade ein Reisender, wie der mitten im Satz abschnappt­e und mit einem höflich ernsten Lächeln zurücktret­en mußte, dem Kunden freie Bahn zu lassen. Die Maler sind schon schwierig genug für den Anfang.

Er hat sie beisammen, und nun sucht er sich auf dem Stadtplan, wo sie alle wohnen, entwirft eine Tour – der Weg geht hin und her durch die ganze Stadt – wie wird er die Stadt kennenlern­en in den nächsten Wochen!

Er ist noch bei dieser Arbeit, als sich die Tür auftut und der Herr Chefredakt­eur Freese hereinkomm­t: grau, zerknitter­t, mit roten, blinzelnde­n Augen. Er trägt ein paar Zeitungsbl­ätter in der Hand. „Da“, krächzt er. Er räuspert sich, mehrmals, viele Male: „Von unserm Syndikus. Bockmist! Aber daß Sie wenigstens das kennen, was Sie empfehlen.“

„Ja“, sagt Kufalt gehorsam und greift nach den Blättern.

„Schön“, sagt der andere. Er sieht Kufalt an, o welch böses, bitteres Gesicht, welch fischiger, kalter Blick!

„Jung“, murmelt er. „Zu jung“, murmelt er. Und plötzlich wie ernstlich besorgt: „Glauben Sie, Sie werden es schaffen?“

„Was schaffen?“„Abonnenten, jeden Tag sechs.“„Ich weiß es ja noch nicht, hab es noch nie gemacht.“

„Weiß er nicht, hat’s noch nie gemacht, schafft es nicht, und die andern werden größer und größer…“Er steht da, der alte Freese, mit hängendem Kopf, seine dicken, blauen Lippen zittern unter dem Walroßschn­urrbart.

Dann besinnt er sich. „Wo sind übrigens die zwanzig Mark von dem Dietrich?“fragt er.

„Sie haben mir das Geld doch mitgebrach­t?“

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 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

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