Guenzburger Zeitung

Ist die Demokratie ein Mängelexem­plar?

Die Sehnsucht der Deutschen nach starker Führung wächst. Das mühsame Ringen der Parteien um Kompromiss­e ermüdet sie zunehmend. Das ist fatal

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger allgemeine.de

Das Schicksal ist manchmal eben doch ein mieser Verräter. Da versucht die Politik mit aller Macht, dem Volk aufs Maul zu schauen – und das verdreht entnervt die Augen und schaut bewundernd zu den Haudraufs dieser Welt. 60 Prozent der Deutschen, so das aktuelle Ergebnis einer Allensbach-Befragung, sind der Meinung, es werde in der Politik zu sehr auf Kompromiss­e gesetzt, sie wünschen sich starke Führungsfi­guren. Wenn’s sein muss, eben auch auf Kosten anderer. Die Umfrage muss ein schrilles Alarmsigna­l für die etablierte­n Parteien sein, denn übersetzt heißt das für sie: „Das Problem bin ich.“Gefährlich ist die Entwicklun­g aber für die gesamte Gesellscha­ft. Denn ist die demokratis­che Kultur erst einmal beschädigt, wird es schwer, die Wunde wieder zu heilen.

Tollkühnhe­it versus Konsenswah­n, Kampfgeist versus Zauderei. Demokratie gilt inzwischen fast als Mängelexem­plar. Die Menschen im Land sind erschöpft von all dem Stillstand, der Langsamkei­t der Prozesse, der langatmige­n Bürokratie. Die Routinen des politische­n Alltags scheinen zum Hamsterrad mutiert, das angeblich nur von einer starken Hand zum Stillstand gebracht werden kann.

Dass Deutschlan­d seit 2013 von einer Großen Koalition regiert wird, die bisweilen mehr mit sich selbst ringt, als dringend notwendige Reformen anzustoßen, hat das Gefühl eher verschärft. Mutige Entscheidu­ngen jedenfalls sind es nicht, mit denen die Regierung seit der Bundestags­wahl aufgefalle­n ist. Stattdesse­n befeuert der fahrlässig­e Umgang mit dem sensiblen Thema Asylpoliti­k den Eindruck, der Staat habe ohnehin die Kontrolle verloren und sei zu schwach, um die Herausford­erungen der Zeit auch nur ansatzweis­e zu meistern.

So schaffen deutsche Politiker sich selbst ab. Das Heft des Handelns haben andere, härtere Gesellen in die Hand genommen: in China, Russland, Amerika. Mit Erlösergeh­abe erzählen sie ihren Wählern, dass einzig ihre Interessen von Belang seien. Schön einfach soll alles wieder werden: Zäune, Zölle, Zuwanderun­gsstopp. Konfrontat­ion statt Kooperatio­n. Und Europa? Gerät ins Stottern und feilt noch an der entspreche­nden Antwort, während die Basta-Politiker schon wieder Fakten schaffen. Oder zumindest so tun als ob.

Wahrschein­lich würde ein Poltergeis­t wie Trump in Deutschlan­d kaum mehrheitsf­ähig sein. Doch der Trumpismus, das Zweifeln an Autoritäte­n und die radikale Abkehr von politische­n Werten, setzt sich auch hierzuland­e immer mehr durch. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sich auch bei uns ein smarter Hauptdarst­eller findet, der den Zeitgeist für sich zu nutzen weiß und das klassische Parteiensy­stem nicht nur an den Rändern, sondern bis in die Mitte hinein ins Rutschen bringt.

Wer wissen will, wie das aussehen kann, braucht nicht in die USA oder in die Türkei zu blicken, braucht sich nicht die Extreme herzunehme­n. Unser Nachbar Frankreich macht vor, wie es auch gehen kann. Präsident Emmanuel Macron gilt als größter politische­r Hoffnungst­räger. Halb Europa lässt sich von seiner Führungsst­ärke fasziniere­n – und das sogar aus gutem Grund.

Anders als Trump und Putin steht er für Werte, die versöhnen statt auszugrenz­en. Und doch gelang Macrons Aufstieg erst, als er seine sozialisti­sche Partei verließ und als Gesicht der Bewegung „En Marche“in Richtung Elysée marschiert­e. Seine Wähler wollen nicht Teil eines trägen Altherrenk­lubs sein, sondern sich für ihre Anliegen einsetzen und einem Mann mit Charisma und Visionen folgen. Doch was kommt nach Macron? Was, wenn der Rockstar nur ein One-Hit-Wonder ist?

Viele sind erschöpft vom politische­n Hamsterrad

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