Warum fliehen Menschen?
Über Flüchtlinge in Europa wird viel diskutiert. Selten richtet sich der Fokus auf die Umstände in deren Heimatländern. Ein Truck in Günzburg widmet sich diesem Thema
Günzburg Gewürzgeruch liegt in der Luft. Ein Holzmörser mit Schälchen, Gemüse und Besteck liegen im ersten Raum des Missio-Trucks. In dem Lastwagen, der gerade in Günzburg steht, sollen Besucher den Weg eines Flüchtlings nachempfinden. Marcus Composs, der für das katholische Hilfswerk missio arbeitet, nimmt eine Gabel in die Hand. „Das sind alles Gegenstände, die aus Afrika kommen“, sagt er. Das Besteck ist federleicht, mit Tafelsilber hat es wenig gemein.
Oft kommen Schulklassen in den missio-Truck. „Der Raum dient dazu, dass die Schüler fühlen, riechen und sehen können“, sagt Composs. Die Sinne sollen aktiviert, das Klassenzimmer verlassen werden. Vor dem Eingang zum nächsten Raum fällen Besucher eine Entscheidung: Sie wählen eine Karte und schlüpfen damit in die Rolle eines jungen Menschen in Afrika. Einer davon ist die fiktive Person Eric, ein 18-jähriger Schüler aus dem Kongo. Er arbeitet gelegentlich als Automechaniker und möchte später Maschinenbau studieren.
Von der Küche führt eine Tür in einen Raum, der aussieht wie eine kleine Kirche. Ein Bildschirm zeigt eine dunkelhäutige Person, die wild herumfuchtelt. Maschinengewehrfeuer ertönt und kommt näher. Die Fenster der Kirche sind Displays. Nach und nach sieht man, wie die Rebellen heranfahren, Eric muss fliehen. Ein Scanner erfasst die QRCodes auf der Unterseite der Karte, die man zu Beginn gewählt hat. Sie funktionieren wie Strichcodes an einer Supermarktkasse. Dann zeigt ein Bildschirm Dinge an, die man mit auf die Flucht nimmt – die Zeit drängt. Essen oder Zeugnis? Kleidung oder Personalausweis?
Mit jedem neuen Raum befindet man sich auf einer neuen Etappe von Erics Flucht. Irgendwann landet er in Nairobi, der teuren Hauptstadt Kenias. Er findet keine Arbeit und ist es leid, seinen Verwandten auf der Tasche zu liegen. Auch an den folgenden Stationen vermitteln Videos und Tonaufnahmen dem Besucher einen Eindruck der Lage, in sich der 18-jährige Flüchtling befindet.
Eine Schülerin des Maria-WardGymnasiums, deren Klasse die Ausstellung besucht, sagt, sie könne sich jetzt besser in die Lage von Flüchtlingen versetzen. Ein anderes Mädchen erzählt, dass ihre Eltern ebenfalls als Flüchtlinge aus dem Kosovo nach Deutschland kamen. Ihre Mutter habe ihr von der Flucht erzählt, zum Beispiel wie sie im Wald übernachten musste. Obwohl ihr das Thema bekannt ist, habe sie viel von der Ausstellung mitgenommen: „Es ist schon etwas anderes, wenn man das so miterleben kann.“
Die Ausstellung liefert starke Eindrücke, aber keine Schlüsse, die man aus ihnen ziehen muss. „Wir wollen keine Betroffenheitskultur“, sagt Composs. Er macht trotzdem keinen Hehl daraus, dass er von der Gesinnung der AfD, die am Wochenende Beatrix von Storch wenige Meter entfernt einlud
überhaupt nichts hält. Auch Ressourcen sind ein Thema: „Wir wollen, dass sich Besucher Gedanken machen, welche Kette in Gang gesetzt wird, wenn sie in Deutschland ein Smartphone kaufen.“Im Kongo würden beispielsweise Metalle unter schlimmen Bedingungen abgebaut. Ganz auf Handys verzichten müsse man deshalb nicht. Aber sie weiterzuverwenden oder zumindest zu verkauder fen, statt wegzuschmeißen, das sei schon sinnvoll. Die Diakonie NeuUlm hat den Truck der Hilfsorganisation missio nach Günzburg geholt. Julia Ruf, die dort in der Beratungsstelle für Flüchtlinge arbeitet, sagt, man wolle damit einen Beitrag in der politischen Debatte liefern. „Dass die Ausstellung kurz nach der AfD-Veranstaltung stattfindet, ist Zufall“, sagt sie. Informationen Heute beginnen um 10, 12, 15.30 und 17.30 Uhr kosten lose Führungen. Am Mittwoch finden sie noch um 10 und 12 Uhr statt. Der Truck steht neben dem Forum am Hofgar ten. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.fluchttruck.bayern