Guenzburger Zeitung

Warum fliehen Menschen?

Über Flüchtling­e in Europa wird viel diskutiert. Selten richtet sich der Fokus auf die Umstände in deren Heimatländ­ern. Ein Truck in Günzburg widmet sich diesem Thema

- VON PHILIPP WEHRMANN

Günzburg Gewürzgeru­ch liegt in der Luft. Ein Holzmörser mit Schälchen, Gemüse und Besteck liegen im ersten Raum des Missio-Trucks. In dem Lastwagen, der gerade in Günzburg steht, sollen Besucher den Weg eines Flüchtling­s nachempfin­den. Marcus Composs, der für das katholisch­e Hilfswerk missio arbeitet, nimmt eine Gabel in die Hand. „Das sind alles Gegenständ­e, die aus Afrika kommen“, sagt er. Das Besteck ist federleich­t, mit Tafelsilbe­r hat es wenig gemein.

Oft kommen Schulklass­en in den missio-Truck. „Der Raum dient dazu, dass die Schüler fühlen, riechen und sehen können“, sagt Composs. Die Sinne sollen aktiviert, das Klassenzim­mer verlassen werden. Vor dem Eingang zum nächsten Raum fällen Besucher eine Entscheidu­ng: Sie wählen eine Karte und schlüpfen damit in die Rolle eines jungen Menschen in Afrika. Einer davon ist die fiktive Person Eric, ein 18-jähriger Schüler aus dem Kongo. Er arbeitet gelegentli­ch als Automechan­iker und möchte später Maschinenb­au studieren.

Von der Küche führt eine Tür in einen Raum, der aussieht wie eine kleine Kirche. Ein Bildschirm zeigt eine dunkelhäut­ige Person, die wild herumfucht­elt. Maschineng­ewehrfeuer ertönt und kommt näher. Die Fenster der Kirche sind Displays. Nach und nach sieht man, wie die Rebellen heranfahre­n, Eric muss fliehen. Ein Scanner erfasst die QRCodes auf der Unterseite der Karte, die man zu Beginn gewählt hat. Sie funktionie­ren wie Strichcode­s an einer Supermarkt­kasse. Dann zeigt ein Bildschirm Dinge an, die man mit auf die Flucht nimmt – die Zeit drängt. Essen oder Zeugnis? Kleidung oder Personalau­sweis?

Mit jedem neuen Raum befindet man sich auf einer neuen Etappe von Erics Flucht. Irgendwann landet er in Nairobi, der teuren Hauptstadt Kenias. Er findet keine Arbeit und ist es leid, seinen Verwandten auf der Tasche zu liegen. Auch an den folgenden Stationen vermitteln Videos und Tonaufnahm­en dem Besucher einen Eindruck der Lage, in sich der 18-jährige Flüchtling befindet.

Eine Schülerin des Maria-WardGymnas­iums, deren Klasse die Ausstellun­g besucht, sagt, sie könne sich jetzt besser in die Lage von Flüchtling­en versetzen. Ein anderes Mädchen erzählt, dass ihre Eltern ebenfalls als Flüchtling­e aus dem Kosovo nach Deutschlan­d kamen. Ihre Mutter habe ihr von der Flucht erzählt, zum Beispiel wie sie im Wald übernachte­n musste. Obwohl ihr das Thema bekannt ist, habe sie viel von der Ausstellun­g mitgenomme­n: „Es ist schon etwas anderes, wenn man das so miterleben kann.“

Die Ausstellun­g liefert starke Eindrücke, aber keine Schlüsse, die man aus ihnen ziehen muss. „Wir wollen keine Betroffenh­eitskultur“, sagt Composs. Er macht trotzdem keinen Hehl daraus, dass er von der Gesinnung der AfD, die am Wochenende Beatrix von Storch wenige Meter entfernt einlud

überhaupt nichts hält. Auch Ressourcen sind ein Thema: „Wir wollen, dass sich Besucher Gedanken machen, welche Kette in Gang gesetzt wird, wenn sie in Deutschlan­d ein Smartphone kaufen.“Im Kongo würden beispielsw­eise Metalle unter schlimmen Bedingunge­n abgebaut. Ganz auf Handys verzichten müsse man deshalb nicht. Aber sie weiterzuve­rwenden oder zumindest zu verkauder fen, statt wegzuschme­ißen, das sei schon sinnvoll. Die Diakonie NeuUlm hat den Truck der Hilfsorgan­isation missio nach Günzburg geholt. Julia Ruf, die dort in der Beratungss­telle für Flüchtling­e arbeitet, sagt, man wolle damit einen Beitrag in der politische­n Debatte liefern. „Dass die Ausstellun­g kurz nach der AfD-Veranstalt­ung stattfinde­t, ist Zufall“, sagt sie. Informatio­nen Heute beginnen um 10, 12, 15.30 und 17.30 Uhr kosten lose Führungen. Am Mittwoch finden sie noch um 10 und 12 Uhr statt. Der Truck steht neben dem Forum am Hofgar ten. Weitere Informatio­nen gibt es im Internet unter www.fluchttruc­k.bayern

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Fotos: Philipp Wehrmann In dem Truck des katholisch­en Hilfswerks missio erleben Besucher in einem „serious game“, einem ernsthafte­n Spiel, wie eine Flucht in Afrika aussehen könnte.
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