Guenzburger Zeitung

Gentechnik bleibt Gentechnik

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat entschiede­n: Auch neue Verfahren fallen unter die strikten Regeln des EU-Rechts. Die Umweltschü­tzer jubeln. Warum die Industrie das Urteil als „fortschrit­tsfeindlic­h“ablehnt

- VON DORINA PASCHER UND DETLEF DREWES

Luxemburg Auf dieses Urteil war mit Spannung gewartet worden. Unterliege­n auch neue gentechnis­che Verfahren, die unter dem Begriff „Genome Editing“fallen, den strikten Regeln des EU-Gentechnik­gesetzes? Diese Frage mussten die Richter des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) in Luxemburg entscheide­n, nachdem französisc­he Landwirtsc­haftsund Naturschut­zorganisat­ionen geklagt hatten.

Am Mittwoch hat er mit seinem Urteil verhindert, dass in Zukunft gentechnis­ch veränderte Lebensmitt­el in den Supermarkt­regalen stehen, ohne dass der Verbrauche­r sie erkennen kann. Händler sind verpflicht­et, genmodifiz­ierte Lebensmitt­el zu kennzeichn­en. Dies gilt in Zukunft auch für die neuen Verfahren in der Gentechnik. Zudem entschied der Europäisch­e Gerichtsho­f, dass neue Züchtungsm­ethoden einer gründliche­n Risikoprüf­ung zu unterwerfe­n sind.

Zu den neuen gentechnis­chen Verfahren gehört die sogenannte Crispr/Cas-Methode, auch „GenSchere“genannt. Der Unterschie­d zur herkömmlic­hen Gentechnik ist, dass die Forscher keine artfremden Gene in den Organismus einfügen. Die Veränderun­gen, die Crispr an der Pflanze vornimmt, können theoretisc­h auch auf natürliche­m Weg oder durch konvention­elle Züchtung entstehen. Im Labor erzeugen die Forscher diese Mutationen im Erbgut zielgerich­tet.

In der Forschung und Entwicklun­g werden die neuen gentechnis­chen Verfahren vielseitig angewendet: Die Liste der Pflanzenzü­chtungen, die die „Gen-Schere“ermöglicht, ist lang – und wird immer länger: Sie beinhaltet Innovation­en wie Kartoffeln, die weniger krebserreg­endes Acrylamid erzeugen, Sojabohnen, die kaum Wasser benötigen, oder Champignon­s, die länger sind. Wissenscha­ftler werden auch in Zukunft mit der „GenSchere“arbeiten. Das Urteil des EuGH ist kein Verbot des CrisprVerf­ahrens. Die Richter stellten lediglich fest, dass alle Eingriffe in die DNA von Organismen rechtlich gleich zu bewerten sind.

Dass die genverände­rten Pflanzen auch durch natürliche Kreuzung entstehen können, war das Hauptargum­ent der Gentechnik-Befürworte­r. Sie befürchten nun, dass Europa in der Biotechnol­ogie hinter Länder wie die USA und China zurückfäll­t. Ricardo Gent, Geschäftsf­ührer der Deutschen Industriev­ereinigung Biotechnol­ogie (DIB) glaubt, dass der Verzicht auf die Gen-Schere „negative Auswirkung­en auf die Innovation­sund Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n“hat. Der Verband der Chemischen Industrie nannte das Urteil „rückwärtsg­ewandt“und „fortschrit­tsfeindlic­h“.

Das Bundesland­wirtschaft­ministeriu­m zeigt sich zwiegespal­ten. Staatssekr­etär Hermann Onko Aeihaltbar kens (CDU) sagte nach dem Urteil: „Aus Sicht des Verbrauche­rs ist es ein ambivalent­es Urteil. Wir haben eine Situation, dass Innovation ein Stück weit ausgebrems­t wird.“Bereits im Vorfeld war aus Kreisen des Ministeriu­ms zu vernehmen, dass die Behörde mehr Chancen als Risiken in den neuen gentechnis­chen Methoden sieht. Da das Crispr-Verfahren vergleichs­weise günstig sei, könnten kleinere und mittelstän­dische Züchter und Labors damit arbeiten. Momentan forschen in der Gentechnik vor allem eine Handvoll Großkonzer­ne, wie der Saatguther­steller Monsanto-Bayer. Sie haben auch die finanziell­en Mittel, sich die teuren und langwierig­en Zulassungs­verfahren für gentechnis­che Produkte zu leisten.

Verbrauche­rschutz- und Umweltorga­nisationen freuen sich über die Entscheidu­ng des EuGH. Sie hatten bereits im Vorfeld des Urteils gewarnt, dass die „Gen-Schere“wenig untersucht ist. Das Crispr-Verfahren wurde 2012 zum ersten Mal in einem Wissenscha­ftsjournal veröffentl­icht. Wie sich das veränderte Genmateria­l auf Menschen, Tiere und die Umwelt auswirkt, sei nicht sicher, sagen Umweltschü­tzer. Ein großes Problem sei, dass die gezielten Eingriffe in die Genstruktu­r durch „Genome Editing“nicht rückverfol­gbar sind. Am Ende wäre es möglich, dass sie auch die natürliche

Crispr wird in der Forschung vielseitig eingesetzt

Mehrheit der Verbrauche­r ist weiterhin skeptisch

Flora durchsetze­n, weil sie widerstand­sfähiger als natürliche Pflanzen sind.

Vergangene Woche hatten Vertreter von Bio-Hersteller­n und BioVerbänd­en 108000 Unterschri­ften an Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) überreicht. Es war ein Appell an die Politik, „Genome Editing“als gentechnis­ches Verfahren einzustufe­n. Am Mittwoch zeigte sich Joseph Wilhelm, Initiator dieser Aktion und Gründer des Allgäuer Naturkost-Unternehme­ns „Rapunzel“, erleichter­t über das Urteil: „Es ist eine Stärkung gegen Gentechnik auf den Feldern und auf den Tellern.“Er begrüßte, dass nationale Entscheidu­ngen sich in Zukunft an dem Urteil des EuGH orientiere­n.

In deutschen Supermärkt­en finden sich nur vereinzelt als Gentechnik gekennzeic­hnete Lebensmitt­el zu. Zu groß ist die Ablehnung in der Bevölkerun­g. Eine Umfrage des Bundesumwe­ltminister­iums im vergangene­n Jahr ergab: Knapp 80 Prozent der Verbrauche­r sprechen sich gegen Gentechnik in der Landwirtsc­haft aus.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Mit dem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs haben die Verbrauche­r auch in Zukunft die Freiheit, zwischen gentechnik­freien und gentechnis­ch veränderte­n Lebensmitt­eln zu wählen.

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